Die Schleimhaut unseres Darms ist von Milionen Bakterien besiedelt. Ein Teil von ihnen ernährt sich von dem sie bedeckenden Schleim. Wiener Forschern ist es nun erstmals gelungen, in den Darm einer Maus hineinzuschauen und diese Mikroben quasi „live“ beim Fressen der Darmschleimhaut zu beobachten. Die Identifizierung zweier solcher „Schleimfresser-Arten“ trage dazu bei, die Rolle von Darmbakterien bei der Entstehung verschiedener Krankheiten besser zu verstehen, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Die Schleimschicht im Darm hat lebenswichtige Funktionen für den Organismus. Sie dient als Barriere für das Eindringen krankheitserregender Mikroorganismen in den Körper und spielt zudem bei der Nahrungsverdauung eine große Rolle. Die Schleimhaut wechselwirkt dabei mit den – sie zu Millionen besiedelnden – Darmbakterien. Wissenschaftler wissen seit Längerem, dass ein Ungleichgewicht dieses komplexen Gefüges im Zusammenhang mit Übergewicht, entzündlichen Darmerkrankungen und sogar Autismus steht. Deshalb versuchen sie zu verstehen, welche Bakterien im gesunden Organismus diese Schleimschicht bewohnen, sich von ihr ernähren und sie gegen den Angriff durch Krankheitserreger schützen.
Wie Kühe auf der Weide
Um herauszufinden, für welche Mikroben der Mäuse-Darmflora die Mukosa eine Delikatesse darstellt, entwickelten die Forscher von der Universität Wien ein spezielles Verfahren. „Wir haben uns einen Versuchsaufbau ausgedacht, mit dessen Hilfe es uns weltweit zum ersten Mal gelungen ist, in den Darm hineinzuschauen und die Organismen beim Abweiden des Schleims direkt zu beobachten und zu messen, wie viel Schleim von ihnen aufgenommen wurde“, erklärt Alexander Loy vom Department für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien. „Wie die Kuh auf der Wiese weidet, so weiden dort die Bakterien auf dem durch die Darmschleimhaut ausgeschiedenen Schleim, “ beschreibt Michael Wagner, ein Kollege Loys, die Situation im Darm der Versuchstiere.
Für die Identifizierung der Schleimfresser gingen die Mikrobiologen so vor: Sie injizierten eine isotopenmarkierte Aminosäure in die Schwanzvene der Mäuse. Dabei handelte es sich um ein Molekül, über das bekannt ist, dass es nach der Injektion größtenteils im Mukosa-Schleim landet.“Nach wenigen Stunden konnte man mit Hilfe der Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie tatsächlich feststellen, dass die Isotopen im Darmschleim angekommen sind und dort von Bakterien abgebaut wurden.“ Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, um jene Bakterien identifizieren zu können, die sich von der Schleimschicht ernähren.
Markierte Aminosäuren verraten Schleimfresser
Dafür kam ein neues Gerät mit dem Kurznamen NanoSIMS zum Einsatz – ein modernes Sekundärionen-Massenspektrometer. „Mit Hilfe dieser Technik können wir für jede Mikrobenzelle in einer Darmprobe die Menge an aufgenommenen stabilen Isotopen genau quantifizieren“, erläutert Arno Schintlmeister, der die Analysen an dem Gerät durchführte. Über die Menge der Isotope in den Bakterienzellen lässt sich bestimmen, wie viel von der Aminosäure die Einzeller zu sich genommen haben und somit wie groß die von ihnen verzehrte Menge Schleims ist.
Anschließend muss nur noch bestimmt werden, um welche Bakterienarten es sich bei den gefräßigsten von ihnen handelt. So lässt sich dann feststellen, welche Arten sich von Schleimhaut ernähren und welche nicht. „Wir konnten eine Reihe von schleimfressenden Mikroorganismen eindeutig identifizieren. Die wichtigsten Spieler sind Akkermansia muciniphilia und Bacteroides acidifaciens“, erläutert Wagner. „Die Darm-Mikrobiota ist weltweit ein ganz heißes Forschungsthema, da viele Krankheiten mit der Zusammensetzung unserer Darm-Mikroorganismengemeinschaften zu korrelieren scheinen – von Fettleibigkeit über Autismus bis zu entzündlichen Darmerkrankungen.“
Mit ihrer Studie hätten sie jetzt erstmalig die Funktion einzelner Darmbakterien direkt gemessen, so der Mikrobiologe. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2013; doi: 10.1073/pnas.1219247110 )
(Universität Wien, 05.03.2013 – NPO)