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Medizin

Hat Leonardo da Vinci geschielt?

Auswärtsschielen könnte räumliche Tiefe von da Vincis Motiven erklären

Mögliches Selbstbildnis des Leonardo da Vinci - hat der Künstler leicht geschielt? © historisch

Spezieller Blick: Der berühmte Künstler Leonardo da Vinci hat möglicherweise leicht geschielt – und profitierte davon bei seiner Malerei. Indizien dafür liefert nun eine Vermessung der Sehachsen in mehreren Selbstbildnissen und Portraits des Renaissance-Genies. Nahezu alle zeigen den Maler mit einem leichten Außenschielen. Das Spannende daran: Diese Eigenheit könnte erklären, warum da Vinci die räumliche Tiefe von dreidimensionalen Landschaften und Objekten so überragend gut auf der Leinwand wiedergeben konnte.

Leonardo da Vinci war ein echtes Universalgenie. Er schuf nicht nur so ikonische Kunstwerke wie die Mona Lisa, sondern entwarf auch Fluggeräte und Roboter, studierte die menschliche Anatomie und entwickelte fortgeschrittene Ideen zu verschiedensten Naturprozessen und -phänomenen. Besonders berühmt als Maler ist da Vinci für seine Sfumato-Maltechnik und den verblüffenden Tiefeneindruck seiner Landschaften.

Ein dreidimensionales Objekt oder eine Landschaft auf der Leinwand abzubilden, erfordert eine Art Übersetzung: Das, was unser Auge im Normalfall als dreidimensional wahrnimmt, muss auf die zwei Dimensionen des Bildes heruntergebrochen werden – und das möglichst so, dass trotzdem der Eindruck großer räumlicher Tiefe entsteht.

Einäugiges Sehen hilft beim Malen

Leonardo da Vinci war in diesem Punkt ein wahrer Meister. Aber warum? War es nur seine künstlerische Begabung oder kam dem berühmten Maler möglicherweise eine medizinische Besonderheit zugute? Das hat nun Christopher Tyler von der City University London näher untersucht. Sein Verdacht: Da Vinci könnte geschielt haben – ähnlich wie Rembrandt und andere berühmte Maler.

Räumliche Tiefe: "Bacchus" von Leonardo da Vinci © historisch

Die Idee dahinter: Um einen zweidimensionalen Eindruck des realen Motivs zu bekommen, kneifen viele Künstler beim Malen vorübergehend ein Auge zu. Wenn jemand aber von Natur aus schielt, kann er einfacher auf die einäugige, zweidimensionale Sehweise umstellen – oder sieht ohnehin nur zweidimensional. Einige Formen des Schielens gelten daher als durchaus vorteilhaft für die Malerei. „Die Präsenz eines Außenschielens, vor allem wenn es nicht dauerhaft anhielt, könnte zu da Vincis außergewöhnlicher Fähigkeit beigetragen haben, einen Raumeindruck auf eine flache Leinwand zu bannen“, so Tyler.

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Sehachsen nicht parallel

Um herauszufinden, ob das stimmt, hat der Forscher sich sechs angenommene Selbstportraits und Portraits von da Vinci genauer angeschaut – zwei Ölbilder, zwei Zeichnungen und zwei Skulpturen. In ihnen analysierte er mit geometrisch-mathematischen Methoden die Sehachsen der beiden Augen des Malers.

Und tatsächlich: In fünf der sechs Darstellungen schauten da Vincis Augen nicht genau parallel. Stattdessen liefen die Blickrichtungen leicht auseinander. „Die meisten Abbildungen zeigen ein konsistentes Außenschielen mit einem Schielwinkel von im Mittel minus 10,3 Grad“, berichtet Tyler. Die gemessenen Schielwinkel wichen in den verschiedenen Darstellungen nur wenig voneinander ab. Nur im vitruvianischen Mann, der ebenfalls als eine Art Selbstportrait des Künstlers gilt, zeigten die Sehachsen minimal einwärts.

„Intermittierendes Außenschielen“

„Zusammengenommen sprechen diese Belege dafür, dass da Vinci unter einem intermittierenden Außenschielen litt“, sagt Tyler. Der berühmte Maler könnte demnach zeitweilig mit einem Auge zu weit nach außen geschaut haben. Der Clou dabei: Weil das Gehirn bei diesem Schielen die abweichenden Sehinformationen des Schielauges unterdrückt, entsteht währenddessen ein zweidimensionaler Seheindruck – und damit sieht der Maler genau das, was sich auf der Leinwand darstellen lässt.

„Sein Außenschielen verlieh da Vinci die Fähigkeit, auf eine einäugige Sehweise umzuschalten“, erklärt Tyler. „Das wieder könnte vielleicht erklären, warum er die dreidimensionalen Aspekte von Gesichtern oder die räumliche Tiefe von Landschaften so gut abbilden konnte.“ (JAMA Ophthalmology, 2018; doi: 10.1001/jamaophthalmol.2018.3833)

(JAMA Ophthalmology, 22.10.2018 – NPO)

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