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Medizin

Sind Adipositas, Diabetes und Co ansteckend?

Vermeintlich nicht übertragbare Leiden könnten von einem Menschen auf den anderen übergehen

Übergewicht
Einige Forscher glauben: Übergewicht und andere Volksleiden sind womöglich ansteckend. © FredFroese/ iStock.com

Spannende Theorie: Volkskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Leiden könnten doch ansteckend sein – über das Mikrobiom. Wie ein internationales Forscherteam postuliert, spielen demnach nicht nur Gene, Lebensstil und andere Umwelteinflüsse eine Rolle für solche Erkrankungen, sondern auch die Darmflora. Und diese Bakterien könnten durch engen Kontakt von einem Menschen auf den anderen übertragen werden. Was an dieser Hypothese dran ist, ist allerdings noch unklar.

Adipositas, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs gehören zu den sogenannten Volkskrankheiten: Sie betreffen eine Vielzahl von Menschen und machen einen Großteil der weltweiten nicht-natürlichen Todesfälle aus. Als Ursache dieser Leiden gilt eine Kombination aus genetischer Veranlagung, dem Lebensstil und anderen Umweltfaktoren. Der gängigen Annahme nach sind sie daher nicht ansteckend – anders als etwa eine Virusinfektion.

Die Rolle des Mikrobioms

Genau dieses Dogma stoßen Brett Finlay von der University of British Columbia in Vancouver und seine Kollegen nun jedoch um. Sie glauben: Adipositas und Co könnten sehr wohl ansteckend sein. „Wenn sich unsere Hypothese als richtig herausstellt, wird sie unsere Auffassung der öffentlichen Gesundheit völlig neu definieren“, konstatiert Finlay. Wie aber kommen die Forscher zu ihrer Vermutung?

Zentraler Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass bei vielen Erkrankungen das Mikrobiom eine besondere Rolle spielt. Die mikrobielle Lebensgemeinschaft in unserem Körper beeinflusst unsere Gesundheit demnach entscheidend mit. Zunehmend zeigt sich dies zum Beispiel für unsere Darmflora, die unter anderem bei Patienten mit Übergewicht, entzündlichen Darmkrankheiten oder Diabetes Typ 2 deutlich verändert ist.

Direkte Übertragung

Dass eine veränderte Zusammensetzung des Mikrobioms tatsächlich mitverantwortlich für solche Erkrankungen sein könnte, legen Ergebnisse aus Laborexperimenten nahe: Entnimmt man etwa das Darmmikrobiom einer fettleibigen Maus und transferiert es in ein gesundes Tier, wird dieses ebenfalls übergewichtig.

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Das Entscheidende: Finlay und sein Team fanden zahlreiche Indizien dafür, dass eine Übertragung des Mikrobioms nicht nur durch gezielte Eingriffe möglich ist – sie passiert mitunter auch von selbst. „Hält man Labortiere wie Süßwasserpolypen zusammen, gleicht sich zunächst ihr Mikrobiom und in der Folge auch ihre äußere Erscheinungsform an“, berichtet Mitautor Thomas Bosch von der Christian-Albrechts-Universität Kiel. „Wir konnten nachweisen, dass dabei die Mikroben direkt von einem Individuum zum anderen gelangen.“

Auch beim menschlichen Zusammenleben?

Konkret bedeutet das: Die Anpassung der mikrobiellen Lebensgemeinschaft kommt nicht ausschließlich dadurch zustande, dass die Tiere ähnlich leben und denselben Umwelteinflüssen ausgesetzt sind. Tatsächlich könnten sich die Mikroben zwischen ihnen übertragen. „Möglicherweise findet diese Übertragung des Mikrobioms auch beim menschlichen Zusammenleben statt, zum Beispiel durch intensive soziale Kontakte oder in gemeinsamen Wohnungen“, vermutet Bosch.

Erweist sich diese Annahme als richtig, hätte dies nach Ansicht der Wissenschaftler weitreichende Konsequenzen für die öffentliche Gesundheit. Doch auch wenn die neue Theorie plausibel erscheint: Dass Adipositas und Co ansteckend sein könnten, ist bisher noch ein Gedankenexperiment mit vielen Unbekannten. „Wir wissen zum Beispiel immer noch nicht, in welchen Fällen diese Form der Übertragung zunimmt oder ob auch ein gesunder Zustand übertragen werden kann“, sagt Mitautorin Maria Gloria Dominguez-Bello von der Rutgers University in New Jersey.

„Näher erforschen“

In Zukunft wollen die Forscher das Ansteckungspotenzial vermeintlich nicht-übertragbarer Krankheiten daher näher untersuchen. Dabei wollen sie zum Beispiel herausfinden, wie das Mikrobiom mit bestimmten Umweltbedingungen und genetischen Faktoren bei der Übertragung verschiedener Leiden zusammenwirkt.

„Die neue Hypothese macht klar, dass wir Störungen der mikrobiellen Besiedlung des Körpers viel stärker als bisher als Krankheitsursache in Betracht ziehen und auch die potenziellen Übertragungswege näher erforschen müssen“, schließt Bosch. (Science, 2020; doi: 10.1126/science.aaz3834)

Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

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