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Medizin

Neue Gehirnzellen gegen Parkinson

Gehirn setzt „Selbsthilfe-Mechanismus“ gegen Dopaminmangel und Zelltod ein

Versuche an Primaten haben die entscheidende Bedeutung des Botenstoffs Dopamin für das Wachstum neuer Gehirnzellen belegt. Jetzt haben Forscher ein völlig neues Prinzip der Selbstreparatur des Gehirns entdeckt. Daraus könnte zukünftig vielleicht ein Heilmittel gegen Parkinson und Schlaganfall entwickelt werden.

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Gehirnzellen können absterben, aber nicht nachwachsen, so lautete lange Zeit das Credo der Hirnforscher – eine „Reparatur des Gehirns“ im Falle neurodegenerativer Krankheiten wie Morbus Parkinson sei also unmöglich. Vor einigen Jahren aber zeigte sich, dass auch im Gehirn von Menschen bis ins hohe Alter Stammzellen in der Lage sind, neue Neuronen hervorzubringen. Mit dieser Entdeckung verbindet sich die kühne Hoffnung, ein „Gegenmittel“ für den zum Beispiel mit der Parkinson-Krankheit oder einem Schlaganfall verbundenen Zelltod im Gehirn zu entwickeln.

Dopamin auch bei Primaten entscheidend

Bereits Mitte des Jahres 2004 hatten Wissesnchaftler nachgewiesen, dass der Botenstoff Dopamin neurale Stammzellen von Nagetieren so stimulieren kann, dass neue, funktionierende Gehirnzellen entstehen. In den renommierten Fachjournalen Journal of Neuroscience und Brain haben Mitglieder der Forschergruppen in Marburg und Paris nun zwei weitere Publikationen veröffentlicht, die zum einen ihre Ergebnisse im Versuch an Primaten bestätigen und zum anderen einen bislang unbekannten Selbsthilfemechanismus des Gehirns aufdecken.

Im Journal of Neuroscience berichten der Medizinstudent Nils Freundlieb und Dr. Günter Höglinger gemeinsam mit Kollegen vom Institut de la Santé et de la Recherche Médicale (INSERM), Paris, erstmals darüber, dass der Prozess der Neurogenese auch bei Primaten durch den Botenstoff Dopamin beeinflusst wird. „Bislang war nur von Nagetieren bekannt“, erklärt Freundlieb, „dass Regulationsfaktoren wie Dopamin eng mit der Neubildung von Gehirnzellen zusammenhängen. Wir konnten dieses Ergebnis nun an Primaten bestätigen und damit erstmals einen molekularen Beeinflussungsmechanismus der Neurogenese beim Primaten nachweisen. Näher an den Menschen kann man mit Tierversuchen nicht kommen.“

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Wichtige Rolle für Regeneration des Gehirns

Die Forscher hatten ihren Versuchstieren das Parkinsongift MPTP verabreicht. Es verhindert, dass das Gehirn – wie auch bei der Parkinson-Krankheit – mit ausreichenden Mengen an Dopamin versorgt wird. Auch die Subventrikuläre Zone (SVZ), die bei vielen Tieren das größte Reservoir an neuralen Stammzellen darstellt, leidet dabei unter Dopaminmangel.

„Wir haben nachgewiesen“, so Freundlieb, „dass das verringerte Dopaminniveau in der SVZ dazu führt, dass die neuralen Stammzellen nur noch in stark verringertem Maße neue Gehirnzellen bilden. Dopamin spielt also auch bei Primaten eine entscheidende Rolle für die Neurogenese im Gehirn.“ Die Forscher hoffen nun, dass sich aus ihren Erkenntnisse langfristig Therapien entwickeln lassen, die das Gehirn von Parkinson-Kranken so stimulieren, dass zerstörte Nervenzellen durch neue ersetzt werden können.

„Selbsthilfe-Mechanismus“ bei Dopaminmangel

Fast zeitgleich erschien im Fachjournal Brain eine Arbeit, an der Günter Höglinger und Nils Freundlieb ebenfalls maßgeblich beteiligt waren. Gemeinsam mit Forschern des INSERM konnten die Marburger Neurologen erstmals nachweisen, dass das Gehirn von Primaten über einen bislang unbekannten Selbsthilfemechanismus verfügt, der dem Absterben von Gehirnzellen im Verlauf der Parkinson-Krankheit entgegenwirkt. „Wir haben festgestellt“, erklärt Freundlieb, „dass bestimmte Nervenzellen im Gehirn, die sonst den Botenstoff GABA produzieren, im Verlauf der Krankheit plötzlich beginnen, Dopamin zu produzieren.“ Angesichts des Dopaminmangels, der typischerweise bei der Parkinson-Krankheit auftritt, greife das Gehirn also zur Selbsthilfe.

„Wir haben somit ein völlig neues Prinzip der Selbstreparatur des Gehirns aufgewiesen, eine so genannte ‚phänotypische Transdifferenzierung‘ von reifen Nervenzellen. Weil aber nur sehr wenige dieser ‚GABAergen Mikroneurone‘ spontan auf die Dopaminproduktion umstellen, suchen wir nun nach einem Mechanismus, der diesen Prozess gezielt verstärken könnte.“ Mit ihrer Arbeit widerlegten die Wissenschaftler andere Publikationen, in denen spekuliert wurde, diese Dopamin produzierenden Nervenzellen würden im Verlauf der Krankheit aus Stammzellen neu entstehen. „Tatsächlich aber“, so Höglinger, „existieren sie bereits zuvor, erweitern aber ihren Aufgabenbereich. Das ist, als würden Fabriken zur Herstellung von Ziegeln angesichts einer Hungersnot plötzlich auch Kuchen backen, um den Mangel auszugleichen.“

Unterdessen widmet sich die junge Forschergruppe zahlreichen weiteren Fragen. „Wir wollen natürlich noch genauer wissen, was die Kontrolle der Neubildung von Nervenzellen im erwachsenen Gehirn durch Dopamin funktionell bedeutet“, so Höglinger. „Es könnte durchaus sein, dass sich bestimmte Symptome der Parkinson-Krankheit wie Depressionen, Riechstörung und nachlassende Gedächtnisleistung tatsächlich auf die verringerte Neubildung von Gehirnzellen zurückführen lassen. Die von uns nachgewiesenen Mechanismen könnten aber auch wichtige Rollen bei anderen Erkrankungen wie Schizophrenie oder Sucht spielen.“ Viele dieser Zusammenhänge seien zwar höchstwahrscheinlich, vermutet Höglinger, „bislang konnte sie aber niemand beweisen.“

(Universität Marburg, 24.02.2006 – NPO)

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