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Genetik

Der „Schwarze Tod“ wirkt bis heute nach

Selektionsdruck der mittelalterlichen Pest förderte immun-stimulierende Genvarianten

Pesttote
Diese Toten waren Opfer der mittelalterlichen Pest in London. Ihre DNA hat nun wertvolle Hinweise darauf geliefert, was damals die Pestopfer von den Überlebenden genetisch unterschieden hat. © McMaster University

Folgenreiche Seuche: Die mittelalterliche Pest-Pandemie hatte erstaunlich deutliche Auswirkungen auf das menschliche Genom, wie DNA-Analysen enthüllen. Durch den „Schwarzen Tod“ wurden vier immunologisch wichtige Genvarianten bis zu 40 Prozent häufiger – dies ist der stärkste je beim Menschen nachgewiesene Selektionseffekt. Die Nachwirkungen dieser genetischen Selektion spüren wir möglicherweise bis heute, denn diese Genvarianten fördern im Gegenzug Autoimmunkrankheiten wie Rheuma und Morbus Crohn.

Der Schwarze Tod war die schlimmste Seuche der Menschheitsgeschichte – bis zu 50 Prozent der Menschen in Europa und Asien starben bei dieser ab 1346 grassierenden Pandemie des Pesterregers Yersinia pestis. Dieser war in Zentralasien auf den Menschen übergesprungen und breitet sich dann über die Handelsrouten bis nach Europa aus. Anders als lange gedacht waren nicht die Ratten und ihre Flöhe die Haupt-Überträger der tödlichen Seuche, sondern primär Menschenflöhe und Kleiderläuse.

DNA-Extraktion
Aus Zähnen der mittelalterlichen Toten isolierten das Team die DNA. © Matt Clarke/McMaster University

Hatten die Pest-Überlebenden besondere Gene?

Doch was bestimmte, wer beim Schwarzen Tod starb und wer überlebte? Gab es möglicherweise genetische Gründe? Um das zu klären, haben Jennifer Klunk von der McMaster University in Kanada und ihre Kollegen sich das Erbgut von mittelalterlichen Toten genauer angeschaut. Sie analysierten dafür die DNA von 360 Menschen, die Jahrzehnte vor dem Pestausbruch, während der Pestzeit und direkt danach áuf drei Friedhöfen in London und fünf in Dänemark begraben worden waren.

Die Forschenden konzentrierten sich bei ihren DNA-Analysen auf Varianten von 356 Immungenen sowie eng mit Funktionen der Immunabwehr verknüpften Genregionen. „Wir haben nach Genvarianten gesucht, die unerwartet starke Veränderungen in ihrer Allelhäufigkeit zwischen Toten aus der Zeit vor und nach dem Schwarzen Tod zeigten“, erklärt das Team. Denn dies könnte Hinweise darauf geben, welche Genvarianten das Überleben der Pest begünstigten – und ob sie deshalb nach der Seuche vermehrt bei den Überlebenden vorkamen.

„Wenn sich eine Pandemie dieses Ausmaßes ereignet, dann muss es eine Selektion für schützende Genvarianten geben. Selbst ein geringer genetischer Vorteil kann dann den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten“, erklärt Klunks Kollege Hendrik Poinar.

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Stärkster je dokumentierter Selektions-Effekt

Tatsächlich wurde das Team fündig: Die DNA-Vergleiche enthüllten vier Genvarianten, deren Häufigkeit sich bei den Toten vor und nach der mittelalterlichen Seuche signifikant unterschieden. Diese Varianten kamen bei den Überlebenden der Pestpandemie um 26 bis 40 Prozent häufiger vor als bei den vor und während der Seuche gestorbenen. „Diese positive Selektion gehört zu den stärksten je beim Menschen dokumentierten“, konstatieren die Wissenschaftler. Bei keinem anderen Genort oder Merkmal hat man bisher eine so starke selektionsbedingte Veränderung nachgewiesen.

Nähere Analysen enthüllten, dass alle vier Genvarianten die Aktivität wichtiger Immungene stimulierten. So wirkt eine dieser Varianten auf das Gen ERAP, das entscheidend zur Erkennung eingedrungener Erreger durch die Fresszellen des Immunsystems beiträgt. Besitzt ein Mensch zwei Kopien dieser rs2549794 getauften Genvariante, erhöht dies die Aktivität des ERAP2-Gens – und verbessert damit die Fähigkeit seines Immunsystems, Erreger wie Yersinia pestis frühzeitig zu erkennen.

„Unseren Schätzungen nach hatte eine Person mit beiden Kopien der Genvariante rs2549794 eine um 40 Prozent höhere Chance, den Schwarzen Tod zu überleben, als jemand mit der nichtfunktionalen Variante dieses Genabschnitts“, erklärt Koautor Luis Barreiro von der University of Chicago.

Pestfriedhof
Pestgräber im Londoner Stadtteil East Smithfield. Die immun-stimulierenden Genvarianten waren bei diesen Toten seltener als bei den Überlebenden des Schwarzen Todes.© Museum of London Archaeology (MOLA)

Besserer Schutz vor Infektionen…

Damit bestätigen diese Ergebnisse erstmals, dass eine Pandemie über ihren starken Selektionsdruck auch Veränderungen im menschlichen Erbgut bewirken kann. „Man hat schon lange vermutet, dass der Schwarze Tod eine starke Triebkraft der Selektion war, aber bisher war dies schwer nachzuweisen“, erklärt Barreiro. Denn wenn man sich nur die modernen Genome anschaut, werden diese selektiven Veränderungen oft von späteren Einflüssen überdeckt. Erst der Vergleich von Genomen aus der Zeit direkt vor und nach der Seuche ermöglichte den Nachweis.

„Unsere Ergebnisse liefern nun den Beleg dafür, dass der Schwarze Tod ein wichtiger Selektionsfaktor war, der die genetische Vielfalt um einige immunologisch wichtige Genorte geprägt hat“, so die Forschenden. Der Einfluss der tödlichen Seuche verbesserte dabei nicht nur die menschlichen Abwehrkräfte gegen das Pestbakterium, sondern auch gegen andere Krankheitserreger. Labortests ergaben, dass die vier nach der Pest vermehrt auftretenden Genvarianten auch bei der Abwehr anderer Infektionen helfen.

…aber höheres Risiko für Autoimmunkrankheiten

Interessant auch: Die genetischen Folgen der Pest-Pandemie könnte bis heute nachwirken – in doppelter Hinsicht. Denn die damals durch die Selektion begünstigten Genvarianten machen das Immunsystem zwar aktiver, fördern aber gleichzeitig auch die Neigung zu Überreaktionen. Für die Menschen zur Zeit des Schwarzen Todes dürfte dies wenig relevant gewesen sein: Für sie war nur entscheidend, die Pest zu überleben. Wer das schaffte, gab die in Seuchenzeiten vorteilhaften Genvarianten an seine Nachkommen weiter.

In Zeiten ohne größere Epidemien kann das überaktive Immunsystem jedoch zum Nachteil werden. So begünstigen einige dieser Genvarianten Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder die chronische Darmentzündung Morbus Crohn. Der Schwarze Tod könnte demnach bis heute nachwirken und unsere Abwehrkräfte gegen Erreger, aber auch unsere Anfälligkeit für Autoimmunkrankheiten beeinflussen.

„Wenn wir die Faktoren verstehen, die unser menschliches Immunsystem geprägt haben, dann verstehen wir dadurch auch besser, wie vergangene Pandemien wie die Pest zu unserer heutigen Anfälligkeit für Krankheiten beitragen“, erklärt Poinar. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-05349-x)

Quelle: McMaster University, University of Chicago Medical Center

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