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Neurobiologie

Gedankenlesen: Hirnscan verrät gelesene Buchstaben

Spezielle Auswerte-Software ermöglicht die Rekonstruktion des Gesehenen

So sieht die Rekonstruktion des Worts "brain" anhand der Hirnaktivität aus © Schoemakers et al. /Radboud University

Das Gedankenlesen rückt wieder einen Schritt näher: Niederländischen Forschern ist es gelungen, allein anhand der Hirnaktivität zu ermitteln, welche handschriftlichen Buchstaben ihre Probanden gerade anschauten. Möglich wurde dies durch hochauflösende Hirnscans und eine spezielle, lernfähige Auswerte-Software. Sie erzeugte aus den Aktivitätsmustern Bilder, die die gelesenen Buchstaben verblüffend genau wiedergaben, wie die Forscher im Fachmagazin „NeuroImage“ berichten.

Zu erraten oder gar auszulesen, was unser Gegenüber gerade denkt, ist bisher noch Zukunftsmusik, zumindest im Alltag. Doch in den Laboren der Neurowissenschaftler beginnt sich dies gerade zu ändern. Immer hochauflösendere Hirnscans zeichnen heute die Aktivität unseres Denkorgans und seiner Areale auf. Ihre Aufnahmen verraten so nicht nur, welche Hirnregionen bei welchen Gedanken oder Emotionen feuern, sondern erlauben längst auch Rückschlüsse darauf, was wir gerade denken oder fühlen.

So gelang es Forschern beispielsweise vor zwei Jahren, allein anhand der Hirnscans zu konstruieren, welche Filmszene sich ein Proband gerade ansah. Eine andere Gruppe konnte auf ähnliche Weise bestimmen, ob ein Schlafender gerade davon träumte, seine linke oder rechte Faust zu ballen. „Mit der Entwicklung von neuen Analysetechniken ist die Dekodierung der mentalen Erfahrungen eines anderen Realität geworden, erklären Sanne Schoemakers und ihre Kollegen vom Donders Institute for Brain, Cognition and Behaviour an der niederländischen Radboud Universität.

Vom Datenwürfel zum Buchstaben

Sie sind nun in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter gegangen: Sie wollten auslesen, welche Buchstaben ein Proband gerade liest. Für ihr Experiment nutzten die Wissenschaftler die hochauflösende funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI). Dieses bildgebende Verfahren zeigt, welche Hirnregionen besonders stark mit sauerstoffreichem Blut versorgt werden – und daher gerade besonders aktiv sind.

Für die genaue Zuordnung dieser Aktivitätssignale wird die gesamte Sehrinde in winzige dreidimensionale Würfel unterteilt, sogenannte Voxel. Ein spezielles Computerprogramm liest die Daten für jeden dieser 2x2x2 Millimeter kleinen Voxel aus und errechnet daraus die jeweilige Aktivität. Weil die Forscher heute bereits relativ gut bestimmen können, welche Sehinformation welcher Aktivität im Sehzentrum entspricht, ist die Software gezielt darauf programmiert, die einzelnen Voxel bestimmten gesehenen Pixeln zuzuordnen.

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Nachhilfe für die Software

Für den eigentlichen Test lagen die Probanden im Hirnscanner, während vor ihnen auf einem Bildschirm nacheinander verschiedene handschriftliche Buchstaben erschienen. In den ersten Durchgängen erzeugte das Auswerte-Programm daraus eher unscharfe, verpixelte Bilder – eine Art Punktmuster, das den Buchstaben höchstens erahnen ließ. „Danach aber haben wir etwas Neues probiert“, erklärt Studienleiter Marcel van Gerven: „Wir haben dem Modell zuvor beigebracht, wie Buchstaben aussehen.“

Die Software bekam quasi einen Nachhilfekurs, ihr wurden die korrekten Formen der Buchstaben einprogrammiert. Bekam sie dann die Voxel-Informationen aus der Sehrinde der Probanden, konnte sie die resultierenden unscharfen Abbilder mit den Buchstaben abgleichen und so auch die Rekonstruktion des Gesehenen verbessern. „Das Ergebnis war tatsächlich eine echte Rekonstruktion des Buchstabens“, so van Gerven. Allein anhand der Hirnscans konnten die Forscher so in den meisten Fällen korrekt bestimmen, welche handschriftlichen Buchstaben ihre Probanden gerade gesehen hatten.

Interpretation nach Muster des Gehirns

Das Prinzip hinter diesem Verfahren sei ganz ähnlich dem, mit dem auch das Gehirn selbst neue Sinneseindrücke mit Vorwissen kombiniere, erklären die Forscher. Auch die Linien und Kurven der Buchstaben in einem Artikel wie diesem könne ein Leser nur deshalb erkennen, weil sein Gehirn gelernt habe, diese Formen als Buchstaben zu interpretieren. Und genau das mache auch das Analyse- Programm für die Sehrinden-Voxel. Weil die Software lernfähig war, konnte sie zudem selbst dann gute Bilder erzeugen, wenn ihr der spezifische Buchstabe zuvor nicht bekannt war, wie die Wissenschaftler berichten.

Schoenmakers und ihre Kollegen wollen ihr Verfahren nun noch weiter verfeinern und vor allem die Auflösung der Hirnscans durch Nutzung besserer Tomografen weiter erhöhen. Statt der Informationen aus 1.200 Voxeln soll das Programm dann mit Daten von 15.000 Voxeln arbeiten. „Damit wollen wir dann auch detailliertere Bilder rekonstruieren können“, so die Forscherin. Ihr Ziel ist es, eines Tages auch subjektive Eindrücke wie Träume oder Erinnerungen auf eine solche Weise auszulesen. Bis es soweit ist, dürfte es allerdings noch einige Zeit dauern. (NeuroImage, 2013; doi: 10.1016/j.neuroimage.2013.07.043)

(Radboud University, 21.08.2013 – NPO)

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