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Genetik

Steinzeit-Gen beeinflusst unsere Langlebigkeit

Günstige APOE-Genvarianten stammen von frühgeschichtlichen Einwanderern

DNA
Die Variante unseres APOE-Gens beeinflusst unsere Lebensdauer und das Alzheimer-Risiko. © Blackjack3D/ Getty images

Genetischer Import: Europäer verdanken ihre Langlebigkeit zum Teil jungsteinzeitlichen Einwanderern. Denn erst diese brachten eine günstige Genvariante des APOE-Gens mit, wie DNA-Analysen steinzeitlicher Skelette enthüllen. Während die Jäger und Sammler in Europa die ungünstige und mit erhöhtem Alzheimer-Risko verbundenen Genvariante APOE4 besaßen, trugen einwandernde jungsteinzeitliche Bauern und die zur Bronzezeit eintreffenden Steppennomaden  vermehrt die günstige Langlebigkeitsvariante APOE2.

Wie lange wir leben, hängt nicht nur von unserer Lebensweise und äußeren Faktoren ab, sondern auch von den Genen. Schon länger ist bekannt, dass dabei ein Gen eine besondere Rolle spielt: das APOE-Gen. Es liefert den Bauplan für Apolipoprotein E, das eine wichtige Rolle für den Cholesterin-Abbau, Fettstoffwechsel und für Entzündungsreaktionen spielt. Studien zeigen, dass die Genvariante APOE2 die Langlebigkeit fördert. APOE4 erhöht dagegen das Alzheimer-Risiko und verkürzt daher die Lebenserwartung.

Apolipoprotein E
Das Apolipoprotein E spielt eine wichtige Rolle für den Fettstoffwechsel und Entzündungsreaktionen. © B. Rupp, C.A. Peters-Libeu/ gemeinfrei

Im heutigen Europa tragen bis zu zwölf Prozent der Menschen die günstige Genvariante APOE2. Beim Alzheimer-Risikogen APOE4 variiert der Anteil dagegen von Norden nach Süden: In Nordeuropa tragen rund 22 Prozent APOE4, im Süden dagegen nur rund sechs Prozent. Die restliche Bevölkerung trägt die neutrale Variante APOE3.

Genvarianten-Fahndung in alter DNA

Doch wie kommt diese Verteilung zustande? Und wo liegen die Wurzeln dieser verschiedenen APOE-Varianten? Das haben nun Daniel Kolbe von der Universität Kiel und seine Kollegen herausgefunden. Für ihre Studie hatten sie DNA-Daten von 358 bis zu 12.000 Jahre alten menschlichen Skeletten aus dem europäischen Raum ausgewertet. Auf Basis dieser Daten ermittelte das Team, welche APOE-Varianten die verschiedenen Populationen trugen, die Europas Frühgeschichte geprägt haben.

Das überraschende Ergebnis: Anders als bisher gedacht gehen die unterschiedlichen Anteile der drei APOE-Genvarianten nicht primär auf natürliche Selektion innerhalb der europäischen Bevölkerung zurück. Denn die günstige APOE2-Variante war ursprünglich in Europa gar nicht präsent. Stattdessen trugen die steinzeitlichen Jäger und Sammler zu rund 40 Prozent die schädliche APOE4-Variante, der Rest das neutrale APOE3-Gen.

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Einwanderer brachten günstige APOE-Varianten mit

Dies änderte sich erst mit der Jungsteinzeit und der neolithischen Revolution: „Wir konnten zeigen, dass die heutige Verteilung der Varianten in Europa vor allem durch zwei große Einwanderungen vor 7.500 Jahren und vor 4.800 Jahren und den anschließenden Vermischungen von Bevölkerungsgruppen entstanden ist“, berichtet Kolbe. Die erste Veränderung bewirkten die aus Anatolien einwandernden jungsteinzeitlichen Bauern. Sie trugen fast kein APOE4 und brachten erstmals das günstige APOE2-Gen nach Europa.

Die zweite Veränderung im APOE-Genpool kam mit dem Einstrom der Steppennomaden in der Bronzezeit. Die Jamnaja hatten einen höheren APOE4-Anteil als die ersten Bauern, aber auch deutlich mehr APOE2. Sie trugen damit ebenfalls dazu bei, die Langlebigkeitsvariante APOE2 in Europa zu etablieren. „Die Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa können im Großen und Ganzen durch diese beiden demografischen Prozesse erklärt werden“, sagt Kolbe. Während Südeuropäer mehr Gene der jungsteinzeitlichen Bauern tragen, wurden die Populationen in Nordeuropa stärker von den Steppennomaden geprägt.

APOE4 war für Jäger und Sammler günstiger

Doch wie kamen diese APOE-Unterschiede in den eingewanderten Populationen zustande? Und was waren die Folgen für ihre Träger? „Diese Unterschiede sind wahrscheinlich als Anpassungen an die spezifischen Ernährungs- und Lebensweisen der beiden Gruppen entstanden“, erklärt Kolbe. Da weder die Jäger und Sammler noch die ersten Bauern sehr alt wurden, spielten Alzheimer und die generelle Langlebigkeit bei ihnen wahrscheinlich noch keine selektive Rolle.

Für die Steinzeit-Jäger könnte die verbesserte Immunabwehr durch APOE4 ein Vorteil gewesen sein. Denn diese Genvariante steigert die entzündliche Reaktion bei Infektionen. „Jüngste Forschung hat gezeigt, dass APOE4 in einer pathogenreichen Umgebung mit einer verbesserten kognitiven Entwicklung und einer erhöhten Fruchtbarkeit einhergeht“, berichtet das Team.

Studien belegen zudem, dass viel Bewegung und ein aktiver Lebensstil die Nachteile der APOE4-Genvariante ausgleichen können. „Es könnte daher sein, dass die Jäger und Sammler der schlechten Variante im wahrsten Sinne des Wortes davongelaufen sind, da sie täglich lange Strecken zu Fuß zurückgelegt haben“, sagt Kolbe. Noch heute tragen Naturvölker mit einer Jäger-und-Sammler-Lebensweise einen höheren Anteil von APOE4.

Steinzeitbauern profitierten von APOE2 und 3

Bei den jungsteinzeitlichen Bauern kamen andere Faktoren zum Tragen: Die Genvariante APOE2 fördert die Verdauung stärkereicher Ernährung beispielsweise mit Getreide. Das in Bezug auf die Langlebigkeit neutrale APOE3 könnte zudem die Speicherung von Kalorien in Form von Fett als Reserve für schlechte Zeiten erleichtert haben, wie die Forschenden erklären.

Der Anteil von APOE4 war bei den frühen Bauern dagegen niedrig, weil sie seltener neuen Erregern ausgesetzt waren, dafür aber mehr entzündungsfördernden Umwelteinflüssen wie Rauch und gesättigten Fetten. Die APOE4-Variante wurde daher im Laufe der Zeit herausselektiert. (Aging Cell, 2023; doi: 10.1111/acel.13819)

Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

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