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Biotechnologie

Erste Geschlechtsumwandlung auf Zell-Ebene

Forscher erzeugen erstmals weibliche Eizellen aus genetisch männlichen Stammzellen

Geschechtschromosomen
Forschende haben männliche Stammzellen von Mäusen genetisch weiblich gemacht und daraus reife Eizellen gezüchtet. © anusorn nakdee/ Getty images

XY zu XX: Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, männliche Stammzellen von Mäusen in funktionsfähige weibliche Eizellen umzuwandeln. Durch Befruchtung dieser Eizellen mit Spermien entstanden daraus sogar gesunde, lebensfähige Mäusebabys – mit zwei Vätern und ohne Mutter, wie das Team in „Nature“ berichtet. Das könnte einen wichtigen Durchbruch in der Fortpflanzungsmedizin darstellen – sofern dies auch beim Menschen und anderen Säugetieren funktioniert.

Für unser biologisches Geschlecht und unsere Fortpflanzung spielt die Ausstattung unserer Zellen mit den Geschlechtschromomen eine entscheidende Rolle. Weibliche Zellen tragen ein doppeltes X-Chromosom, männliche dagegen ein X- und ein Y-Chromosom. Diese Genetik beeinflusst auch, ob aus dem Keimzell-Vorläufern in unseren Geschlechtsorganen männliche Spermien oder weibliche Eizellen heranwachsen. Damit in der Befruchtung ein neues Leben entsteht, müssen ein Spermium und eine Eizelle verschmelzen – zumindest bei der natürlichen Zeugung.

XY
Genetisch männliche Zellen tragen ein X- und ein Y-Chromosom, wie hier zu sehen. Weibliche Zellen besitzen dagegen zwei X-Chromosomen. © vchal/ iStock

Doch durch die Biotechnologie kann der Mensch in diesen Prozess eingreifen. So ist es Wissenschaftlern inzwischen schon gelungen, Mäuseembryos aus Stammzellen statt befruchteten Eizellen zu erzeugen. Auch Mäuse aus einer manipulierten Stammzelle und einer Keimzelle desselben Geschlechts gab es schon – diese Tiere hatten dann jeweils zwei Mütter oder zwei Väter.

Von männlichen XY-Stammzellen…

Noch einen Schritt weiter sind nun Kenta Murakami von der Universität Kyushu und seine Kollegen gegangen: Sie haben erstmals das genetische Geschlecht von Stammzellen verändert und aus männlichen Keimzellvorläufern weibliche Eizellen produziert. Ausgangspunkt der Studie waren embryonale und induzierte Stammzellen von männlichen Mäusen. Diese Zellen trugen, wie für das männliche Geschlecht typisch, ein X- und ein Y-Chromosom.

Schon frühere Studien haben jedoch gezeigt, dass es bei der Zucht von Stammzellen in Kultur ab und zu Teilungsfehlern kommt. Im Schnitt verlieren dadurch ein bis drei Prozent der XY-Zellen spontan ihr Y-Chromosom. Durch häufigen Wechsel des Kulturmediums konnten Murakami und sein Team den Anteil solcher X0-Zellen in ihren Zellkulturen bis auf sechs Prozent erhöhen. Im nächsten Schritt gaben sie den Hemmstoff Reversin zu den Kulturen. Dieser Wirkstoff hemmt die Kontrollmechanismen, die bei der Zellteilung normalerweise für die korrekte Aufteilung der Chromosomen sorgen.

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…zu weiblichen XX-Eizellen und lebenden Nachkommen

Als Folge entstanden in den Stammzellkulturen bis zu 21,5 Prozent Zellen mit zwei X-Chromosomen – genetisch gesehen waren diese Stammzellen damit nun weiblich. „Dieser Ergebnisse demonstrieren, dass man XX-Stammzellen aus Vorläuferzellen mit XY oder X0-Geschlechtschromosomen erzeugen kann, indem man das Y-Chromosom erst entfernt und dann das X-Chromosom verdoppelt“, konstatieren Murakami und seine Kollegen.

Doch damit hatten sie noch keine befruchtungsfähigen Eizellen. Um dies zu erreichen, gaben die Forschenden die geschlechtsumgewandelten Stammzellen nun in Gewebekulturen aus dem Eierstock weiblicher Mäuse. Dieses Gewebe produziert Signalstoffe und Wachstumsfaktoren, die Stammzellen dazu bringen, sich erst zu unreifen Eizell-Vorläufern, dann zu reifen Eizellen zu differenzieren. Das Ergebnis: 108 der 349 geschlechtsumgewandelten XX-Stammzellen wandelten sich reife weibliche Eizellen um. Dies sei ein ähnlicher Anteil wie bei ganz normalen weiblichen Stammzellen, berichten die Wissenschaftler.

Neue Chancen für die Fortpflanzungs-Medizin

Wurden diese umgewandelten Eizellen durch männlichen Mäusespermien befruchtet, entstanden daraus Mäuseembryos, von denen einige nach Austragung in Leihmüttern zu lebensfähigen, gesunden und fortpflanzungsfähigen Mäusen heranwuchsen. Damit ist es Murakami und seinem Team erstmals gelungen, aus einer rein männlichen Zelllinie Nachkommen beiderlei Geschlechts zu erzeugen. Nach Ansicht der Forschenden könnte dies dabei helfen, Unfruchtbarkeit durch genetisch bedingte Chromosomenfehler zu überwinden.

Doch die möglichen Anwendungen reichen noch weiter: „Diese Arbeit öffnet die Möglichkeit, gefährdete Säugetierarten aus nur einem einzigen verbleibenden Männchen weiterzuzüchten“, erklären Jonathan Bayerl und Diana Laird von der University of California in San Francisco in einem begleitenden Kommentar. „Und es könnte sogar dazu beitragen, dass mehr Menschen eigene Kinder bekommen können – darunter gleichgeschlechtliche Paare, Transgender-Menschen und Menschen mit XXY-Gensatz.“

Geht das auch beim Menschen?

Allerdings setzt dies voraus, dass die bei Mäusen demonstrierte Methode auch bei anderen Säugetieren und dem Menschen funktioniert. „Die Machbarkeit einer Anwendung beim Menschen ist offen“, kommentiert der nicht an der Stude beteiligte Reproduktionsforscher Rod Mitchell von der University of Edinburgh. „Die Schritte, durch die Stammzellen zu reifen Eizellen werden, wurden mit menschlichen Zellen noch nicht verlässlich durchgeführt.“ Es müssten daher noch einige methodische Problem gelöst werden.

Zudem gilt ähnlich wie bei anderen Stammzellversuche und Eingriffen in die Keimbahn: „Die Sicherheit der Verfahren und die Gesundheit der resultierenden Nachkommen müssen erst genau geprüft und untersucht werden, bevor dies jemals beim Menschen angewendet werden kann“, betont Mitchell. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05834-x)

Quelle: Nature, Science Media Centre

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