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Neurobiologie

Parkinson: Nicht-invasiver Hirnschrittmacher in Sicht?

Tiefe Hirnstimulation funktioniert auch ohne operativen Eingriff

Im Versuch stimulierten die Forscher unter anderem erfolgreich eine bestimmte Region im Hippocampus (grün leuchtend) ihrer tierischen Probanden. © Nir Grossman et al.

Hirnschrittmacher ohne OP: Für die tiefe Hirnstimulation müssen Parkinson-Patienten bislang Elektroden ins Gehirn implantiert werden. Das könnte sich künftig ändern: Wissenschaftler haben im Versuch mit Mäusen erstmals tiefliegende Hirnregionen durch auf dem Kopf aufliegende Elektroden gezielt stimuliert – ohne dabei auch darüberliegende Bereiche im Gehirn zu beeinflussen. Der Ansatz könnte die Therapiemethode weniger riskant machen und sie dadurch für mehr Betroffene öffnen, hofft das Team.

Bei Parkinson-Leiden ist die tiefe Hirnstimulation bereits eine anerkannte Behandlungsmethode – und auch bei Erkrankungen wie Depressionen oder Magersucht zeigt sich ihr Einsatz in ersten Studien vielversprechend. Es scheint, dass die Stimulation bestimmter tiefliegender Hirnregionen mit schwachen elektrischen Impulsen die Symptome von Betroffenen erheblich zu lindern vermag.

Allerdings funktioniert die Technik nur invasiv und ist nicht ohne Risiken. Denn den Patienten müssen dafür dünne Elektroden implantiert werden, über die ein Impulsgeber Signale an das Gehirn sendet. Deshalb wird die Methode aktuell nur bei besonders schweren Krankheitsverläufen angewendet, wenn andere Therapien versagen. Dank Wissenschaftlern um Nir Grossman vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge könnte sich das jedoch bald ändern.

Ohne Operation

Das Team hat einen Weg gefunden, tiefe Hirnregionen ohne operativen Eingriff zu beeinflussen: mithilfe von auf die Kopfhaut aufgelegten Elektroden. Solche nicht-invasiven Methoden wie die sogenannte transkranielle magnetische Stimulation kommen derzeit bereits für die Stimulation oberflächlicher Gehirnbereiche zum Einsatz. Tiefer liegende Regionen lassen sich mit diesem Ansatz allerdings nur schwer stimulieren.

Das Problem: Um zu Strukturen im Inneren des Gehirns vorzudringen, müssen elektrische Signale auch die darüberliegenden Bereiche passieren. Dabei jedoch werden diese Regionen womöglich ebenfalls stimuliert. Eine gezielte Beeinflussung nur ganz bestimmter tiefliegender Regionen schien daher bisher unmöglich. „Die entscheidende Frage ist, wie wir ein tiefliegendes Ziel stimulieren, ohne gleichzeitig die darüberliegenden Regionen zu beeinflussen“, sagt Grossmans Kollege Ed Boyden.

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Interaktion in der Tiefe

Grossman und seine Kollegen nutzten für ihren Ansatz nun eine typische Eigenschaft von Neuronen aus: Sie reagieren nur auf Impulse in niedrigen Frequenzen. Das Team arbeitete daher mit hochfrequenten Impulsen, die über zwei Elektroden ins Gehirn geschickt werden und beim Passieren der oberen Hirnregionen keine Stimulation verursachen.

Das Entscheidende: Im Inneren kommt es zu einem interessanten Phänomen. Dort, wo sich die elektrischen Ströme der beiden Elektroden treffen, interagieren sie miteinander. Dabei entsteht in dieser Region ein Strom von niedriger Frequenz – und der regt die Neuronen in diesem Bereich an. „Die Neuronen reagieren auf diese durch überlappende Ströme erzeugten Impulse. Welcher Mechanismus dahintersteckt, wissen wir allerdings noch nicht genau“, sagt Boyden.

Gezielte Stimulation

Im Test mit Mäusen zeigten die Forscher, dass sie mithilfe dieser Methode tiefliegende Hirnregionen wie den Hippocampus gezielt anvisieren können. Welche Region erregt werden sollte, ließ sich dabei durch Verändern der Frequenz sowie der Zahl und der Position der Elektroden zuverlässig bestimmen. So gelang es ihnen unter anderem, unterschiedliche Bereiche des motorischen Kortex zu stimulieren, wodurch die Nager ihre Gliedmaßen, Ohren oder Schnurrhaare bewegten.

„Wir können einen bestimmten Hirnbereich präzise beeinflussen und dabei nicht nur eine neuronale Aktivierung, sondern auch Verhaltensreaktionen erreichen“, sagt Mitautorin Li-Huei Tsai. „Das ist spannend, weil Parkinson und andere Bewegungsstörungen in einer speziellen Hirnregion zu entstehen scheinen – und wenn man diese anvisieren kann, hat man die Möglichkeit, die Störung zu beheben.“

Bald Tests am Menschen

Weitere Experimente offenbarten zudem, dass die Hirnstimulation keine schweren Nebenwirkungen zu haben scheint. Sie schädigte weder Gehirngewebe, noch löste sie Krampfanfälle aus oder erhitzte die Hirnzellen über das natürliche Maß hinaus, wie das Team berichtet. Der einzige Haken im Vergleich zur invasiven Variante: Noch gelingt die Stimulation nicht ganz so fokussiert wie mit implantierten Elektroden.

Trotzdem hoffen die Wissenschaftler, dass die tiefe Hirnstimulation dank der neuen Methode künftig mehr Patienten zur Verfügung steht. Weil der Ansatz weniger riskant und noch dazu günstiger ist, könnten in Zukunft auch Betroffene mit weniger schweren Krankheitsbildern von der Behandlung profitieren. Grossman und seine Kollegen planen, ihre Methode schon bald an menschlichen Probanden zu testen. (Cell, 2017; doi: 10.1016/j.cell.2017.05.024)

(Cell Press/ Massachusetts Institute of Technology, 06.06.2017 – DAL)

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