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Neurologie

Warum Frauen häufiger Alzheimer bekommen

Geschlechtsspezifische Proteinveränderungen im Gehirn von Demenz-Betroffenen identifiziert

Demenz
Alzheimer trifft Frauen häufiger als Männer – aber warum? © peterschreiber.media/ iStck

Geschlechtsbedingte Unterschiede: Eine Proteinveränderung im Gehirn könnte erklären, warum Frauen häufiger an der Alzheimer-Demenz erkranken als Männer. Wie Forschende herausgefunden haben, ist bei den Demenzpatientinnen häufiger ein Protein namens C3 verändert. In seiner modifizierten Form trägt dieses Immunprotein zum Verlust von Synapsen bei. Gefördert wird die Proteinveränderung durch einen nach der Menopause sinkenden Östrogenspiegel.

Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Alzheimer. Dabei sind Frauen rund doppelt so häufig betroffen wie Männer. Wie genau die neurodegenerative Erkrankung entsteht, ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Bekannt ist, dass fehlgefaltete Amyloid-Beta-Proteine die typischen Plaques im Gehirn bilden. Zudem bilden sich im Inneren der Nervenzellen sogenannte Fibrillen aus Tau-Proteinen. Beide Faktoren tragen bekanntermaßen dazu bei, dass Gehirnzellen absterben und die Betroffenen zunehmende kognitive Schwierigkeiten haben. Zusätzlich sind jedoch offenbar weitere, bislang noch kaum verstandene Prozesse an der Krankheit beteiligt.

Proteinmodifikationen auf der Spur

Ein Team um Hongmei Yang von der Changchun Universität für Chinesische Medizin in China hat nun den Fokus auf weitere Mechanismen gerichtet, die ebenfalls eine Rolle für die Entstehung von Alzheimer spielen könnten. Dabei suchten die Forschenden nach sogenannten posttranslationalen Modifikationen im Gehirn. Dabei handelt es sich um kleine Anhängsel an Proteine, die deren Funktion beeinflussen können.

Eine dieser Modifikationen ist die sogenannte S-Nitrosylierung (SNO). Das Anhängsel ist in diesem Fall eine Stickoxid-Gruppe. Frühere Studien hatten bereits darauf hingedeutet, dass diese Modifikation eine Rolle bei neurodegenerativen Erkrankungen spielen könnte. Auf der Suche nach entsprechenden Veränderungen untersuchten Yang und sein Team jeweils zehn Gehirne von verstorbenen Frauen und Männern mit und ohne Alzheimer.

Auffallende Unterschiede

„Insgesamt identifizierten wir in allen menschlichen Hirngeweben 1.450 Proteine mit SNO-Modifikationen“, berichten Yang und seine Kollegen. In Alzheimer-Gehirnen waren zwar nur unwesentlich mehr SNO-Proteine zu finden, doch ihre Zusammensetzung unterschied sich deutlich von der in Gehirnen ohne Alzheimer. Mit statistischen Methoden bestimmte das Forschungsteam, welche Proteine in Alzheimer-Gehirnen im Vergleich zu Nicht-Alzheimer-Gehirnen besonders häufig S-nitrosyliert waren.

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Auf dieser Basis erstellten die Wissenschaftler ein Ranking von Proteinen, die womöglich für die Alzheimer-Erkrankung relevant sind. Veränderungen stellten sie dabei unter anderem bei Proteinen fest, die an der sogenannten Autophagie beteiligt sind, also einem Prozess, bei dem Zellen überflüssige oder defekte Bestandteile in ihrem Inneren abbauen. „Das könnte möglicherweise auf bisher unbekannte Wege der Krankheitsentstehung bei Alzheimer hinweisen“, so das Forschungsteam.

C3-Protein
Die Veränderungen des Immunproteins C3 fördert den irrtümlichen Abbau von Synapsen im Gehirn – und trägt damit zur Alzheimer-Demenz bei.© Chang-ki Oh und Stuart Lipton/ Scripps Research Institute

Veränderungen vor allem bei Frauen

Besonders auffällig waren die Veränderungen beim sogenannten Komplementfaktor C3, einem Protein, das eine wichtige Rolle im angeborenen Immunsystem spielt. Die Analyse zeigte, dass die modifizierten C3-Proteine vor allem in weiblichen Alzheimer-Gehirnen vorkamen. „Im Vergleich zu weiblichen Nicht-Alzheimer-Gehirnen wiesen die weiblichen Alzheimer-Gehirne einen 34,2-fachen Anstieg an SNO-C3 auf“, berichtet das Autorenteam. Bei männlichen Alzheimer-Gehirnen war der Anstieg dagegen nur 5,6-fach.

„C3 wurde bereits früher mit der Alzheimer-Pathologie in Verbindung gebracht, aber es war nicht bekannt, dass es S-nitrosyliert ist oder geschlechtsspezifisch verteilt ist“, erklären Yang und seine Kollegen. In Versuchen mit menschlichen Stammzellen wiesen sie nach, dass die veränderten C3-Proteine tatsächlich den Abbau von Nervenzellen begünstigen: Sie bringen Abwehrzellen dazu, irrtümlich auch intakte Synapsen zu zerstören.

Nach den Wechseljahren fehlt der Hormonschutz

Die Analysen zeigten zudem, dass das weibliche Geschlechtshormon Beta-Östradiol verhindern kann, dass das Immunprotein C3 modifiziert wird. Dies könnte erklären, warum Frauen jenseits der Wechseljahre häufiger an Alzheimer erkranken als Männer: „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass beta-Östradiol Frauen vor der Menopause vor der S-Nitrosylierung von C3 schützen kann“, so die Autoren.

Da der Östrogenspiegel jedoch nach der Menopause sinkt, schwindet dieser Schutz. Als Folge kommt es im Gehirn der Frauen häufiger zur krankmachenden Umwandlung der C3-Proteine und dies wiederum macht sie anfälliger für Alzheimer. Die Erkenntnisse helfen außerdem, die Entstehung von Alzheimer besser zu verstehen und so zukünftig womöglich bessere Möglichkeiten zur Früherkennung und Behandlung zu finden (Science Advances, 2022, doi: 10.1126/sciadv.ade0764)

Quelle: Scripps Research Institute

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