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Medizin

Europa: Neue Corona-Mutante breitet sich aus

Stamm 20A.EU1 entstand in Spanien und wurde von Urlaubern in andere Länder eingeschleppt

Corona Europa
Die neue Virusmutante 20A.EU1 ist in Spanien entstanden und hat sich im Sommer von dort aus über Europa ausgebreitet. © imaginima/ iStock.com

Infektiöses Urlaubsmitbringsel: Eine neue Mutante des Coronavirus SARS-CoV-2 hat sich seit dem Sommer in Europa ausgebreitet, wie Genanalysen enthüllen. Der durch mindestens sechs Mutationen veränderte Virenstamm entwickelte sich im Nordosten Spaniens und wurde von Urlaubern in andere europäische Länder eingeschleppt. In einigen davon setzte sich diese Mutante durch und macht heute 40 bis 90 Prozent der genetisch analysierten Virenproben aus.

Das Coronavirus SARS-CoV-2 verändert sich langsam aber stetig. Schon im Mai 2020 detektierten Forscher hunderte Mutationen am RNA-Genom des Erregers, seither sind es noch mehr geworden. Eine dieser Viren-Mutanten, die sogenannte G614-Variante, hat sich inzwischen sogar zur weltweit dominierenden Form entwickelt und frühere Varianten verdrängt. Dazu kommen einige lokale Mutanten, wie der in Asien nachgewiesene, möglicherweise weniger aggressive Δ382-Stamm.

Sechs Mutationen an Virenproteinen – mindestens

Jetzt scheint sich auch in Europa eine kontinentspezifische Mutante von SARS-CoV-2 auszubreiten, wie Emma Hodcroft von der Universität Basel und ihre Kollegen berichten. Für ihre Studie hatten sie in der globalen Plattform Nextstrain gesammelte Genomsequenzen des Coronavirus aus ganz Europa verglichen, um die Entwicklung und Verbreitung des Erregers nachzuvollziehen.

Dabei stießen die Forscher auf eine neue, im Frühjahr noch nicht aufgetretene SARS-CoV-2-Variante. „Die 20A.EU1-Variante unterscheidet sich von den ursprünglichen Sequenzen an sechs oder mehr Positionen“, berichten Hodcroft und ihr Team. Verändert sind unter anderem Aminosäure-Abfolgen an der inneren Virenhülle, dem Nucleoprotein, aber auch am krönchenartig vorstehenden Spike-Protein des Virus.

Ursprung liegt in Nordost-Spanien

Entstanden ist die neue Virenmutante Mitte Juni bei einem Superspreader-Ereignis unter Landarbeitern im Nordosten Spaniens. Von dort übertrug sich der neue 20A.EU1-Stamm auf die lokale Bevölkerung und nach und nach auf das ganze Land. „Innerhalb eines Monats nach Nachweis der ersten Sequenz dieses Clusters springt die Prävalenz in Spanien auf 60 Prozent“, berichten die Wissenschaftler. Heute macht diese Mutante fast 80 Prozent der Virus-Sequenzen in Spanien aus.

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Gleichzeitig jedoch schaffte die neue Coronavirus-Mutante den Sprung in andere Länder: Nachdem die meisten europäischen Grenzen im Juni und Juli 2020 wieder für den Reiseverkehr geöffnet waren, wurden auch erste 20A.EU1-Varianten von aus Spanien zurückkehrenden Urlaubern in ihre Heimatländer eingeschleppt. Dort verbreitet sich diese Virenvariante weiter. „20A.EU1 nimmt in einigen europäischen Ländern inzwischen einen großen Anteil ein“, so Hodcroft und ihr Team.

Nicht in allen Ländern gleich

In Deutschland, Italien, Lettland und Norwegen gab es den Gendaten zufolge nur jeweils eine Einschleppung, die sich seither offenbar nicht weiter verbreitete. Denn im September und Oktober war in diesen Ländern nur wenige Probe mit dieser Mutante von SARS-CoV-2 nachweisbar. Auch in Schweden und den Balkanländern kommt die 20A.EU!-Variante bislang kaum vor.

20A.EU1 Häufigkeit
Häufigkeit von 20A.EU1 in den verschiedenen Ländern. Die Größe der Kreise gibt den Anteil der Mutante an, die Farbe steht für das Land. Unten finden sich diese Farben in einem genetischen Stammbaum wieder. © Universität Basel/ Nextstrain, Mapbox, OpenStreetMap

Anders ist dies dagegen in den Ländern, in die diese Virenmutante mehrfach eingeschleppt wurde – möglicherweise wegen besonders vieler Spanienurlauber und fehlenden Quarantäneregelungen für Rückkehrer. „Viele dieser eingeschleppten 20A.EU1-Viren haben sich dann in der Bevölkerung verbreitet“, sagt Koautorin Tanja Stadler von der ETH Zürich. Beispiele dafür sind Großbritannien, Irland, die Schweiz und auch die Niederlande. In Frankreich hat sich die eng mit 20A.EU1 verwandte 20A.EU2-Variante von SARS-CoV-2 ausgebreitet.

Inzwischen sind diese neuen Mutanten des Coronavirus die in Europa am weitesten verbreiten. In Großbritannien macht 20A-EU1 rund 90 Prozent aller analysierten Virenproben aus, in Irland rund 60 Prozent und in der Schweiz und den Niederlanden zwischen 30 und 40 Prozent.

Ist die neue Mutante leichter übertragbar?

Bisher ist unklar, warum diese neue europäische Virenmutante so erfolgreich ist. Denn ob diese Mutationen das Verhalten des Coronavirus verändern, ist bislang nicht bekannt. Allerdings scheint sich 20A-EU1 in den Ländern, in die es mehrfach eingeschleppt wurde, überproportional stark weiterverbreitet zu haben. „Seine Häufigkeit in Großbritannien stieg auch nach Ende der quarantänefreien Reisen und dem Ende der sommerlichen Reisezeit weiter an“, berichten die Forscher.

Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass sich diese Virenvariante schneller überträgt als konkurrierende Varianten. Noch wurden jedoch keine Laborversuche durchgeführt, um dies zu überprüfen. „Es ist wichtig festzuhalten, dass es derzeit keinen Hinweis darauf gibt, dass die Verbreitung der neuen Variante auf einer Mutation beruht, die die Übertragung erhöht oder den Krankheitsverlauf beeinflusst“, betont Hodcroft.

..oder war sie nur zur rechten Zeit am rechten Ort?

Eine andere Erklärung wäre, dass diese Mutation von SARS-CoV-2 einfach zur rechten Zeit am rechten Ort entstand: mitten in der Urlaubs-Reisezeit und in einem Land, das als Reiseziel in Europa besonders beliebt ist. „Wenn die Einschleppungen durch Personenkreise erfolgten, die in Spanien zu riskantem Verhalten neigten und ein solches Verhalten auch zuhause zeigten, dann könnten diese epidemiologischen Faktoren allein ausreichen, um die Ausbreitung von 20A.EU1 zu erklären“, schreiben Hodcroft und ihr Team.

Dafür spricht, dass sich die neue Coronavirus-Mutante nicht in allen Ländern durchsetzen konnte, in die sie eingeschleppt wurde. „Tatsächlich dominieren in einigen Ländern mit einem signifikanten Anstieg der Covid-19-Fälle andere Varianten“, erklärt Hodcrofts Kollege Richard Neher. „Es ist nicht die einzige Variante, die in den letzten Wochen und Monaten im Umlauf war.“

Pandemie-Maßnahmen reichten nicht aus

Nach Ansicht der Wissenschaftler demonstriert die Ausbreitung von 20A.EU1 in Europa aber in jedem Falle, dass die Pandemie-Schutzmaßnahmen im Sommer sehr löchrig waren. „Langfristige Grenzschließungen und strenge Reisebeschränkungen sind weder durchführbar noch wünschenswert“, sagt Hodcroft. „Aber anhand der Ausbreitung von 20A.EU1 scheint klar zu sein, dass die getroffenen Maßnahmen oft nicht ausreichten, um die Weiterverbreitung der neuen Variante zu stoppen.“

In jedem Fall sei es wichtig, das Coronavirus SARS-CoV-2 und seine Mutanten fortlaufend genetisch zu überwachen. „Nur durch die Sequenzierung des viralen Genoms können wir neue SARS-CoV-2-Varianten identifizieren, wenn sie auftauchen, und ihre Ausbreitung innerhalb und zwischen den Ländern überwachen“, sagt Neher. Bisher allerdings sei die genetische Überwachung auch in Europa noch lückenhaft. (medRxiv Preprint, doi: 10.1101/2020.10.25.20219063)

Quelle: Universität Basel

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