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Medizin

Influenza: Geburtsjahr bestimmt Anfälligkeit

Die erste Grippe-Infektion unserer Kindheit verleiht uns anhaltenden Schutz

Der erste Kontakt mit Grippeviren bestimmt unsere Anfälligkeit das gesamte spätere Leben über. © Marco Ojeda/freeimages, CDC

Überraschende Schutzwirkung: Der erste Kontakt mit einem Grippevirus in der Kindheit bestimmt unsere Anfälligkeit im Rest des gesamten Lebens. Denn diese erste Infektion verleiht uns einen Immunschutz gegen einen bestimmten Influenza-Grundtyp. Wann wir geboren wurden, spielt daher eine wichtige Rolle dafür, gegen welche heutigen Grippeviren wir geschützt sind, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.

Schon seit Jahrhunderten gehören Grippe-Viren zu den regelmäßigen Epidemie-Auslösern – bei Vögeln und anderen Tieren, aber auch beim Menschen. In den letzten Jahren sorgten vor allem Vogelgrippen-Viren der Stämme H5N1, H10N8 und H7N9 in Asien für Massenerkrankungen von Vögeln und zahlreiche Fälle auch beim Menschen.

Verblüffend wählerisch

Rätselhaft dabei: Diese Viren scheinen trotz ihrer rasanten Verbreitung sehr wählerisch zu sein. So hat das H7N9-Virus in China vorwiegend ältere Menschen befallen. An der H5N1-Variante erkrankten dagegen vor allem Kinder und junge Erwachsene. Aber warum? Das haben Katelyn Gostic von der University of California in Los Angeles nun genauer untersucht.

Die Forscher wollten wissen, welche Rolle frühere Grippe-Infektionen für die Influenza-Anfälligkeit spielen. Bisher ging man davon aus, dass uns eine durchlebte Grippe kaum einen länger anhaltenden Immunschutz verleiht – anders als bei vielen anderen Infektionskrankheiten. Das Influenza-Virus verändert sich zu schnell und wird daher von der Immunabwehr nicht wiedererkannt – so dachte man jedenfalls.

Um das zu überprüfen, analysierten die Forscher, welche Grippe-Vorerfahrungen 1.400 Patienten mit H7N9 und H5N1-Vogelgrippe hatten und ob es einen Zusammenhang zu Schwere der Erkrankung gab.

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Das 2013 in China aufgetauchte Influenzavirus H7N9 neuen Typs © CDC

Hongkong-Pandemie als Wendepunkt

Das überraschende Ergebnis: Es ist offenbar kein Zufall, ob jemand an den Vogelgrippe-Varianten erkrankt und wie schwer. Stattdessen entdeckten Gostic und ihre Kollegen ein auffallendes Muster: Bestimmte Geburtsjahrgänge schienen für H5N1 anfälliger zu sein, andere dagegen eher für H7N9 – und das nahezu unabhängig vom Alter der Betroffenen zum Zeitpunkt Infektion.

Bei den Vogelgrippe-Patienten aus Asien und Nordafrika erwies sich vor allem das Geburtsjahr 1968 als Grenze: Davor Geborene erkrankten häufiger an H7N9, danach zur Welt Gekommene dagegen stärker an H5N1, wie die Forscher berichten. Aber warum? Ein Ereignis stach ins Auge: Im Jahr 1968 grassierte weltweit die sogenannte Hongkong-Grippe. Diese vom Subtyp H3N2 verursachte Influenza gilt als die letzte große Grippe-Pandemie.

Übereinstimmung im Virenprotein

Nähere Analysen enthüllten: Der Erreger der Hongkong-Grippe und auch der später folgenden Influenza-Varianten gehörten alle einem bestimmten Subtyp des viralen Hämagglutinin-Proteins (HA) an. Die Patienten, die 1968 oder später geboren waren, könnten daher in ihrer Kindheit mit diesem Influenza-Typ in Kontakt gekommen sein. Vor der Hongkong-Pandemie dagegen herrschte ein anderer Hämagglutinin-Subtyp vor.

Influenza-Virus. Entscheidend für die Immunreaktion sind die beiden Oberflächenproteine Hämagglutinin und Neuramidase. © CDC

Das Entscheidende aber: Der Vogelgrippe-Stamm H7N9 gehört zum gleichen Hämagglutinin-Typ wie die nach 1968 kursierenden Grippeviren, der Stamm H5N1 dagegen zum vor 1968 dominanten HA-Typ. Aus diesen Parallelen schließen die Forscher: Ein früherer Kontakt mit den zu den jeweiligen Zeiten kursierenden Influenza-Typen muss die Patienten zumindest teilweise gegen eine schwere Infektion mit der jeweils ähnlichen Vogelgrippe schützen.

Zu 75 Prozent geschützt

Entgegen gängiger Lehrmeinung hinterlässt eine frühere Grippe-Infektion demnach durchaus einen Schutzeffekt – und das sogar gegen neue, nur in diesem Proteintyp ähnliche Influenzastämme. „Wir sind demnach kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um die Anfälligkeit gegenüber neuen Grippeviren geht“, sagt Koautor Michael Worobey von der University of Arizona in Tucson. „Selbst wenn wir noch nie einem H5 oder H7-Virus begegnet sind, haben wir gegen einen davon einen Schutz.

Und dieser Schutz ist erstaunlich effektiv: Wie die Wissenschaftler errechneten, reduziert der frühkindliche Kontakt mit dem „richtigen“ Erreger das Risiko, durch H5N1 oder H7N9 schwer krank zu werden, um rund 75 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit an der Infektion zu sterben, sinkt dadurch sogar um 80 Prozent.

Nur die erste Infektion zählt

Allerdings: Nur die allererste Grippeinfektion unseres Lebens hat offenbar diesen prägenden Effekt, wie die Forscher berichten. Denn selbst wenn die Patienten später noch an einer Grippe des jeweils anderen HA-Typs erkrankten, beeinflusste dies ihren Immunschutz gegen das ursprüngliche Virenprotein nicht.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Prägung in der Kindheit einen starken Schutz gegen die Vogelgrippe erzeugen kann“, sagt Gostics Kollege James Lloyd-Smith. Vermutlich können bestimmte Antikörper die ähnliche Struktur des Hämagglutinin-Rumpfes erkennen, glauben die Forscher. Denn anders als der Kopf des Proteins mutiert dieser kaum. Seine Struktur unterscheidet sich bei den Virusstämmen aus einer Gruppe höchstens geringfügig. (Science, 2016; doi: 10.1126/science.aag1322)

(University of California – Los Angeles / University of Arizona, 11.11.2016 – DAL/NPO)

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