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Medizin

„Masern-Parties sind Körperverletzung“

Kinderarzt fordert größeres gesellschaftliches Engagement beim Impfen

Rechtzeitiger und flächendeckender Impfschutz kann die Ausbreitung gefährlicher Infektionen wie Masern verhindern. © CDC/ Judy Schmidt

Unterschätzte Kinderkrankheit: Der Impfschutz gegen Masern hat in Deutschland trotz der potenziell gefährlichen Folgen große Lücken, wie eine Studie zeigt. Viele Eltern verzichten auf eine Impfung und gefährden damit nicht nur ihre Kinder, sondern tragen auch zur Verbreitung der Krankheit bei. Ein verpflichtendes Beratungsgespräch zum Thema Impfen soll Abhilfe schaffen, schlägt der Bundesgesundheitsminister vor. Dies sei ein Schritt in die richtige Richtung, argumentiert ein deutscher Kinderarzt, denn ein Beitrag zu flächendeckendem Impfschutz sollte selbstverständlich sein.

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Viele Kinder in Deutschland sind nicht ausreichend gegen Infektionskrankheiten geimpft. Eine aktuelle Studie anhand von bundesweiten Daten der Schuleingangsuntersuchungen aus dem Jahr 2012 zeigt für den flächendeckenden Impfschutz gegen Infektionskrankheiten wie Mumps, Röteln, Masern und Tetanus große Lücken auf der Landkarte.

Besonders besorgniserregend ist die Situation bei den hochansteckenden Masern-Viren. Diese typische Kinderkrankheit wird oft unterschätzt: Masern können das Gehirn schädigen und sogar zum Tod führen. Wie schnell mangelnder Impfschutz zu einer großen Gefahr werden kann, zeigte sich im Jahr 2013, als über 1.800 Menschen teils mit schweren Folgen an Masern erkrankten.

„Masern sind keine Banalität“

Impfstoffe schützen jedoch zuverlässig vor einigen der gefährlichsten Infektionskrankheiten, auch den Masern. Der Kinder-Infektiologe Philipp Henneke vom Universitätsklinikum Freiburg sieht Impfungen daher als eine der größten Errungenschaften der modernen Medizin. Impfstoffe gehören außerdem zu den am besten untersuchten und kontrollierten medizinischen Substanzen: Unerwünschte Nebenwirkungen sind extrem selten und müssen sofort gemeldet werden.

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Dass manche Eltern so genannte „Masern-Parties“ – also das Zusammenbringen gesunder und kranker Kinder – als Alternative sehen, kann der Kinderarzt nicht verstehen: „So ein Verhalten kommt für mich einer Körperverletzung gleich. Masern sind keine Banalität, sondern eine potenziell gefährliche Erkrankung.“

Impfen ist eine öffentliche Aufgabe

Doch noch immer werde Impfen nicht als öffentliche Aufgabe wahrgenommen, so Hennecke. „Gerade bei einer so leicht übertragbaren Erkrankung wie den Masern gilt: Ich schütze andere, indem ich mich schütze“, erklärt der Arzt. Denn Mediziner gehen davon aus, dass sich eine Krankheit nicht in der Gesellschaft ausbreiten kann, wenn 95 Prozent der Bevölkerung dagegen geimpft sind.

Im bundesdeutschen Durchschnitt liegt die Durchimpfungsrate mit 92,4 Prozent knapp darunter, wie Daten anhand der Schuleingangsuntersuchungen zeigen. In einzelnen Bundesländern vor allem in Süddeutschland liegt der Schnitt jedoch viel niedriger. In Baden-Württemberg etwa erreichen nur zwei von 35 Landkreisen die empfohlene Rate von 95 Prozent. In manchen Landkreisen sind nur knapp mehr als die Hälfte der Schulanfänger gegen Masern geimpft.

Impfberatung auch für andere Krankheiten

Um die Impfsituation zu verbessern, hat Bundesgesundheitsminister Herman Gröhe eine verpflichtende Impfberatung vorgeschlagen. Diese soll stattfinden, bevor Eltern ihre Kinder in eine Kindertagesstätte geben dürfen. Der Vorschlag sieht außerdem drei zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen für Kinder vor, bei denen diese Beratung stattfinden kann. Hennecke sieht darin einen Schritt in die richtige Richtung: „Wir brauchen keine Impfpflicht, aber Impfen sollte für verantwortungsvolle Eltern selbstverständlich sein.“

Nicht nur bei den Masern, auch beim Schutz vor Mumps, Röteln und Tetanus herrscht Nachholbedarf, wie die Studie zeigt. Eine Infektion mit dem Tetanus-Erreger führt zum schwer behandelbaren und oft tödlich verlaufenden Wundstarrkrampf. Diese Impfung gehöre zur absoluten Basisversorgung, so Henneke, und führt aus: „Wir haben eine paradoxe Situation: Auf der einen Seite bittet UNICEF in der Weihnachtszeit um Spenden für Tetanus-Impfungen in Entwicklungsländern. In Deutschland hingegen verfügen wir über eine hervorragende medizinische Infrastruktur, aber den eindeutigen Impfempfehlungen wird in zu vielen Fällen nicht entsprochen.“ (Ärzteblatt, 2014; doi: 10.3238/arztebl.2014.0788)

(Deutsches Ärzteblatt, M. Weigel et al. / Uniklinikum Freiburg, 16.12.2014 – AKR)

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