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Biologie

Wie unser Sehen beginnt

Erster Schritt der lichtinduzierten Signalentstehung in der Netzhaut entschlüsselt

Auge
Am Anfang unseres Sehens steht eine vom Licht ausgelöste Formänderung im Sehpigment. Wie und wann dies passiert, haben Forschende jetzt erstmals beobachtet. in unserer Netzhaut ein Molekül umklappen © Sharamand/ Getty images

Der entscheidende Schritt dauert nur eine Pikosekunde: Wenn Licht auf unsere Netzhaut trifft, klappt innerhalb von einer Billionstel Sekunde ein molekularer Schalter um – das Molekül Retinal ändert seine Form. Wie dieses Umschalten passiert und was sich dabei im Retinal tut, haben nun Forschende erstmals direkt beobachtet. Ihre Aufnahmen im Freie-Elektronen-Röntgenlaser enthüllen, wie der Sehprozess beginnt und wie das Sehpigment Rhodopsin den Lichtreiz in ein elektrisches Signal umwandeln kann.

Unser Auge ist ein wahres Wunder der Evolution. Dank seiner flexiblen Linse und einer raffinierten Verschaltung der Sinneszellen sehen wir damit in der Ferne und der Nähe scharf und können selbst starke Helligkeitskontraste ausgleichen. Die Sinneszellen in unserer Netzhaut sind so sensibel, dass sie sogar noch einzelne Photonen wahrnehmen können. Entscheidend dafür ist das lichtempfindliche Sehprotein Rhodopsin in den Stäbchenzellen der Retina. Denn in diesem Protein findet die Umwandlung des Lichtreizes in ein elektrisches Signal statt.

Retinal
Das Molekül Retinal vor und nach seiner lichtinduzierten Konformationsänderung. Wie dieses Umklappen jedoch abläuft, blieb bisher buchstäblich im Dunklen. Mit im Bild ist Koautor Gebhard Schertler vom PSI.© Scanderbeg Sauer Photography

Retinal als Schalter

Doch wie genau funktioniert die Umwandlung von Lichtreiz in Nervensignal? Schon länger bekannt war, dass ein kleines, geknicktes Molekül im Zentrum des Rhodopsins den Umwandlungsprozess auslöst. Denn dieses Retinal, ein Derivat des Vitamins A, verändert bei Lichteinfall seine dreidimensionale Form und schaltet dadurch das Sehpigment an: Sein „Umklappen“ löst eine Kaskade von Reaktionen aus, die letztendlich damit endet, dass wir einen Lichtblitz wahrnehmen.

Das Problem jedoch: Das Umklappen des Retinals geschieht so schnell, dass es bisher noch nie in Aktion beobachtet werden konnte. „Ausgangspunkt und Endprodukt der Retinalumwandlung sind schon lange bekannt, aber noch nie hat jemand in Echtzeit beobachtet, wie genau die Veränderung am Sehpigment Rhodopsin abläuft“, erklärt Seniorautorin Valérie Panneels vom Paul Scherrer Institut. Sie vergleicht dies mit einer Katze, die mit dem Rücken voran vom Baum fällt und dennoch unbeschadet auf ihren Füßen landet. „Die Frage ist: Welche Zustände nimmt die Katze während ihres Falls ein, also während sie sich vom Rücken auf den Bauch dreht?“

Mikrokristalle im Röntgenlaser

Jetzt ist es Panneels, Erstautor Thomas Gruhl und ihrem Team erstmals gelungen, die Umwandlung des Retinals in Echtzeit zu beobachten – und so gewissermaßen den Fall der Katze zu entschlüsseln. Dafür isolierten die Forschenden Rhodopsin aus der Netzhaut einer Kuh und ließen die Proteine auskristallisieren. Die resultierende Paste aus Rhodopsin-Mikrokristallen wurde dann in die zunächst dunkle Probenkammer des Freie-Elektronen-Röntgenlasers SwissFEL am Paul Scherrer Institut gegeben.

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Für die eigentliche Messung setzte das Team die Rhodopsin-Mikrokristalle einem kurzen intensiven Laserpuls aus, der die Lichtaktivierung des Sehpigments auslöste. Parallel dazu durchleuchtete der Röntgenlaser die Kristalle in Abständen von einer, zehn und 100 Pikosekunden, um ihren dreidimensionalen Zustand einzufangen. Dadurch gelang es den Forschenden erstmals, die Umwandlung der Dunkelform des Retinals, der sogenannten 11-cis-Form in die lichtaktivierte All-trans-Form mitzuverfolgen.

Retinal-Änderung
Eine Pikosekunde nach Lichteinfall ändert sich die lokale Elektronendichte im Retinal (a; gelbe, blaue Gitterwolken), außerdem dreht sich ein Teil des Moleküls (c; rot= Dunkelzustand, gelb= lichtaktivierte Form) © Gruhl et al./ Nature, CC-by 4.0

Drehung und Streckung in nur einer Pikosekunde

Die Analysen enthüllten: Das Umklappen des Retinals dauert nur eine Billionstel Sekunde – es ist damit einer der schnellsten Vorgänge in der Natur. Innerhalb von nur einer Pikosekunden nach Auftreffen eines Photons zeigten sich in den Aufnahmen deutliche Verschiebungen in der Elektronenverteilung entlang des Retinalmoleküls. Ursache dafür ist eine Umlagerungen mehrerer Bindungen innerhalb des Moleküls, durch das sich dieses leicht dreht und streckt – ähnlich einer Katze die sich im Fallen um ihre Körperachse dreht.

Parallel zu dieser Konformationsänderung des Retinals dehnt sich das umgebende Rhodopsin durch die aufgenommene Lichtenergie minimal aus. „Retinal ist an seinen Enden zwar noch immer über chemische Bindungen ans Protein gebunden, aber es hat nun Platz genug, um sich zu drehen“, erklärt Panneels. Diese Drehung und Umlagerung löst einige durch Van-der-Waals-Kräfte gebildete Bindungen zwischen Retinal und Rhodopsin und setzt dadurch Energie frei. Diese Energie wird als elektrisches Signal vom Sehpigment an die Sinneszelle weitergegeben – der Sehprozess hat begonnen.

„Unsere Studie beleuchtet damit die frühesten Phasen des Sehens in Wirbeltieren und zeigt fundamentale Aspekte der molekularen Mechanismen hinter der Photoaktivierung des Sehpigments“, schreiben die Forschenden. Erstmals lässt sich nun genau nachvollziehen, wie der „Hauptschalter“ im Sehprotein Rhodopsin bei Lichteinfall umgelegt wird. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05863-6)

Quelle: Paul Scherrer Institut

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