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Genetik

Down-Syndrom-Kinder haben ein „Supergenom“

Besonders hochwertiges Genom kompensiert Folgen des dritten Chromosoms

Menschen mit Down-Syndrom haben "bessere Gene" als andere Menschen. © Svisio/ iStock.com

Besser als der Durchschnitt: Menschen mit Down-Syndrom leiden zwar an einem Erbgutfehler – abgesehen von diesem Defekt ist ihr Genom jedoch von besserer Qualität als bei den meisten Menschen. Genvergleiche zeigen, dass Betroffene weniger potenziell schädliche Mutationen tragen und ihre Genexpression besonders fein austariert ist. Diese Vorteile können die negativen Folgen der überzähligen Kopie des 21. Chromosoms ausgleichen – und ermöglichen betroffenen Babys wahrscheinlich überhaupt erst das Überleben der Schwangerschaft.

Weltweit wird etwa eines von 700 Kindern mit Down-Syndrom geboren. Dieser auch als Trisomie 21 bezeichnete Erbgutdefekt entsteht durch einen Fehler bei der Zellteilung. Statt wie üblich 23 Chromosomenpaare enthalten betroffene Zellen einen zusätzlichen Träger der Erbinformation: Das gesamte Chromosom 21 oder ein Teil davon ist nicht doppelt, sondern dreifach vorhanden.

Überleben rätselhaft

Weil durch das überzählige Chromosom die Balance der genetischen Steuerung gestört ist, entwickeln sich betroffene Kinder nicht normal. 80 Prozent von ihnen versterben schon während der Schwangerschaft. Immerhin 20 Prozent überleben aber und können trotz geistiger und körperlicher Beeinträchtigungen problemlos über 60 Jahre alt werden. Angesichts der Schwere des Defekts ist das eigentlich ein Wunder.

Wie also ist es möglich, dass manche Babys mit Trisomie 21 die Phase im Mutterleib überstehen? Diese Frage haben sich nun Stylianos Antonarakis von der Universität Genf und seine Kollegen gestellt. Ihre Hypothese: Könnte es sein, dass mit Down-Syndrom geborene Menschen ein qualitativ besonders hochwertiges Genom besitzen – eines, das die Effekte des dreifach vorliegenden Chromosoms bis zu einem bestimmten Grad kompensieren kann?

Lebensstark trotz schwerem Erbgutfehler: Wie schaffen Menschen mit Trisomie 21 das? © Viktoria Polomoshnova

Weniger Mutationen im Erbgut

Für ihre Studie analysierten die Forscher das Erbgut von 380 Patienten mit Down-Syndrom und verglichen es mit dem von Menschen ohne den Erbgutfehler. Dabei überprüften sie zunächst, wie häufig seltene Genvarianten bei beiden Personengruppen sind. Solche Mutationen können potenziell schädlich sein und krank machen – vor allem dann, wenn sie in beiden Kopien des betroffenen Chromosoms auftreten.

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Es zeigte sich: Bei Menschen mit Trisomie 21 kommen potenziell schädliche Mutationen vergleichsweise selten in allen drei Kopien des 21. Chromosoms vor. Somit ist die Wahrscheinlichkeit negativer Auswirkungen bei ihnen geringer. „Es ist das Genom, das bestimmt, ob ein Mensch alt wird, Krankheiten entwickelt oder gesund bleibt“, erklärt Antonarakis. „Manche Genome sind von besserer Qualität als andere – und können zum Beispiel weniger anfällig für Erkrankungen wie Krebs machen.“

Kompensierende Genschalter

In einem zweiten Schritt nahmen die Wissenschaftler die Genregulierung auf dem Chromosom 21 unter die Lupe: Im Falle des Down-Syndroms müssten die meisten Gene übermäßig stark exprimiert werden, weil es sie in drei anstatt zwei Kopien gibt. Unabhängig von der Präsenz der Gene gibt es jedoch „Schalter“, die die Expression bestimmter DNA-Abschnitte negativ oder positiv beeinflussen können. Welche Rolle spielen diese Regulatoren im Genom von Betroffenen und Nicht-Betroffenen?

„Wir haben herausgefunden, dass Menschen mit Down-Syndrom über mehr regulierende Schalter verfügen, die die Expression der Gene auf dem 21. Chromosom vermindern“, berichtet Mitautor Konstantin Popadin von der Universität Lausanne. „Dadurch kann der Überschuss durch die dritte Kopie ausgeglichen werden.“

Perfektes Mittelmaß

Auch mit Blick auf das gesamte Genom offenbarte sich, dass die Genregulierung bei Menschen mit Trisomie 21 besonders fein abgestimmt zu sein scheint. So wird bei ihnen kaum eine Genvariante zu stark oder zu wenig exprimiert: „In einem normalen Genom schwankt die Expression auf einer Skala von 1 bis 100 in der Regel zwischen 30 und 70. Bei Down-Syndrom-Patienten verläuft diese Kurve schmaler und liegt für alle Gene auf sämtlichen Chromosomen sehr dicht bei 50 „, sagt Antonarakis. Dies sei ein idealer Wert.

Damit scheint das Geheimnis von Menschen mit Down-Syndrom gelüftet: „Um die Schwangerschaft zu überleben und dann weiter heranzuwachsen, müssen betroffene Kinder ein besonders gutes Genom besitzen, das die durch das dritte Chromosom 21 verursachten Folgen kompensieren kann“, schließt das Team. Dies könnte auch für einige andere schwere genetische Störungen zutreffen. (Genome Research, 2017)

(Université de Genève, 22.01.2018 – DAL)

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