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Medizin

Senioren bekommen oft falsche Arzneimittel

Fast jeder fünfte Rentner erhält Mittel, die für ältere ungeeignet und sogar gefährlich sind

Nicht jeder Wirkstoff ist für ältere Menschen geeignet © iStock.com

Falsch verschrieben: Fast jeder fünfte Senior in Deutschland bekommt von seinem Arzt ungeeignete oder sogar gefährliche Medikamente. Sie können bei älteren Menschen schädliche Neben- oder Wechselwirkungen verursachen, weil sie nicht mehr gut aufgenommen oder abgebaut werden. Das Erschreckende daran: Welche Arzneimittel das sind, verrät schon seit Jahren eine offizielle Liste.

Wenn man sich blind auf das Können und Wissen des Arztes verlässt, kann das fatale Folgen haben. Denn längst nicht immer verschreiben Mediziner die Medikamente, die für einen die richtigen sind. Erst im letzten Jahr zeigte beispielsweise eine Studie, dass in Deutschland jedes dritte Antibiotikum völlig zu Unrecht verschrieben wird. Das fördert nicht nur Resistenzen, es kann gerade bei Kindern auch langfristige Folgen haben. 2013 ergab eine Erhebung, dass bei älteren Menschen jedes dritte Rezept unnötig ist.

Doch bekommen Senioren offenbar nicht nur zu viel, sondern oft schlicht die falschen Arzneimittel verschrieben. Das belegt nun die Studie des Wissenschaftlichen Instituts für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG) der Techniker Krankenkasse. Die Forscher haben dafür die Verordnungszahlen der Kasse aus den Jahren 2008 bis 2012 analysiert.

Jeder fünfte bekommt das Falsche

Das Ergebnis: Knapp 19 Prozent aller Menschen über 65 Jahren erhielten in den letzten Jahren Medikamente, die im Alter ungeeignet sind oder gefährliche Neben- oder Wechselwirkungen verursachen können. Allein 2012 waren 1,8 Millionen ältere Menschen betroffen. „Trotz eines leichten Abwärtstrends werden nach wie vor viel zu viele kritische Medikamente verordnet“, sagt Frank Verheyen, Leiter des WINEG.

Denn schon seit längerem weiß man, dass sowohl Kinder als auch ältere Menschen auf Medikamente teilweise anders reagieren als junge oder mittelalte Erwachsene. Im Alter verlangsamt sich der Stoffwechsel, daher können manche Wirkstoffe nicht mehr so gut aufgenommen oder abgebaut werden. Die Folgen davon können vermehrte Stürze, Nierenschäden oder Magenblutungen sein.

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Fehlverschreibungen trotz Liste

Das Erschreckende daran: Es gibt schon seit 2010 eine Auflistung der Wirkstoffe, die für Senioren nicht empfohlen werden, die sogenannte Priscus-Liste. In ihr sind für Deutschland 83 Arzneimittel aufgelistet, die für Senioren potenziell gefährliche Wirkstoffe enthalten. Diese sollen daher nur nach einer genauen Nutzen-Risiko-Bewertung vom Arzt verordnet werden.

Zu den gelisteten Stoffen gehören bestimmte Medikamente gegen Bluthochdruck, Depressionen und Schmerzmittel. Die Liste führt ebenfalls therapeutische Alternativen auf, die für Senioren verträglicher sind – das Wissen ist demnach durchaus abrufbar. Dennoch scheint dies nur wenig geändert zu haben: „Das Verordnungsverhalten der Ärzte hat sich aufgrund der Priscus-Liste offenbar nicht grundlegend verändert“, resümiert Verheyen.

Es ginge auch anders

Das Seltsame ist: Die für Senioren ungeeigneten Mittel werden diesen sogar häufiger verschrieben als Patienten jüngeren Alters. So erhalten Menschen über 65 Jahren bei Durchblutungsstörungen in den Beinen dreimal häufiger Priscus-Mittel als Jüngere. Auch bei Depressionen verschreiben Ärzte den Senioren häufiger als Jüngeren Priscus-Arzneien.

„Ein Blick auf Dänemark zeigt, dass es auch anders geht: Dort erhalten nur knapp sechs Prozent der Senioren kritische Arzneimittel“, kritisiert Verheyen. Und für den Arzt reicht im Zweifel auch bei uns ein Blck in die Priscus-Liste, um nach verträglicheren Alternativen zu suchen. Doch diese Mühe macht sich offensichtlich längst nicht jeder Mediziner.

Die Priscus-Liste im Netz

(Techniker Krankenkasse, 15.10.2015 – NPO)

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