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Medizin

Kreuzband-Riss: Eine Knie-OP muss nicht sein

Nicht-operative Therapie führt beim Riss des vorderen Kreuzbands zu ähnlich guten Ergebnissen

vorderes Kreuzband
Ein Riss des vorderen Kreuzbands ist die häufigste Knie- und Sportverletzung. © janulla/ Getty images

Gängiger Sportunfall: Bei einem Riss des vorderen Kreuzbands im Knie wird von Ärzten gerne sofort operiert. Eine Metastudie legt nun jedoch nahe, dass eine solche Knie-OP meist verzichtbar ist. Denn eine konservative Therapie mit Physiotherapie und einer anschließenden Operation nur, wenn noch nötig, bringt ähnlich gute Ergebnisse, wie die Forschenden berichten. Der Verzicht auf eine OP könnte sogar das Risiko für eine spätere Arthrose verringern.

Der Riss des vorderen Kreuzbandes ist eine der häufigsten Sportverletzungen in Deutschland. Vor allem bei Sportarten mit schnellen, abrupten Richtungswechseln wie Tennis und Fußball oder bei Skiunfällen kann es zur Verletzung des vorderen Kreuzbands kommen – oft reißt das Kreuzband mit einem hörbaren „Plopp“. Dem Knie fehlt dadurch der Stabilisator, der den Unterschenkelkopf nach vorne eingegrenzt und festhält. Oft sind bei solchen Unfällen zusätzlich die Menisken beschädigt.

Physiotherapie
In manchen Fällen reicht bei einem Riss des vorderen Kreuzbands auch eine Physiotherapie. © Jürgen Nobel/ HS Gesundheit

Sofortige Operation oder erstmal Physiotherapie?

Gerade bei jungen Patienten und Leistungssportlern empfehlen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie bisher eine sofortige Knie-Operation, bei der das Kreuzband chirurgisch rekonstruiert wird. „Eine Operation ist aber immer mit Risiken für den Patienten verbunden. Es gibt einen langen Heilungsprozess und erhebliche finanzielle Kosten für das Gesundheitssystem“, erklärt Seniorautor Daniel Belavy von der Hochschule für Gesundheit in Bochum.

Belavy, Erstautor Tobias Saueressig und ihre Kollegen haben daher untersucht, ob eine sofortige Knie-OP tatsächlich bessere Heilungschancen bietet als ein konservativer Therapieansatz, bei dem Betroffene zunächst Physiotherapie erhalten und das Knie nur dann operiert wird, wenn es nach der Rehabilitation noch nötig ist. Dafür wertete das Forschungsteam die Daten von drei randomisierten kontrollierten Studien zu insgesamt 320 behandelten Patienten aus. Diese hatten entweder direkt eine Knie-OP erhalten oder aber eine Physiotherapie mit späterer optionaler Operation.

Keine eindeutigen Unterschiede

Die Auswertungen ergaben: Entgegen landläufiger Meinung hat eine sofortige Kreuzband-Operation offenbar keine eindeutigen Vorteile. Das Forschungsteam fand keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen der frühen chirurgischen Rekonstruktion und der primären Rehabilitation mit optionaler Rekonstruktion. Den Daten zufolge erlangten Patienten bei beiden Behandlungsansätze eine ähnliche Wiederherstellung ihrer Kniefunktion.

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Eine Ausnahme könnten allerdings Sportverletzungen sein, bei denen zusätzlich zum vorderen Kreuzband auch die Menisken geschädigt sind. Zwar fand das Team auch in diesen Fällen keine statistisch signifikanten Unterschiede, aber einen leichten Trend. „Die Gruppe mit verzögerter Operation zeigte eine weniger günstige Situation bei den Menisken“, schreiben die Forschenden. „Im Falle einer solchen funktionalen Instabilität des Knies ist demnach eine chirurgische Rekonstruktion empfehlenswert.“

Arthritis nach Sofort-OP etwas häufiger

In Bezug auf eine Spätfolge – Arthritis durch Knorpelverschleiß – hatte allerdings die konservative Therapie ohne OP leicht bessere Ergebnisse: „Angenommen, 250 Patienten von 1.000 entwickeln bei konservativer Behandlung eine Knie-Osteoarthritis, dann tritt diese nach sofortiger Operation bei 75 zusätzlichen Patienten auf“, erklären Saueressig und seine Kollegen. „Damit widerlegen unsere Ergebnisse ein historisches Paradigma, nach dem anatomische Instabilitäten immer durch Operationen stabilisiert werden müssen, um einer Knie-Osteoarthritis vorzubeugen.“

Das Forschungsteam führt den etwas häufigeren Knorpelverschleiß nach einer sofortigen Kreuzband-Operation darauf zurück, dass dabei möglicherweise nicht immer der richtige Winkel zwischen Schienbein und Oberschenkelknochen wiederhergestellt wird. Dadurch kann es zu ungleichen Belastungen der Gelenkflächen und verstärktem Verschleiß kommen. Alternativ könnten auch Entzündungen durch die frühe OP oder eine zu frühe Rückkehr zu starken sportlichen Belastungen eine Rolle spielen.

Individuelle Behandlung am besten

Nach Ansicht von Saueressig und seinen Kollegen spricht all dies dafür, die Behandlungsform stärker an den individuellen Voraussetzungen und Verletzungen der Patienten auszurichten. Abhängig von der medizinischen Situation, den individuellen anatomischen Unterschieden und den funktionellen Anforderungen im Alltag und Sport sollte entschieden werden, ob eine sofortige Operation nötig ist oder ob nicht erstmal eine Physiotherapie probiert wird.

Für viele Patienten mit Kreuzband-Riss ohne schwerwiegende Begleitverletzungen sei ein stufenweiser Behandlungsansatz mit einer primär rehabilitationsorientierten Behandlung sinnvoll, erklären die Forschenden. Allerdings zeigte ihre Metastudie auch, dass es noch zu wenige belastbare Daten gibt: „Während unserer Arbeit haben wir erkannt, dass dringend weitere Studien notwendig sind, die die primäre vordere Kreuzbandrekonstruktion mit der konservativen Therapie vergleichen“, sagt Koautor Patrick Owen von der Deakin University in Australien.

Das Team plant zudem, auch die Gruppe der Profisportlerinnen und Profisportler noch einmal gezielt zu untersuchen. „Ob und wie sie mit oder ohne Operation zum Training und Wettkampf zurückkehren können, ist eine wichtige Frage, zu der wir dringend mehr Daten benötigen“, erklärt Owen. (British Journal of Sports Medicine, 2022; doi: 10.1136/bjsports-2021-105359)

Quelle: BJSM, Hochschule für Gesundheit

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