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Genetik

Was Beethovens Erbgut verrät

DNA aus Haarlocken des Komponisten liefert Hinweise auf Todesursache und einen Seitensprung

Ludwig van Beethoven
Diese beiden Haarlocken lieferten spannende Einblicke in das Erbgut von Ludwig van Beethoven. © Kevin Brown; Beethoven-Haus Bonn

Haarige Enthüllungen: Wissenschaftler haben das Erbgut des berühmten Komponisten Ludwig van Beethoven entschlüsselt – und spannende Einblicke in Todesursache, Krankheiten und Abstammung des Musikers bekommen. Die DNA lieferten fünf Haarlocken Beethovens, die seit gut 200 Jahren aufbewahrt wurden. Die Analysen enthüllten zwar keine klare genetische Ursache für die Schwerhörigkeit des Komponisten, aber einen möglichen Grund für seinen Tod – und ein „Kuckuckskind“ in seiner väterlichen Stammeslinie.

Ludwig van Beethoven ist einer der berühmtesten deutschen Komponisten der Klassik. Der 1770 in Bonn geborene Musiker durchlief eine steile Karriere als Pianist und Komponist, litt aber Zeit seines Lebens unter gleich mehreren Krankheiten. Am bekanntesten und für ihn schwerwiegendsten war eine fortschreitende Schwerhörigkeit, die Beethoven schon mit Ende 20 entwickelte und die ihn schließlich völlig ertauben ließ. Zusätzlich litt der Komponist seit jungen Jahren unter schweren Magen-Darm-Beschwerden mit Durchfällen und schmerzhaften Koliken.

Beethoven
Porträt Beethovens auf dem Sterbebett. © Beethoven-Haus Bonn

Im Alter von rund 50 Jahren kamen bei Beethoven noch Leberprobleme hinzu: Der Komponist erkrankte mehrfach an Gelbsucht und entwickelte wahrscheinlich eine Leberzirrhose. Sie gilt auch als die wahrscheinlichste Ursache für seinen Tod im Alter von erst 56 Jahren.

Acht Haarlocken im DNA-Test

Doch welche Krankheiten hinter den Leiden Beethovens steckten und woran er konkret starb, ist bis heute unklar. Auch der Komponist hoffte auf späte Aufklärung: 1802 bat er seine Brüder in einem Brief, seine Krankheit nach seinem Tod durch seinen Arzt untersuchen zu lassen und das Ergebnis zu veröffentlichen. Doch trotz Auswertung zahlreicher historischer Dokumente, einem Autopsiereport und sogar zwei Exhumierungen in den Jahren 1863 und 1888 gab es keine eindeutigen Diagnosen – weder für die Schwerhörigkeit und Verdauungsbeschwerden noch für die Todesursache.

Jetzt hat ein internationales Forschungsteam um Tristan Begg von der University of Cambridge diese Fragen erstmals mithilfe von Beethovens Erbgut untersucht. Dafür extrahierten und analysierten sie DNA aus acht Haarlocken, die von Ludwig van Beethoven stammen sollen, und die in öffentlichen und privaten Sammlungen aufbewahrt werden.

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Verdacht auf Bleivergiftung entkräftet

Das Ergebnis: Fünf der acht Haarlocken stammen wahrscheinlich tatsächlich von Beethoven. Ihre DNA stammt von einem Mann mit europäischer Herkunft und genetischen Übereinstimmungen mit Menschen in Nordrhein-Westfalen – der Geburtsregion des Komponisten. Die DNA der Haarproben zeigte zudem eine für eine Herkunft aus dem 19. Jahrhundert typische Degradierung. Das Team wertet dies als Beleg dafür, dass es sich bei diesen fünf Haarlocken tatsächlich um Haare des berühmten Komponisten handelt.

Hiller-Locke
Diese Haarlocke, die sogenannte „Hiller-Locke,“ erwies sich als nicht authentisch – das Haar stammt von einer Frau. © William Meredith

Interessant jedoch: Eine der jetzt als nicht authentisch entlarvten Haarlocken hatte in der Vergangenheit wegen Bleirückständen in den Haaren zu Spekulationen über eine mögliche Bleivergiftung gespielt. „Da wir jetzt wissen, dass die ‚Hiller-Locke‘ von einer Frau und nicht von Beethoven stammt, trifft keine der früheren Analysen, die ausschließlich auf dieser Haarprobe basieren, auf Beethoven zu“, sagt Begg.

Hinweise auf die Todesursache

Dafür lieferten die DNA-Analysen der fünf authentischen Haarproben neue Hinweise zur Todesursache des Komponisten: In Beethovens Erbgut stießen die Forschenden unter anderem auf zwei Kopien einer Genvariante, die als eines der stärksten Risikogene für Leberzirrhose gilt. Außerdem gab es Hinweise auf eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus, die spätestens in den Monaten vor der ersten Gelbsuchterkrankung des Komponisten erfolgt sein muss.

„In Anbetracht der bekannten Krankengeschichte ist es sehr wahrscheinlich, dass genetische Veranlagung, Hepatitis-B-Infektion und Alkoholkonsum im Zusammenspiel zu Beethovens Tod geführt haben“, sagt Begg. Denn historische Überlieferungen legen nahe, dass Beethoven regelmäßig genug Alkohol getrunken hat, um seiner Leber zu schaden. „Wenn Beethovens Alkoholkonsum über einen ausreichend langen Zeitraum hoch genug war, stellt die Wechselwirkung mit seinen genetischen Risikofaktoren eine mögliche Erklärung für seine Leberzirrhose dar“, so Begg.

Keine genetischen Auslöser für die Schwerhörigkeit

Auch nach genetischen Ursachen für Beethovens Schwerhörigkeit hat das Forschungsteam gesucht. Im Verdacht standen bisher unter anderem eine Otosklerose, Morbus Paget oder eine Sarkoidose – drei Krankheiten, die zu Knochenwucherungen und einer Fixierung der Gehörknöchelchen führen können. Als Folge entwickelt sich ein fortschreitender Hörverlust. Für alle drei Krankheiten wird zumindest in Teilen eine genetische Komponente vermutet.

Doch in Beethovens Genom ließen sich keine Risikogene für diese Erkrankungen finden. „Obwohl keine eindeutige genetische Ursache für Beethovens Schwerhörigkeit identifiziert werden konnte, kann man eine solche auch nicht völlig ausschließen“, betont Koautor Axel Schmidt vom Universitätsklinikum Bonn. „Die Referenzdaten, die für die Interpretation individueller Genome notwendig sind, werden stetig besser. Es ist daher möglich, dass Beethovens Genom in Zukunft Hinweise auf den Ursprung seiner Schwerhörigkeit liefern wird.“

Die DNA-Analysen zeigen zudem, dass die hartnäckigen Magen-Darm-Beschwerden Beethovens nicht auf einer Gluten- oder Laktose-Intoleranz beruhten, auch für das Reizdarmsyndrom gibt es keine genetischen Anzeichen. Auch in diesem Punkt bleibt daher die Ursache für das langjährige Leiden des Komponisten ungeklärt.

Überraschung im Familienstammbaum

Dafür enthüllten die Erbgutanalysen in anderer Hinsicht etwas Überraschendes. Um mehr über die Abstammung Beethovens herauszufinden, verglichen die Forscher sein Erbgut mit dem von drei Nachkommen seines Neffen Karl, sowie mit fünf in Belgien lebenden männlichen Verwandten aus der Beethoven-Linie. Historischen Dokumenten zufolge stammten die Vorfahren von Ludwig von Beethovens Vater aus Belgien. Sowohl er als auch die heutigen belgischen Nachfahren dieser Linie gehen auf den im 16. Jahrhundert lebenden Aert von Beethoven zurück.

Weil sich der Name ebenso wie das Y-Chromosom über die väterliche Linie weitervererbt, erwarteten die Wissenschaftler eine Übereinstimmung des Y-chromosomalen Erbguts bei Beethoven und seinen heutigen Namensvettern. Doch das war nicht der Fall: Das Erbgut der fünf belgischen Verwandten zeigte zwar die erwarteten Übereinstimmungen, doch keines ihrer Y-Chromosomen passte zu dem von Ludwig van Beethoven.

Ein „Kuckuckskind“ in der väterlichen Linie

Das bedeutet: In der väterlichen Stammbaumlinie Beethovens muss es mindestens einen Seitensprung gegeben haben – möglicherweise ein „Kuckuckskind“, das von einem anderen Vater als dem Ehemann gezeugt wurde. „Solche Fälle waren zwar selten, kamen aber immerhin mit einer Häufigkeit von ein bis zwei Prozent pro Generation vor“, erklären Begg und sein Team. Tatsächlich hatte ein Beethoven-Biograf schon früher Zweifel daran geäußert, dass Beethovens Großvater wirklich der Vater von Beethovens Vater Johann van Beethoven war, weil es keinen entsprechenden Taufeintrag gab.

Doch wann genau sich die außereheliche Zeugung in der Beethoven-Linie ereignete und ob der Seitensprung bei Beethovens Großeltern stattfand, lässt sich anhand der Gendaten nicht ermitteln. Die Forscher können sie nur auf den Zeitraum zwischen der Zeugung von Hendrik van Beethoven im belgischen Kampenhout um 1572 und der Zeugung von Ludwig van Beethoven 1770 in Bonn eingrenzen – eine Spanne von sieben Generationen.

Hoffnung auf weitere Proben

Die Wissenschaftler hoffen aber, künftig durch weitere Untersuchungen noch mehr über Beethovens Familiengeschichte und Krankheiten herauszufinden. „Indem wir Beethovens Genom der Öffentlichkeit zugänglich machen und es uns zukünftig vielleicht gelingen wird, der ursprünglichen chronologischen Abfolge weitere authentische Haarproben hinzuzufügen, hoffen wir, eines Tages die noch offenen Fragen zu Beethovens Krankheiten und Genealogie beantworten zu können“, sagt Begg. (Current Biology, 2023; doi: 10.1016/j.cub.2023.02.041)

Quelle: University of Cambridge, Uniklinikum Bonn, Cell Press

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