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Medizin

Kinder-Leukämie: „Wolf im Schafspelz“

Entschlüsselte Grundlagen von bislang unheilbarem Krebs ermöglichen neue Therapien

Eine besonders aggressive Form der Leukämie bei Kindern ist bislang resistent gegen Chemotherapie. © National Cancer Institute

Hoffnung im Kampf gegen Leukämie: Gegen eine besonders aggressive und bislang unheilbare Form von Blutkrebs bei Kindern könnte es schon bald ein Medikament geben. Denn Wissenschaftler haben die genetischen Grundlagen dieser Krebsart aufgeklärt. In darauf aufbauenden Tierversuchen haben sie bereits vielversprechende Wirkstoffe entdeckt, berichten die Forscher im Fachmagazin „Nature Genetics“. Klinische Studien sollen so schnell wie möglich folgen.

Die bei Kindern am häufigsten auftretende Krebsart ist die Akute Lymphoblastische Leukämie (ALL). Sie kann in unterschiedlichen Formen auftreten, je nachdem, auf welche Art das Erbmaterial der Krebszellen verändert ist. Die Therapiemethoden gegen ALL haben sich in den letzten Jahrzehnten verbessert, so dass die Überlebenschancen für Kinder mit dieser Form von Krebs stark gestiegen sind. Leider jedoch gibt es auch immer noch Fälle, die sich mit gängigen Therapien nicht heilen lassen.

Welche Gene sind wirklich aktiv?

Eine seltene, aber besonders aggressive Form der ALL entsteht, wenn das Erbmaterial einer Tumorzelle an einer bestimmten Stelle bricht und fehlerhaft wieder zusammengesetzt wird. Dabei kann es passieren, dass zwei Gene mit den Bezeichnungen TCF3 und HLF miteinander verbunden werden – das Ergebnis ist ein Protein, das aus Teilen beider Gene besteht. Bislang war nicht klar, warum diese spezifische Art der Leukämie im Gegensatz zu anderen ALL-Formen nicht auf Therapieversuche anspricht.

Wissenschaftler um Marie-Laure Yaspo vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin haben darum untersucht, was auf molekularer Ebene in diesen aggressiven Krebszellen passiert. Dazu entschlüsselten sie einerseits das Erbgut der Tumorzellen, aber auch das sogenannte Transkriptom, also die Teile der DNA, die tatsächlich in RNA übersetzt werden. Die dadurch erhaltenen Expressionsprofile liefern wertvolle Informationen: „Sie sagen uns, welche Gene in den Leukämiezellen wirklich aktiv und damit am Krankheitsgeschehen beteiligt sind“, erklärt Yaspo.

Veränderung von außen unsichtbar

Die Forscher fanden heraus, dass zusätzlich zu den zwei fehlerhaft zusammengelagerten Genen noch andere DNA-Bereiche regelmäßig verändert sind. Die betroffenen Bereiche steuern die Entwicklung ganz bestimmter Abwehrzellen des Blutes, sogenannter B-Lymphozyten, und fördern das Zellwachstum.

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Durch ungehemmtes Wachstum verdrängen die Leukämiezellen (unten) das normalweise vielfältige Blutbild (oben) © MHH

Zusammen mit der fehlerhaften Fusion der Gene TCF3 und HLF führt dies dazu, dass sich die Leukämiezellen auf eine sehr frühe, stammzellartige Entwicklungsstufe zurückentwickeln. Von außen kann man dies den Zellen jedoch nicht ansehen, erst die Analyse der RNA-Botenmoleküle machte diese Veränderung deutlich. „Man könnte diese Form der Leukämie auch als eine Art ‚Wolf im Schafspelz‘ bezeichnen“, sagt Studienleiter Martin Stanulla von der Medizinischen Hochschule Hannover.

Hoffnung auf neue Therapien

Dieses Ergebnis lieferte den Forschern wichtige neue Ansatzpunkte für gezielte Therapien gegen ALL. Um nach Medikamenten gegen den bislang unheilbaren Kinderkrebs zu suchen, entwickelten sie ein sogenanntes „humanisiertes Mausmodell“: Sie transplantierten Leukämiezellen von erkrankten Kindern in Mäuse. An diesen Versuchstieren testeten die Wissenschaftler fast hundert neuartige Medikamente, von denen einige in der Tat eine starke Wirkung gegen die TCF3-HLF-positiven Leukämiezellen zeigten.

Als besonders effektiv erwies sich das Medikament Venetoclax in Kombination mit herkömmlicher Chemotherapie. Diese Behandlung ließ den Krebs zurückgehen und führte zu langanhaltenden Phasen ohne Krankheitszeichen. „Die Ergebnisse der durchgeführten Medikamententests stimmen uns sehr hoffnungsvoll“, sagt Versuchsleiter Jean-Pierre Bourquin vom Universitätskinderspital Zürich. „Nun müssen wir in klinischen Studien zügig prüfen, wie die Ergebnisse zukünftig für die Leukämiebehandlung optimal genutzt werden können.“ (Nature Genetics, 2015; doi: 10.1038/ng.3362)

(Max-Planck-Institut für molekulare Genetik / Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 28.07.2015 – AKR)

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