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Neurobiologie

Macht Fernsehen dumm?

Langzeitstudie zeigt Abbau des verbalen Gedächtnisses bei starkem TV-Konsum

Fernsehen
Exzessiver TV-Konsum fördert offenbar den Abbau des verbalen Gedächtnisses – zumindest bei älteren Menschen.© cagkansayin/ iStock.com

Sprachlos vor der Glotze: Zu langes Fernsehen schadet möglicherweise dem verbalen Gedächtnis – gerade bei älteren Menschen. In einer großen Langzeitstudie führte ein TV-Konsum ab 3,5 Stunden täglich zu signifikanten Defiziten beim Erinnern von gesprochenen Informationen – unabhängig von sonstigen Einflussfaktoren. Wie und warum sich das Fernsehen auf das verbale Gedächnis auswirkt, ist allerdings noch unklar, wie die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“ berichten.

Das Fernsehen ist aus dem Leben vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. Doch welche Wirkungen und Nebenwirkungen der TV-Konsum hat, ist umstritten. So kann das Fernsehschauen zwar durchaus zur Bildung beitragen oder sogar die Sprachentwicklung fördern. Andererseits aber scheint exzessiver TV-Konsum gerade bei Kindern eher negative folgen zu haben: Sie haben später Probleme in der Schule und zeigen Defizite im Sozialverhalten, wie Studien belegen.

Wie wirkt Fernsehen auf das Gedächtnis?

Wie aber sieht es bei älteren Menschen aus? Sie gehören nach den Jugendlichen zu der Altersgruppe, die relativ viel Fernsehen schaut. Welche Folgen der TV-Konsum für Senioren hat, wurde jedoch bisher kaum untersucht. Allerdings haben einige kleinere Studien Hinweise darauf gefunden, dass langes Fernsehen das Arbeitsgedächtnis beeinträchtigen kann und möglicherweise sogar Demenz fördert.

Diese Hypothese haben nun Daisy Fancourt und Andrew Steptoe vom University College London im Rahmen einer sechsjährigen Langzeitstudie überprüft. Teilnehmer waren 3.590 gesunde Männer und Frauen ab 50 Jahren, von denen rund 30 Prozent noch in Voll- oder Teilzeit arbeiteten. Die Forscher untersuchten den Gesundheitszustand und die kognitiven Leistungen zu Studienbeginn und im Verlauf der sechs Jahre, außerdem erfragten sie den täglichen Fernsehkonsum der Probanden. Nach sechs Jahren werteten Fancourt und Steptoe die Daten aus.

Schlechteres Gedächtnis für Wörter

Das Ergebnis: Je nach TV-Konsum zeigtgen sich signifikante Unterschiede im verbalen Gedächtnis. „Die Teilnehmer, die mehr als 3,5 Stunden täglich fernsehschauten, hatten nach sechs Jahren ein schlechteres verbales Gedächtnis als Teilnehmer mit geringerem TV-Konsum“, berichten die Forscher. Den betroffenen Senioren fiel es signifikant schwerer, sich an zuvor gehörte Listen von Wörtern zu erinnern.

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Das Problem dabei: Das verbale Gedächtnis ist entscheidend, um sprachliche Botschaften zu erfassen und zu verarbeiten. Wir benötigen es beispielsweise, um in einem Gespräch nicht den Faden zu verlieren oder um uns eine Wegbeschreibung oder wichtige Durchsagen zu merken. Ist das verbale Gedächtnis beeinträchtigt, fällt dies zunehmend schwer und verbal vermittelte Inhalte werden nicht mehr richtig verarbeitet.

Effekt unabhängig von anderen Einflussfaktoren

Die Studie zeigte: Der gedächtnisstörende Effekt des TV-Konsums bleibt auch dann erhalten, wenn andere Einflussfaktoren wie Gesundheitszustand, Alter, die sozialen Umstände oder die Lebensweise berücksichtigt werden. Auch ein Bewegungsmangel durch das Fernsehschauen, war nur in Teilen verantwortlich. „Diese Faktoren erklärten 44 bis 55 Prozent dieses Zusammenhangs, aber nicht den Rest“, so die Forscher.“ Daher muss dieser Effekt davon unabhängig sein.“

Und noch etwas spricht nach Ansicht der Forscher dafür, dass der TV-Konsum für diese Gedächtnis-Defizite eine Rolle spielt: „Dieser Zusammenhang war dosisabhängig“, berichten Fancourt und Steptoe. Je mehr Fernsehen die Senioren täglich schauten, desto ausgeprägter war der Abbau des verbalen Gedächtnisses bei ihnen.

Warum wirkt Fernsehen so?

Was aber ist die Ursache? Dazu haben die Forscher bisher nur Vermutungen: „Laborexperimente haben gezeigt, dass Fernsehen zu einem wacheren, aber weniger fokussiertem Gehirn führt“, berichten sie. Im EEG zeigen sich dabei unter anderem weniger Alpha-Wellen, ein Schwingungstyp, der für das Lernen wichtig ist. Ein weiterer Faktor könnte ein vom TV-Konsum ausgelöster visueller und emotionaler Stress sein, denn auch Stress kann das Gedächtnis stören.

Und noch eine mögliche Erklärung gibt es: „Exzessiver TV-Konsum könnte deshalb negativ auf das Gedächtnis wirken, weil er andere, vorteilhafte Beschäftigungen wie lesen, gemeinsames Spielen oder kulturelle Aktivitäen verdrängt“, sagen Fancourt und Steptoe. „Dann wären die beobachteten Effekte nicht vom Fernsehen selbst verursacht, sondern durch die verringerte Zeit, die Menschen dadurch mit gedächtnisfördernden Tätigkeiten verbringen.“

Einfach mal abschalten

Noch bleiben zur Wirkung des Fernsehens auf das Gedächtnis viele Fagen offen, wie die Forscher betonen. „Haben beispielsweise verschiedene Sendungen unterschiedliche Effkte auf den kognitiven Abbau? Und könnte das Fernsehschauen ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz sein?“ DIese Fragen müssen nun Folgestudien untersuchen.

In der Zwischenzeit aber hilft eine einfache Vorsichtsmaßnahe: „Gerade ältere Menschen sollten, um lange geistig fit zu bleiben, von zu viel Fernsehschauen absehen“, sagt , so der DGN-Experte. (Scientific Reports, 2019; doi: 10.1038/s41598-019-39354-4)

Quelle: Nature, Deutsche Gesellschaft für Neurologie

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