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Medizin

Gentherapie gegen chronische Schmerzen?

An Mäusen haben Forscher Möglichkeiten der genetischen Schmerzdämpfung getestet

Gentherapie
Eine Variante der klassischen Gentherapie kann bei Mäusen Schmerzen dämpfen. Möglicherweise klappt das auch beim Menschen. © libre de droit/ iStock.com

Hilfe für Schmerzgeplagte? Künftig könnte vielleicht eine Gentherapie gegen chronische Schmerzen helfen. In einem Versuch dazu blockierten Forscher mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9 vorübergehend ein Schmerzgen bei Mäusen. Dies dämpfte das Schmerzempfinden und sorgte für eine langanhaltende Linderung der Beschwerden. Sollte sich der Ansatz auch bei Menschen als erfolgreich erweisen, könnte er eine Alternative zu süchtig machenden Schmerzmitteln wie Opioiden bieten.

Ob durch folgenreiche Verletzungen oder Krankheiten: Weltweit leiden viele Menschen an chronischen Schmerzen. Schätzungen zufolge ist jeder zweite irgendwann in seinem Leben davon betroffen. Als Therapie helfen derzeit in schweren Fällen oft nur Opioide. Doch diese Schmerzmittel können gravierende Nebenwirkungen haben: Sie machen süchtig und können im schlechtesten Fall sogar das Schmerzgedächtnis fördern.

„Es besteht ein dringender Bedarf an einer Behandlung, die wirksam ist, lange anhält und nicht süchtig macht“, erklärt Ana Moreno von der University of California San Diego.

Genmutation macht schmerzresistent

Sie und ihr Team erforschen daher eine alternative Behandlungsform: die Gentherapie. Die Grundidee basiert auf einer seltenen Mutation, die bei Betroffenen dazu führt, dass sie keinen Schmerz empfinden können. Die Mutation inaktiviert das Protein NaV1.7, einen Natriumkanal in schmerzübertragenden Neuronen im Rückenmark. Fehlt NaV1.7, registrieren die Betroffenen keinen Schmerz, wenn sie beispielsweise ihre Hand auf eine heiße Herdplatte legen. Andersherum führt eine Mutation, bei der mehr NaV1.7 vorhanden ist, zu einem erhöhten Schmerzempfinden.

„Indem wir auf dieses Gen zielen, könnten wir den Schmerz-Phänotyp verändern“, sagt Moreno. Dabei sei es vorteilhaft, dass das Gen nur am Schmerz beteiligt ist. Den Menschen mit einer entsprechenden Mutation fehlt der Schmerz als wichtige Warnfunktion des Körpers. „Davon abgesehen gibt es keine schweren Nebenwirkungen, die bei dieser Mutation beobachtet werden“, so die Forscherin.

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Reversible Veränderungen

Um an dieser Mutation anzusetzen, nutzten die Forschenden die Genschere CRISPR/Cas9. Klassische Gentherapien mit CRISPR/Cas9 sollen in der Regel dauerhafte Effekte erreichen, indem sie defekte Gene oder Genteile ausschneiden und durch eine funktionsfähige DNA-Abfolge ersetzen. Die Schmerzwahrnehmung soll dagegen nur für eine gewisse Zeit verringert werden. „Man möchte ja nicht dauerhaft die Fähigkeit verlieren, Schmerzen zu empfinden“, sagt Moreno.

Ihr Team setzt deshalb auf eine Variante der Technologie, bei der das Enzym Cas9 so verändert ist, dass es die DNA nicht schneidet, sondern nur daran bindet und die Ablesung der Gene blockiert. Diese Variante wird als „totes Cas9“ bezeichnet. „Es werden keine Gene ausgeschnitten, also gibt es keine dauerhaften Veränderungen am Genom“, erklärt Moreno. „Mit totem Cas9 machen wir nichts Unumkehrbares.“

Schmerzempfinden bei Mäusen gedämpft

Um ihren Ansatz zu testen, injizierten die Forscher Mäusen zunächst eine entzündungsauslösende Substanz in eine Pfote. Anschließend testeten sie, wie empfindlich die Tiere auf Schmerzreize durch Hitze, Kälte und Druck reagierten. Wie erwartet, war die entzündete Pfote schmerzempfindlicher als nicht entzündete Pfoten: Die Mäuse zogen die entzündete Pfote schneller zurück und verbrachten mehr Zeit damit, sie zu schütteln oder zu lecken.

Mäuse, denen die Forscher zuvor eine Injektion der Gentherapie verabreicht hatten, zeigten dagegen keine verstärkte Reaktion auf Schmerzreize an der entzündeten Pfote. Das deutet darauf hin, dass die Blockade von NaV1.7 tatsächlich den Entzündungsschmerz lindert. Was das Schmerzempfinden an nicht entzündeten Pfoten anging, beobachteten die Forscher keine Unterschiede zwischen Mäusen mit und ohne Gentherapie. „Das deutet darauf hin, dass das Ausschalten von NaV1.7 nur einen minimalen Effekt auf die normale thermische Sensibilität hat“, folgern die Autoren.

Ähnliche Tests machten die Forscher auch mit Mäusen, bei denen sie die Schmerzempfindlichkeit zuvor durch eine Chemotherapie erhöht hatten. Auch in diesem Fall sorgte die Gentherapie für eine verbesserte Schmerztoleranz, ohne offenkundige Auswirkungen auf sonstige sensorische und motorische Fähigkeiten zu haben. Der Effekt blieb auch viele Wochen nach Verabreichung der Gentherapie erhalten.

Funktioniert auch ohne Genschere

Die gleichen Ergebnisse erzielten die Forscher, wenn sie das entsprechende Gen nicht mit Hilfe von CRISPR/deadCas9 blockierten, sondern mit einer älteren Gen-Editing-Technik, bei der sogenannte Zinkfingerproteine dazu dienen, die Ablesung der Gene zu blockieren.

„Wir waren begeistert, dass beide Ansätze funktionierten“, sagt Morenos Kollege Prashant Mali. „Das Schöne an Zinkfingerproteinen ist, dass sie auf dem Gerüst eines menschlichen Proteins aufgebaut sind. Das CRISPR-System ist ein fremdes Protein, das von Bakterien stammt und daher eine Immunreaktion hervorrufen könnte. Deshalb haben wir auch die Zinkfinger erforscht, damit wir eine Option haben, die vielleicht besser in die Klinik übertragbar ist.“

Unternehmen zur Umsetzung in die Praxis

Um die Ergebnisse in die Praxis zu überführen, haben Moreno und Mali ein Unternehmen gegründet, das die Gentherapie gegen Schmerzen für Menschen verfügbar machen soll. Dazu wollen sie beide Ansätze – CRISPR/deadCas9 und Zinkfinger – für den Menschen optimieren und in Studien an Primaten testen. In einigen Jahren könnten dann klinische Studien am Menschen starten.

Nach Ansicht der Forscher könnte ihre Technologie Linderung bei vielen Arten von Schmerzen versprechen, die durch NaV1.7 vermittelt werden – etwa bei Ischias, Arthritis, Nervenschäden durch Diabetes, aber auch bei Krebserkrankungen oder nur langsam abheilenden Sport- oder Kriegsverletzungen. (Science Translational Medicine, 2021, doi: 10.1126/scitranslmed.aay9056)

Quelle: University of California – San Diego

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