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Medizin

Krebs: Wie Chemotherapie Metastasen begünstigen kann

Bestimmte Chemotherapeutika ebnen Brustkrebszellen den Weg in die Lunge

Krebszellen
Manche Chemotherapeutika bekämpfen zwar den Krebstumor, können aber gleichzeitig die Bildung

Chemotherapien sind unsere schärfsten Waffen gegen Krebstumore – aber sie bergen auch ein Risiko: Unter bestimmten Bedingungen können sie die Bildung von Metastasen begünstigen, wie nun eine Studie mit Mäusen bestätigt. Ein unter anderem gegen Brustkrebs eingesetztes Mittel führte bei den Tieren dazu, dass Brustkrebszellen leichter aus dem Blut ins Lungengewebe eindringen und sich dort als Metastasen ansiedeln konnten, wie US-Forscher berichten.

Bei vielen Krebsarten bleibt es nicht beim Primärtumor – der Krebs streut. Dabei wandern einzelne Krebszellen aus dem Tumor aus, gelangen in die Blutgefäße und verbreiten sich mit dem Blutstrom im Körper. Finden sie dann in einem anderen Organ oder Gewebe eine geeignete „Nische“, siedeln sie sich dort an und wachsen zu einer Sekundärgeschwulst heran – der Metastase.

Wie stark ein Tumor streut, hängt dabei primär vom Krebstyp und der Reaktion des Immunsystems ab. Aber auch Faktoren wie Stress, die Ernährung, bestimmte Cortisonpräparate oder sogar manche Chemotherapeutika können die Metastasenbildung begünstigen. Wirkstoffe wie Parixatel können dabei die Loslösung von Krebszellen aus dem Tumor fördern. Andere, wie Cisplatin oder Cyclophosphamid, erleichtern es den gestreuten Krebszellen, sich im Gewebe anzusiedeln, wie Studien belegen.

Wirkung auf gesunde Zellen im Blick

Einen weiteren Weg, auf dem Chemotherapeutika Metastasen fördern können, haben nun Justin Middleton und seine Kollegen von der Ohio State University aufgedeckt. Für ihre Studie hatten sie gesunden Mäusen zunächst das häufig gegen Brustkrebs eingesetzte Mittel Cyclophosphamid verabreicht. Vier Tage später bekamen die Tiere dann eine Lösung von Brustkrebszellen in die Blutbahn gespritzt.

„Weil das Chemotherapeutikum zu diesem Zeitpunkt schon abgebaut ist, umgeht diese Vorbehandlung die direkt tumorschädigende Wirkungen des Mittels“, erklären die Forscher. Stattdessen erlaubt es diese Vorgehensweise, gezielt zu untersuchen, ob diese Behandlung die Metastasenbildung indirekt fördert – beispielsweise durch Veränderungen an gesunden Zellen und Geweben. Eine Vergleichsgruppe von Mäusen erhielt die Tumorzellen ohne vorhergehende Chemotherapie.

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Über die Gefäßwand ins Gewebe

Es zeigte sich: Bei den Tieren, die vier Tage zuvor mit Cyclophosphamid behandelt worden waren, sammelten sich schon wenige Stunden später erste Krebszellen in den Geweben der Lunge – einem typischen Ort für Brustkrebs-Metastasen. Nähere Analysen enthüllten, dass die Tumorzellen sich dabei an den Blutgefäßwänden anlagerten, statt wie sonst vom Blutstrom weiter mitgerissen zu werden. Dann drangen sie über geschwächte Zellverbindungen in den Gefäßwänden in das Lungengewebe ein.

„Das ist ein entscheidender Schritt, über den die Krebszellen quasi einen Fuß in die Tür zu einem sekundären Ansiedlungsort bekommen“, erklärt Seniorautor Tsonwin Hai. Bei den nicht behandelten Kontrolltieren gelang es dagegen weit weniger Krebszellen, auf diese Weise aus dem Blut in die Lungengewebe überzutreten. Nach Ansicht der Forscher legt dies nahe, dass die Chemotherapie die Beschaffenheit der Blutgefäßwände und ihrer Zellen beeinflusst haben muss.

Krebszellen
Das Chemotherapeutikum erleichtert es den Krebszellen (grün) aus dem Gefäß auszutreten. Dafür spielt unter anderem das Enzym MMP-2 eine Rolle.© Justin Middleton

Doppelter Effekt

Das Chemotherapeutikum ebnet den Brustkrebszellen sogar auf doppelte Weise den Weg in die Lunge: Zum einen lockert das Cyclophosphamid die Verbindungen zwischen den Gefäßzellen, die sogenannten Tight Junctions. „Die Endothelzellen an der Innenseite der Adern sind normalerweise wie eine Backsteinmauer dicht an dicht angeordnet“, erklärt Hai. Doch durch das Chemotherapeutikum entstehen Lücken, die die Basalmembran der Gefäßwand freilegen.

Zum anderen verändert Cyclophosphamid auch die Beschaffenheit der Basalmembran, wie die Forscher feststellten. Dies geschieht, indem das Mittel den Spiegel des Enzyms MMP-2 im Blut erhöht. Dies wiederum verursacht biochemische Veränderungen der Membran, die es den Krebszellen erleichtert, an ihr anzudocken. „Sobald die Krebszellen sich durch das Endothel gequetscht haben, können sie sich dann dort anlagern“, so Hai.

Beide Effekte zusammen führen dann dazu, dass gestreute Krebszellen leichter aus den Blutgefäßen in Gewebe eindringen und dort Metastasen bilden können. „Die Wirkung der Chemotherapie auf Nicht-Krebszellen verändert diese und dies wiederum hilft dem Krebs, sich auszubreiten“, sagt Hai.

Ansatzpunkt für Gegenmaßnahmen

Die gute Nachricht jedoch: Die Kenntdnis dieses Mechanismus ermöglicht es nun, gezielt gegen diese Nebenwirkung von Cyclophosphamid und möglicherweise auch anderen Chemotherapeutika anzugehen. „Unsere mechanistischen Einblicke bieten potenzielle Ansatzstellen, um diese schädlichen Effekte von Cyclophosphamid zu verringern“, erklären die Wissenschaftler. So existieren bereits Hemmstoffe gegen das Enzym MMP-2, aber auch gegen andere an dem Prozess beteiligte Proteine. (International Journal of Molecular Sciences, 2021; doi: 10.3390/ijms221910280)

Quelle: Ohio State University

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