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Medizin

Leukämie-Fälle an Hochspannungsleitungen überprüft

Neue Daten machen Corona-Ionisation als Ursache eher unwahrscheinlich

Hochspannungsleitung als Leukämie-Auslöser? © freeimages

Das Rätsel geht weiter: Erneut haben Forscher bestätigt, dass sich vor allem in den 1960er und 70er Jahren Leukämiefälle in der Nähe von Hochspannungsleitungen häuften. Aber die neuen Daten sprechen gegen die gängige Hypothese, nach der die elektromagnetischen Felder der Leitungen Luftschadstoffe ionisieren und sie so gesundheitsschädlicher machen, wie die Forscher berichten. Damit bleibt der Wirkmechanismus weiter unklar.

1979 sorgte eine Studie zweier US-Forscher für Aufsehen. Denn sie hatten festgestellt, dass Kinder, die in unmittelbarer Nähe von Hochspannungsleitungen aufwuchsen, häufiger an Leukämie erkrankten als Kinder außerhalb dieser Bereiche. Als Ursache hatten sie die von den Leitungen erzeugten magnetische Felder in Verdacht. Seitdem hat es mindestens 30 weitere epidemiologische Studien zu diesem Thema gegeben, die eine statistische Häufung von Leukämie und anderen Krankheiten im Umfeld der Leitungen zu bestätigen schienen – allerdings mit abnehmendem Trend seit den 1970ern.

Ist eine Corona-Ionisation schuld?

Als Folge wurden die magnetischen Felder von Hochspannungsleitungen als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft – der Wirkmechanismus allerdings blieb unbekannt. Eine der diskutierten Theorien dazu geht von einer elektrischen Aufladung von Luftschadstoffen durch die elektromagnetischen Felder der Leitungen aus. Diese sogenannte Corona-Ionisation bleibt zwar auf die unmittelbare Umgebung der Leitungen beschränkt, doch ein Teil der geladenen Teilchen kann durch den Wind weiter verdriftet werden.

„Meist ist ihre Konzentration im Umfeld einiger hundert Meter um die Leitung am höchsten“, erklären John Swanson vom Netzbetreiber National Grid und seine Kollegen von der University of Oxford. Die Corona-Ionen-Hypothese geht nun davon aus, dass diese Ionisierung die potenziell gesundheitsschädliche Wirkung der Luftschadstoffe verstärkt – und damit möglicherweise auch deren leukämiefördernden Effekte.

An heutigen Strommasten sollen sogenannte Corona-Ringe ionisierende Entladungen verhindern © DerGraueWolf / CC-by-sa 3.0

Swanson und seine Kollegen haben nun diese Hypothese anhand von 53.515 Fällen von Krebs bei zwischen 1968 und 2008 geborenen Kindern in Großbritannien überprüft. Bei den Fällen, bei denen die Kinder 600 Meter und weniger von der nächsten 123 oder 400 Kilovolt-Hochspannungsleitung entfernt wohnten, bezogen die Forscher zusätzlich Daten zur vorherrschenden Windrichtung am Wohnort mit ein, um herauszufinden, ob sich die Fälle auf der leewärtigen Seite der Leitungen häuften, wie es die Hypothese der Corona-Ionisation besagt.

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Häufung ja, aber nicht in Windrichtung

Die Auswertungen bestätigten zunächst, dass sich vor allem in den 1960er und 1970er Jahren Leukämiefälle in der Nähe von Hochspannungsleitungen häuften. Allerdings: Viele Fälle lagen mehrere hundert Meter von den Leitungen entfernt, so dass die magnetischen Felder selbst nach Einschätzung der Forscher nicht dafür verantwortlich sein können. Solche Entfernungen können allerdings durch vom Wind verwehte ionisierte Schadstoffe durchaus überbrückt werden.

Doch dann müssten sich die Leukämiefälle vor allem bei den Kindern häufen, die auf der windabgewandten Seite der Hochspannungsleitungen lebten. Das jedoch war nicht der Fall, wie die Forscher berichten. Auch die Höhe der Spannung und damit die Intensität der erzeugten elektromagnetischen Felder spielte offenbar keine Rolle: Die Zahl der Fälle unterschied sich nicht signifikant zwischen den 123 und 400 Kilovoltleitungen.

Wahre Ursache noch immer unbekannt

Nach Ansicht der Wissenschaftler spricht ihr Ergebnis eher gegen die Corona-Ionisation als Ursache für die gehäuften Leukämiefälle bei Kindern. Denn diese zeigen zwar einen Zusammenhang zur Entfernung von den Stromleitungen, nicht aber zur Windrichtung. „Unsere Studie scheint darauf hinzudeuten, dass die Leukämie nicht durch die Corona-Ionen verursacht wurde“, sagt Koautorin Kathryn Bunch von der University of Oxford.

„Das aber bedeutet, dass wir weiter nach der wahren Ursache suchen müssen.“ Die Forscher betonen jedoch auch, dass ihre Studie keineswegs ausschließt, dass nicht doch irgendwelche Feldwirkungen der Leitungen eine Rolle spielen. Möglicherweise zeige eine Weiterentwicklung der Corona-Hypothese ja noch, dass auch es auch ohne Windverdriftung entsprechende Effekte geben könne. (Journal of Radiological Protection, 2014; doi: 10.1088/0952-4746/34/4/873)

(IOP Publishing, 03.11.2014 – NPO)

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