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Medizin

Molnupiravir: Tablette gegen Covid-19?

Antiviraler Wirkstoff senkt Klinikeinweisungen und Sterblichkeit um 50 Prozent

Molnupiravir
Der ursprünglich als Grippemittel entwickelte antivirale Wirkstoff Molnupiravir scheint auch gegen Covid-19 effektiv zu sein. © Plyushkin/ Getty images

Gegen schwere Verläufe: Ein antivirales Mittel in Tablettenform scheint effektiver gegen Covid-19 zu wirken als bisherige Medikamente. Laut Zwischenergebnissen einer Phase-3-Studie senkte Molnupiravir das Risiko für eine Krankhauseinweisung um rund 50 Prozent. Auch die Todesrate war gegenüber der Placebogruppe um die Hälfte reduziert. Ähnlich wie Remdesivir hemmt Molnupiravir das Kopieren der Viren-RNA, tut dies aber auf etwas andere und offenbar effektivere Weise.

Während es inzwischen wirksame und effektiv schützende Impfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 gibt, sind die Therapiemöglichkeiten für Covid-19 noch immer begrenzt. Neben einigen
Antikörper-Präparaten und Cortison-Wirkstoffen wie Dexamethason kommt vor allem das antivirale Mittel Remdesivir zum Einsatz. Dieses hemmt die Vermehrung des Coronavirus, indem es unpassende Moleküle in die kopierte RNA einbaut und so die für den Kopiervorgang zuständige Polymerase blockiert.

Das Problem jedoch: Die Kopierblockade durch Remdesivir wirkt erst mit Verzögerung und hält nicht dauerhaft an. Hinzu kommt, dass Mittel, die die Vermehrung des Coronavirus hemmen, am effektivsten zu Beginn der Infektion wirken – dann, wenn noch unklar ist, wer einen schweren Verlauf bekommt und wer nicht. Weil Remdesivir aber per Infusion verabreicht werden muss, eignet es sich kaum zur ambulanten oder gar prophylaktischen Behandlung.

Wirkstoff stört Virenvermehrung durch Mutationen

Eine Alternative könnte der antivirale Wirkstoff Molnupiravir bieten. Dieses ursprünglich gegen Influenza entwickelte Präparat setzt ebenfalls an der Kopier-Maschinerie von Viren an. Ähnlich wie Remdesivir verursacht auch dieses Medikament den Einbau falscher Bausteine in die Viren-RNA. Diese blockieren aber nicht die Funktion der Polymerase, sondern führen dazu, dass die Erbgutstränge der fertigen Virenkopien zahlreiche Mutationen enthalten.

Erste Tests mit Tieren hatten schon 2020 darauf hingedeutet, dass Molnupiravir auch gegen SARS-CoV-2 wirksam ist. 2021 folgten erste klinische Studien mit Patienten. Jetzt haben die Hersteller Merck und Ridgeback Biotherapeutics die Zwischenergebnisse der Phase-3-Studie veröffentlicht – sie sind so positiv, dass die Studie in Ansprache mit der US-Arzneimittelbehörde vorzeitig gestoppt wurde und nun der Antrag für eine Notfallzulassung läuft.

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Phase-3-Studie mit vielversprechenden Zwischenergebnissen

An der Phase-3-Studie hatten 775 Frauen und Männer teilgenommen, die einen milden bis mittelschweren Verlauf von COVID-19 zeigten und deren Symptombeginn nicht mehr als fünf Tage zurücklag. Alle Patienten hatten mindestens einen Risikofaktor für einen schweren Verlauf von Covid-19, darunter Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder ein sehr hohes Alter. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt fünf Tage lang zweimal täglich eine Tablette Molnupiravir, die andere Hälfte bekam ein Placebo.

Das Ergebnis: Am 29. Tag nach Einnahmebeginn mussten 14,1 Prozent der Placebogruppe im Krankenhaus behandelt werden, bei der Molnupiravir-Gruppe waren es nur 7,3 Prozent. Dies entspricht einer Reduktion der Klinikeinweisungen und schweren Verläufe um rund 50 Prozent. Deutliche Wirkung zeigte sich auch bei der Mortalität: In der Placebogruppe gab es acht Todesfälle, in der Molnupiravir-Gruppe keinen.

Wirksam auch gegen Virusvarianten

Positiv auch: Molnupiravir scheint gut gegen die infektiöseren und aggressiveren Varianten des Coronavirus wirksam zu sein. Rund 40 Prozent der Studienteilnehmer waren mit der Deltavariante, der in Brasilien verbreiten Gammavariante (P.1.) oder der in Kolumbien grassierenden Mu-Variante infiziert. In der Wirksamkeit des Mittels gab es trotzdem keine Unterschiede, wie Merck und Ridgeback in ihrer Mitteilung berichten.

„Angesichts dieser überzeugenden Ergebnisse sind wir optimistisch, dass Molnupiravir ein wichtiger Baustein der globalen Bemühungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie werden kann“, sagt Merck-CEO Robert Davis. Die US-Regierung scheint diesen Optimismus zu teilen, denn sie hat schon rund 1,7 Million Dosen Molnupiravir im Wert von über einer Milliarde Dollar vorbestellt.

Aber auch Fachwissenschaftler sehen durchaus Grund zur vorsichtigen Zuversicht: „Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, wäre das eine sehr vielversprechende Therapieoption. Ein großer Vorteil des Medikaments ist die orale Verabreichungsform als Tablette. Andere Medikamente im ambulanten Bereich sind nur in intravenöser Form erhältlich. Dies erschwert die Behandlung im ambulanten Bereich massiv“, kommentiert Intensivmediziner Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).

Früher Einsatz und Mutationsrisiko

Allerdings: Wie Remdesivir und die Antikörper-Präparate wirkt Molnupiravir nur, wenn es relativ früh im Verlauf der Infektion eingenommen wird. Hat bereits ein schwerer Verlauf von Covid-19 eingesetzt, spielt die Virusvermehrung nur noch eine untergeordnete Rolle im Krankheitsgeschehen. Die größte Gefahr geht dann von den körpereigenen Immun- und Entzündungsreaktionen aus. Weil anfangs aber schwer vorhersehbar ist, wer später so schwer erkranken wird, muss das Mittel günstig und verträglich genug sein, um Risikopatienten sozusagen auf Verdacht verabreicht werden zu können.

Eine weitere Einschränkung: Noch ist nicht hundertprozentig ausgeschlossen, ob Molnupiravir nicht auch Mutationen im menschlichen Erbgut oder seinen RNA-Derivaten hervorrufen kann. In frühen Tierversuchen soll es vereinzelte Hinweise auf eine solche teratogene Wirkung gegeben haben, die sich in den Folgestudien aber nicht bestätigt hat. Dennoch mussten sich alle männlichen Probanden zum Verzicht auf Sex verpflichten, Frauen eine sichere Verhütung nachweisen – weil ein während der Therapie gezeugter Embryo am ehesten von solchen Mutationen betroffen wäre.

Einsetzbar auch gegen anderen Viren?

Trotz dieser Einschränkungen gilt es als sehr wahrscheinlich, dass Molnupiravir in den USA eine Notfallzulassung der FDA bekommen wird – wenn nähere Analysen nicht doch noch unerwünschte Nebenwirkungen aufdecken. Sollte dies nicht der Fall sein, könnte der Wirkstoff nicht nur künftigen Covid-19-Patienten helfen, sondern möglicherweise auch gegen andere Viren eingesetzt werden.

„Es wird von großem wissenschaftlichem Interesse sein, die Substanz Molnupiravir auch bei anderen Viruserkrankungen einzusetzen – angefangen bei klassischen Coronaviren, die für den banalen Schnupfen verantwortlich sind, bis zu hochpathogenen Keimen wie MERS-Coronaviren, die vor wenigen Jahren insbesondere auf der arabischen Halbinsel gewütet haben. Dies bleibt jedoch spekulativ, bis weitere große randomisierte klinische Studien einen wirklichen Mehrwert belegen können“, kommentiert Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin von der München Klinik Schwabing.

Quelle: Merck, Science, Media Center

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