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Biotechnologie

CRISPR-Genschere als Zellzerstörer

Neu entdecktes CRISPR-Enzym Cas12a2 könnte gegen Krebs, Viren und Gendefekte genutzt werden

Genschere
Eine neuartige Genschere kann ganze Zellen ausschalten, die von Viren befallen oder entartet sind. © traffic_analyzer/ Getty images

Neuartiger Effekt: Forschende haben in Bakterien eine ganz neue Form der Genschere entdeckt – mit großem Potenzial für die Medizin. Denn sie kann gezielt von Viren befallene oder entartete Zellen zerstören, indem sie deren RNA und DNA zerstückelt. Aktiviert wird die Genschere CRISPR/Cas12 aber nur, wenn sie in der Zelle auf zu ihrer Ziel-Schablone passende RNA-Abschnitte stößt. Das könnte ihren Einsatz in der Krebstherapie, der Virenbekämpfung oder auch als Virentest ermöglichen, wie die Wissenschaftler in zwei „Nature“-Artikeln erklären.

Die Genschere CRISPR/Cas9 hat die Gentechnik und Biomedizin revolutioniert und ihren Entdeckerinnen im Jahr 2020 den Nobelpreis eingebracht. Denn mit ihr kann man einfach und punktgenau spezifische DNA-Basen oder Gene aus dem Erbgut herausschneiden und ersetzen. Möglich wird dies durch eine einfach auszuwechselnde „Guide-RNA“, die zur gesuchten DNA-Sequenz komplementär ist. Ist diese gefunden, lagert sich der Molekülkomplex an und das Enzym Cas9 schneidet den „markierten“ DNA-Teil heraus.

Was genau die CRISPR-Genschere mit dem aufgespürten Genomteil macht, hängt dabei vom angehängten Cas-Enzym ab: Während Cas9 gezielt DNA-Abschnitte oder sogar nur einzelne DNA-Basen aus dem Erbgutstrang entfernt, legt ein anderes Enzym das gesuchte Gen nur epigenetisch still, ohne es zu zerschneiden. Eine weitere Variante nutzt das Cas12-Enzym, um gezielt die Präsenz von viraler RNA wie die des Coronavirus SARS-CoV-2 nachzuweisen.

Neuartiges CRISPR-Enzym entdeckt

Jetzt haben Wissenschaftler ein Cas-Enzym entdeckt, dessen Wirkung sich von allem bisher bekannten unterscheidet. Für ihre Studie hatten Oleg Dmytrenko vom Helmholtzzentrum für Infektionsforschung in Würzburg und seine Kollegen CRISPR/Cas-Enzyme aus der sogenannten Cas12a-Familie untersucht. Sie werden von Bakterien eingesetzt, um von Viren befallene Zellen abzutöten und so die Virusausbreitung in ihrer Population einzudämmen.

Dabei stieß das Team auf ein zuvor unbekanntes Cas-Enzym, das sie Cas12a2 tauften. „Diese Nuklease tut etwas völlig anderes als Cas12a, aber auch als alle CRISPR-Nukleasen, die wir kennen“, berichtet Dmytrenko. Um dieses Enzym und seine Funktion genauer zu analysieren, schleusten die Forschenden die Gene für ein CRISPR/Cas12a2-Konstrukt in das Bakterium Escherichia coli ein und beobachteten es in Aktion.

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Cas12a2 in AKtion
CRISPR/Cas12a2-Konfiguration vor Kontakt mit der Ziel-RNA und ihrer flankierenden Sequenz (PFS), nach der Aktivierung und beim Schneiden von DNA. © Bravo et al./ Nature, CC-by 4.0

RNA und DNA werden eingefangen und zerschnitten

Dabei zeigte sich: CRISPR/Cas12a2 hat gleich mehrere Besonderheiten. Die neuartige Genschere sucht nicht eine zu seiner Guide-RNA komplementäre DNA-Sequenz, sondern bindet an passende RNA-Abschnitte. Diese Anlagerung löst eine abrupte Konformationsänderung der Genschere aus, wie Analysen mittels Kryoelektronenmikroskopie enthüllten. Der anfangs einer weit geöffneten Auster ähnelnde Molekülkomplex klappt zu und entblößt dabei die Bindungsstelle des Enzyms.

Dadurch wird das Cas12a2-Enzym aktiviert – mit weitreichenden Folgen. Denn bei Kontakt mit einem beliebigen Erbgutmolekül – egal ob einzel- oder doppelsträngig, RNA oder DNA – wird dieses an beiden Enden festgehalten. Nun biegt das Enzym den gefangenen RNA- oder DNA-Strang um rund 90 Grad, wodurch das Längsgerüst der Doppelhelix freiliegt und in die aktive Bindungsstelle des Cas12a2-Enzyms passt. Dort durchtrennt das Enzym den Erbgutstrang und zerstört ihn damit.

Tod der Zelle als Folge

„Das ist ein außergewöhnlicher Vorgang, allein schon die Beobachtung löste hörbare Überraschung bei meinen Kollegen aus“, berichtet Ryan Jackson von der Utah State University. Denn die Genschere Cas12a2 zerschneidet auf diese Weise nicht nur einzelne DNA-Abschnitte, sondern zerstückelt wahllos alle Arten von einzel- und doppelsträngiger DNA und RNA in der Zielzelle, sobald das Enzym dort einmal durch den Kontakt mit passender RNA aktiviert wurde.

Damit arbeitet die neuentdeckte Genschere CRSIPR/Cas12a2 anders als bisher bekannten Varianten. „Ein CRISPR-basierter Abwehrmechanismus, der nur eine einzige Nuklease nutzt, um einen Eindringling zu erkennen und die DNA und RNA der befallenen Zelle zu degradieren, wurde noch nie zuvor beobachtet“, sagt Dmytrenko. Für die betroffene Zelle bedeutet die Zerstückelung der DNA und RNA in der Regel das Ende: Sie wird stillgelegt, kann sich nicht mehr teilen und stirbt ab.

Mögliche Anwendung gegen Krebs, Viren und Gendefekte

Auf den ersten Blick wirkt diese wahllose Zerstörung von Erbgut wie ein gefährlicher Amoklauf. Doch für Bakterien und auch für die Medizin ist die Wirkung der Genschere durchaus nützlich. Denn indem CRISPR/Cas12a2 gezielt nur die Zellen zerstört, die die einprogrammierte Ziel-RNA enthalten, kann diese Genschere selektiv von Viren befallene, durch Mutationen entartete oder anderweitig von Gendefekten betroffene Zellen ausmerzen.

„Wenn Cas12a2 genutzt werden könnte, um Zellen auf genetischer Ebene gezielt zu identifizieren, anzugreifen und zu zerstören, dann hätte das signifikante therapeutische Bedeutung“, sagt Jackson. Die Genschere könnte beispielsweise in der Krebstherapie zur Zerstörung von Tumorzellen eingesetzt werden, in der Gentherapie oder der Virusbekämpfung.

Ein weiterer, weniger destruktiver Einsatzzweck ist der Nachweis einer Virusinfektion: In einem ersten Test statteten Dmytrenko und sein Team DNA in einer Lösung mit einem Fluoreszenzmarker aus, der aufleuchtet, sobald der DNA-Strang durch das Cas12a2-Enzym zerschnitten wird. Wird dies mit einer Guide-RNA kombiniert, die beispielsweise nur auf die Präsenz viraler RNA in der Zelle anspricht, könnte sich die Genschere so als hochsensibler Virentest nutzen lassen. (Nature, 2023, doi: 10.1038/s41586-022-05559-3; doi: 10.1038/s41586-022-05560-w)

Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Utah State University, University of Texas at Austin

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