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Umwelt

Neonicotinoide: Abbauprodukt schädigt auch menschliche Nervenzellen

Belastung durch gespritztes Obst und Gemüse könnte bereits negative Effekte auslösen

Imidacloprid
Obwohl das Neonicotinoid Imidacloprid in der EU verboten ist, sind seine Rückstände und Abbauprodukte noch immer auf Obst und Gemüse präsent. © Alex Raths/ Getty images

Nicht nur für Insekten giftig: Bestimmte Abbauprodukte von Neonicotinioid-Pestiziden können auch menschlichen Nervenzellen schaden, wie nun eine Studie belegt. Denn sie binden an Rezeptoren auf Dopamin-sensiblen Nervenzellen und stören deren Funktion. Ein Abbauprodukt des Pestizids Imidacloprids erwies sich dabei als ebenso giftig wie reines Nikotin. Für negative Effekte seien schon Konzentrationen ausreichend, wie sie durch Verzehr von gespritztem Obst und Gemüse im Körper entstehen können, berichtet das Forschungsteam.

Neonicotinoide gehören zu den weltweit am häufigsten eingesetzten Spritzmitteln gegen Schadinsekten. Ihre Rückstände finden sich im Honig, im Wasser und auf vielen Arten von Obst und Gemüse. Lange galten diese Mittel als harmlos, weil sie gängiger Ansicht nach nur das Nervensystem bestimmter Insekten schädigen. Inzwischen ist jedoch klar, dass auch nützliche Insekten wie Bienen und Wespen beeinträchtigt werden. Die EU hat deshalb 2018 den Freilandeinsatz der drei Neonicotinoide Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam verboten.

Umstritten ist allerdings, ob Neonicotinoide auch für Wirbeltiere und den Menschen giftig sind. Plötzliche Vogelsterben nach dem Einsatz von Imidacloprid, ein Kollaps von Fischbeständen sowie eine appetithemmende Wirkung von pestizidbehandelten Samen auf Zugvögel legen zumindest nahe, dass die Wirkung weniger insektenspezifisch ist als gedacht. Zellkulturtests deuten zudem darauf hin, dass auch menschliche Nervenzellen auf die Neonicotinoide reagieren.

Neonicotinoid-Abbauprodukt im Blick

Eine weitere Bestätigung dafür liefern nun Forschende um Dominik Loser von der Universität Tübingen und Konstanz. Sie haben untersucht, welche Wirkung ein häufiges Abbauprodukt des Neonicotinoids Imidacloprid auf menschliche Nervenzellen hat. Die Chemikalie DN-Imidacloprid entsteht beim lichtinduzierten Zerfall des Pestizids, aber auch durch den Abbau von Imidacloprid im Körper. Bisher war aber unklar, in welchem Maße auch diese Chemikalie biologische Wirkungen entfaltet.

„DN-Imidacloprid wurde auf diversen Nahrungsmitteln wie Äpfel, Tomaten, Auberginen und Kartoffeln nachgewiesen“, erklären die Wissenschaftler. Das Abbauprodukte erreicht dabei Konzentrationen von bis zu 30 Mikrogramm pro Kilogramm auf Äpfeln und bis zu 300 Mikrogramm pro Kilogramm auf Futtergetreide. Zwar ist das Neonicotinoid selbst inzwischen in der EU verboten, auf importiertem Gemüse und Obst sei es jedoch weiterhin häufig, so das Team.

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Für ihre Studie setzten Loser und seine Kollegen Zellkulturen von Dopamin-sensiblen Nervenzellen des Menschen verschiedenen Dosen von DN-Imidacloprid aus und maßen, wie dies die Signalfunktion der Neuronen beeinflusste. Messbar wird dies am Einstrom von Calcium-Ionen durch die Zellmembran der Nervenzellen.

Ähnlich giftig für Nervenzellen wie reines Nikotin

Das Ergebnis: Ähnlich wie das Nervengift Nikotin greift auch DN-Imidacloprid stark in die Nervenzellfunktion ein. Das Pestizid-Abbauprodukt bindet an nikotinische Acetylcholinrezeptoren (nAChR) auf der Zelloberfläche und führt dadurch zuerst zu einer Überregung, dann zu einer Desensitisierung – die Nervenzellen ist quasi gelähmt und reagiert nicht mehr auf eintreffende Reize. „Dieser Effekt könnte von toxikologischer Bedeutung sein, denn die nAChR-Reizleitung spielt eine wichtige Rolle im Zentralnervensystem“, schreiben die Forschenden.

Die Experimente ergaben zudem, dass die neurotoxische Wirkung des Pestizid-Abbauprodukts stärker ist als die des Imidacloprids selbst. Das DN-Imidacloprid wirkte ähnlich stark wie reines Nikotin – das als starkes Nervengift gilt. „Die Daten aller Tests sprechen eindeutig für eine3 höhere Potenz des DN-Imidacloprid im Vergleich zu seinem Ausgangsstoff“, konstatieren Loser und seine Kollegen.

Bedenkliche Werte schon durch belastete Ernährung

Was aber bedeutet dies für den Alltag? Können Menschen durch Verzehr von gespritztem Obst und Gemüse so viel Imidacloprid und DN-Imidacloprid aufnehmen, dass Schadwirkungen zu befürchten sind? Auch das haben die Forschenden untersucht. Dafür gingen sie von der Aufnahme von 0,016 Milligramm DN-Imidacloprid pro Kilogramm Körpergewicht aus – einem Wert, der über gespritzte Nahrung erreicht werden kann.

Diese Aufnahme des Pestizid-Derivats führt dazu, dass es im Blut Konzentrationen von 50 bis 100 Nanomol erreicht, im Gehirn sogar etwas mehr, wie das Team berichtet. Aus ihren Zellkulturversuchen ging hervor, dass die Übererregung der Neuronen bei 100 bis 300 Nanomol einsetzt. „Diese Konzentration sind demnach nahe an denen, die einige Menschen durch die Nahrungsmittel-Belastung erreichen“, so Loser und seine Kollegen. Für die Desensitisierung der Nervenzellen reichen sogar schon 17 Nanomol aus – Werte, die im Alltag durchaus vorkommen.

„Bioaktive, potenziell toxische Konzentrationen“

Hinzu kommt: Die Berechnungen berücksichtigen nur die Blutkonzentrationen, die durch den direkten Verzehr von DN-Imidacloprid entstehen. Weitere Mengen dieses Abbauprodukts werden jedoch im Körper gebildet, wenn das Pestizid Imidacloprid selbst aufgenommen wird – das ebenfalls vielfach noch auf Obst und Gemüse präsent ist. Geht man davon aus, dass rund zehn Prozent des Imidacloprids in DN-Imidacloprid umgewandelt wird, verdoppelt dies die Plasmakonzentration des Abbauprodukts, wie das Team erklärt.

„Unsere vorläufigen Modellierungen deuten darauf hin, dass die normale Bevölkerung bioaktive, potenziell toxische Konzentrationen von DN-Imidacloprid durch die Ernährung aufnehmen kann“, konstatieren Loser und seine Kollegen. Was dies konkret bedeutet und welche Folgen diese Belastung beispielsweise für die Gehirnentwicklung ungeborener Kinder haben könnte, müssen aber erst noch weiter untersucht werden. (Archives of Toxicology, 2021; doi: 10.1007/s00204-021-03168-z)

Quelle: NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut in Reutlingen

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