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Medizin

Umwelthormon passiert Plazenta

Schutzbarriere im Mutterleib ist für östrogenähnlich wirkende Chemikalie durchlässig

Umweltöstrogen
Das Umwelthormon Zearalenon kann die Plazenta passieren und so zum ungeborenen Kind gelangen, wie nun ein Experiment belegt. © Universität Wien

Risiko fürs Kind: Die mütterliche Plazenta ist gegenüber Schadstoffen offenbar weniger dicht als gedacht. Denn Forscher haben nachgewiesen, dass ein östrogenähnlich wirkendes Umwelthormon die Schutzbarriere zwischen Mutter und Kind durchdringen kann. Einen Teil des Schadstoffs wandelt die Plazenta zudem in noch stärker hormonell wirkende Abbauprodukte um, wie die Wissenschaftler berichten. Dadurch wird das ungeborene Kind erhöhten Östrogenwerten ausgesetzt – mit potenziell schädlichen Landzeitfolgen.

Ob der Weichmacher-Zusatzstoff Bisphenol A, perfluorierte Chemikalien oder polychlorierte Biphenyle (PCB): Viele Chemikalien in Alltagsprodukten und unserer Umwelt haben eine hormonähnliche Wirkung und gelten daher als endokrine Disruptoren. Nehmen wir sie über Nahrung, Luft, Wasser oder Hautkontakt auf, kann dies Unfruchtbarkeit, Übergewicht und Stoffwechselkrankheiten verursachen. Einige dieser Umwelthormone stehen zudem im Verdacht, schon im Mutterleib auf das ungeborene Kind zu wirken.

Wie durchlässig ist die Plazenta?

Doch wie gelangen diese Umwelthormone zum ungeborenen Kind? Normalerweise wirkt die mütterliche Plazenta als Schutzbarriere gegenüber solchen Stoffen: „Die Plazentaschranke bietet dem ungeborenen Kind einen gewissen Schutz gegenüber Bakterien, Viren und manchen Fremdstoffen wie zum Beispiel bestimmten Medikamenten oder vom Körper aufgenommene Umweltgifte“, erklärt Erstautor Benedikt Warth von der Universität Wien.

Allerdings gibt es schon länger Hinweise darauf, dass die Plazentaschranke nicht alle Schadstoffe abhalten kann. So wiesen Forscher kürzlich nach, dass Rußpartikel aus der Luft bis zum ungeborenen Kind gelangen können. Warth und sein Team haben nun untersucht, ob und wie Umwelthormone die Plazentaschranke durchdringen können. Sie nutzten dafür bei Kaiserschnitten entnommene Plazenten.

WEizen
Fusarium-Schimmelpilze befallen Getreide meist schon auf dem Feld. Die weißen Ähren des Weizens zeigen hier den Befall an. © CSIRO

Umweltöstrogen als Testfall

Für ihren Versuch leiteten die Forscher auf der mütterlichen Plazentaseite statt Blut eine Lösung des östrogenähnlich wirkenden Stoffs Zearalenon in die Gefäße ein. Zearalenon wird von Schimmelpilzen der Gattung Fusarium gebildet und ist daher häufiger in Brot, Cerealien und anderen getreidebasierten Lebensmitteln zu finden. Auf der dem Kind zugewandten Seite untersuchten die Wissenschaftler, ob und wie viel von dem Umweltöstrogen ankam. Zur Kontrolle führten sie das gleiche Experiment mit reiner Nährlösung durch.

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Das Ergebnis: „Unser Versuch enthüllte einen schnellen Transfer des Zearalenon durch die menschliche Plazentaschranke“, berichten Warth und seine Kollegen. Schon kurz nach dem Zusatz des Hormons zum künstlichen Kreislauf stieg auch die Konzentration des Zearalenons im Plazentateil des Kindes. Sechs Stunden nach der Perfusion waren gut 15 Prozent des ursprünglich eingebrachten Zearalenons im künstlichen Kindskreislauf nachweisbar.

Erhöhtes Risiko fürs Kind

Und noch etwas enthüllte der Versuch: Beim Transport durch den Mutterkuchen werden offenbar Teile des Umwelthormons chemisch verändert. Dadurch bildet sich aus Zearalenon ein neues Stoffwechselprodukt mit einer um etwa Faktor 70 höheren Östrogenaktivität, wie die Forscher berichten. Selbst geringe Belastungen mit solchen Umwelthormone könnten damit auf das Kind im Mutterleib einen größeren Effekt haben als bisher angenommen.

„Unseres Wissens nach ist dies der erste Nachweis des Transfers und der Verstoffwechselung von Zearalenon in der menschlichen Plazenta“, sagen Warth und seine Kollegen. Der Versuch demonstriert, dass dieses Umweltöstrogen und möglicherweise auch weitere Umwelthormone die schützende Schranke der Plazenta durchdringen können. Sie könnten so die Entwicklung des ungeborenen Kindes beeinflussen und stören.

„Risikobewertungen sollten angepasst werden“

Aus Studien mit Tieren, aber auch Untersuchungen beim Menschen weiß man, dass vorgeburtlich erhöhte Östrogenwerte langfristige Auswirkungen auf die spätere Gesundheit und Fortpflanzung haben können. So steht ein pränataler Östrogenüberschuss im Verdacht, eine verfrühte Pubertät und Unfruchtbarkeit zu fördern. Auch Autismus, Brust- oder Gebärmutterhalskrebs könnten durch zu viel Östrogen im Mutterleib begünstigt werden.

„Die neuen Erkenntnisse sollten in künftigen Risikobewertungen berücksichtigt werden – auch wenn die Grenzwerte schon jetzt in Kindernahrung und Muttermilchersatzprodukten strenger geregelt sind als für normale Produkte und die EU die weltweit niedrigsten Grenzwerte eingeführt hat“, sagt Benedikt Warth. „Bis weitere Forschungsergebnisse vorliegen, kann man lediglich zu einer abwechslungsreichen Ernährung raten, um die Belastung mit den Giftstoffen zu reduzieren.“ (Environmental Health Perspectives, 2019; doi: 10.1289/EHP4860)

Quelle: Universität Wien

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