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Medizin

Neues Schmerzmittel wirkt besser als Opioide

Wirkstoff ist 100-fach potenter als Morphin, macht aber nicht abhängig

Der neue Wirkstff AT-1221 dockt an gleich zwei Opioid-Rezeptoren an - das macht ihn potent, aber nicht suchtauslösend. © Wake Forest Baptist Medical Center

Hoffnung für Schmerzpatienten: Forscher könnten eine potente Alternative zu gängigen Opioid-Schmerzmitteln entdeckt haben. Der neue Wirkstoff hemmt bei Rhesusaffen Schmerzen 100-fach effektiver als Morphin, macht aber weder abhängig noch treten Atemlähmungen oder andere Opioid-typische Nebenwirkungen auf, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Science Translational Medicine“ berichten. Sollte diese Wirkung auf den Menschen übertragbar sein, könnte dies Schmerzpatienten weltweit helfen.

Ob im Rücken, Kopf oder den Gelenken: Millionen Menschen weltweit leiden unter chronischen Schmerzen. Vielen von ihnen helfen nur noch Opioide – Derivate des Opiums, die durch Andocken an sogenannten mu-Opioid-Rezeptoren in Rückenmark und Gehirn die Schmerzreize blocken. Das Problem: Opioide machen süchtig und ihre Wirkung schwächt sich durch einen Gewöhnungseffekt nach einiger Zeit ab. Zudem wirken Opioide in höheren Dosen atemlähmend und können womöglich das Schmerzgedächtnis sogar stärken, statt es zu löschen, wie zwischenzeitlich gehofft.

Fahndung nach dem perfekten Bindungspartner

Weltweit suchen Wissenschaftler daher nach Schmerzmitteln, die ähnlich effektiv wirken wie die gängigen Opioide, aber nicht deren Nebenwirkungen und Suchtpotenzial besitzen. Ein solches Mittel könnten nun Huiping Ding von der Wake Forest School of Medicine in den USA und sein Team entdeckt haben. Für ihre Studie hatten sie gezielt nach Molekülen gesucht, die nicht nur am mu-Opioid-Rezeptor binden, sondern auch an einer weiteren Opioid-Andockstelle, dem Nociceptin-Rezeptor.

„Moleküle, die am Nociceptin-Rezeptor andocken, verstärken die schmerzstillende Wirkung des Mu-Rezeptors auf der Ebene des Rückenmarks und Gehirns“, erklären die Forscher. „Sie erzeugen aber nicht die Atemlähmung und Abhängigkeiten anderer Wirkstoffe.“ Am Computer testeten sie zahlreiche Molekülen daraufhin durch, wie gut sie an die Nociceptin-Rezeptoren banden und optimierten die besten Kandidaten durch chemische Modifikation.

Bei Rhesusaffen hat sich AT-121 bereits als hochwirksam und verträglich erwiesen. © Jakub Ha&

100-fach potenter als Morphin

Bei AT-121 wurden die Wissenschaftler fündig: Dieses Molekül dockte mit hoher Effizienz am mu- und am Nociceptin-Rezeptor an und aktivierte die entsprechenden Signalketten schon bei niedriger Dosis. Wie gut dieses Mittel im lebenden Organismus gegen Schmerzen wirkt, testeten Ding und seine Kollegen anschließend mit Rhesusaffen. Diese erhielten verschiedene Dosen AT-121 unter die Haut gespritzt und absolvierten dann Schmerztests. Auch die Nebenwirkungen des Mittels untersuchten die Forscher.

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Das Ergebnis: Bereits eine sehr geringe Dosis von AT-121 hemmte die Schmerzen der Affen genauso effektiv wie ein klassisches Opioid. „Die Analyse der Dosis-Wirkungs-Kurve zeigte, dass diese Wirkung 199 Mal potenter war als Morphin“, berichten die Forscher. Bereits 0,01 Milligramm pro Gramm Körpergewicht blockte die Schmerzreize – beim Morphin wird dafür ein Gramm pro Kilogramm benötigt.

Kein Suchtpotenzial feststellbar

Doch wie sah es mit dem Suchtpotenzial des Wirkstoffs aus? Dafür bekamen die Rhesusaffen Schalter, mit denen sie sich selbst Dosen der Opioide Kokain, Remifentanyl oder Oxycodon oder aber von AT-121 verabreichen konnten. Wie erwartet führten die Opioide schon nach wenigen Tagen zur suchttypischen Verstärkung: Die Affen verabreichten sich immer mehr davon und litten bei erzwungenem Absetzen unter Entzugserscheinungen, wie die Forscher berichten.

Nicht so bei AT-121: Die Rhesusaffen betätigten den Schalter für eine neue Dosis bei diesem Mittel nicht häufiger als im Kontrollversuche mit Kochsalzlösung. Auch Entzugserscheinungen traten nicht auf. Ein weiterer Versuch ergab zudem, dass selbst bei zehnfach überhöhter Dosis von AT-121 weder Atemlähmungen noch Herz-Kreislauf-Komplikationen auftraten. „Die Tiere zeigten auch keine Schläfrigkeit oder Einschränkung in der Motorik“, berichten Ding und seine Kollegen.

Wirksam auch beim Menschen?

Nach Ansicht der Forscher könnten AT-121 und ähnliche Wirkstoffe damit eine vielversprechende Alternative zu den klassischen Opioiden sein. „Unserer Studie nach ist AT-121 nicht nur verträglich und macht nicht abhängig, es wirkt auch noch sehr effektiv gegen Schmerzen“, sagt Dings Kollege Mei-Chuan Ko. Stattdessen scheint es sogar eine bestehende Abhängigkeit von Oxycodon oder anderen Opioid-Schmerzmitteln aufheben zu können.

Eine ähnlich gute Wirkung beim Menschen sei durchaus wahrscheinlich, betonen die Forscher. Denn Rhesusaffen sind als Primaten bereits eng mit uns Menschen verwandt. „Die Tatsache, dass diese Ergebnisse mit nichtmenschlichen Primaten erzielt wurden ist von großer Bedeutung“, erklärt Ko. „Es zeigt, dass Verbindungen wie AT-121 das Potenzial haben, auch beim Menschen effektiv als Alternative zu gängigen Opioid-Schmerzmitteln zu wirken.“

Tatsächlich haben schon andere Forscherteams Wirkstoffe gefunden, die beispielsweise bei Mäusen erfolgreich waren. Der Schritt von der Maus zum Menschen scheitert jedoch deutlich häufiger. Ob AT-121 tatsächlich auch bei uns wirkt und sicher ist, müssen nun erst noch weitere Versuche klären. (Science Translational Medicine, 2018; doi: 10.1126/scitranslmed.aar3483)

(Wake Forest Baptist Medical Center, 31.08.2018 – NPO)

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