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Medizin

Covid-Risikogen schützt vor HIV

Vom Neandertaler geerbte Gensequenz schützt und gefährdet zugleich

Coronavirus und DNA
Eine von den Neandertalern geerbte Genvariante macht uns anfälliger für Covid-19, schützt aber dafür vor HIV. © peterschreiber.media/ Getty images

Zweischneidiges Schwert: Ein von den Neandertalern geerbtes Gen erhöht das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19, schützt aber gleichzeitig vor HIV, wie ein Forscher herausgefunden hat. Das bei bis zu 16 Prozent der Europäer vorkommende Gen stört demnach die Bildung eines bestimmten Immunrezeptors und verhindert so das Eindringen des Aids-Erregers in die Zelle. Auch das Risiko für Pocken ist dadurch verringert – was möglicherweise erklärt, warum dieses Neandertaler-Gen bei unseren Vorfahren aktiv blieb.

Die Anfälligkeit für bestimmte Infektionskrankheiten hängt nicht nur von der Fitness des Immunsystems ab, sondern oft auch von genetischen Faktoren. Wer beispielsweise weniger von den Andockstellen produziert, die ein Virus zum Befall der Zellen benötigt, erschwert ihm die Vermehrung. Umgekehrt können Genvarianten auch Infektionen begünstigen, wie beim Coronavirus SARS-CoV-2 der Fall: Ein von den Neandertalern geerbter Genabschnitt auf Chromosom 3 erhöht das Risiko für schwere Verläufe von Covid-19, wie eine Studie vom Sommer 2021 feststellte.

Warum ist die Neandertaler-Sequenz so häufig?

Der Merkwürdige daran: Dieses Covid-Risikogen ist ungewöhnlich häufig in unserm Erbgut vertreten: Bis zu 16 Prozent der Europäer und 50 Prozent der Menschen in Südasien tragen diesen Neandertaler-Genabschnitt. Hinzu kommt, dass die Häufigkeit dieser DNA-Sequenz vor 20.000 bis 10.000 Jahren noch einmal deutlich zugenommen hat – lange nachdem die Neandertaler ausgestorben waren.

Das wirft die Frage auf, warum sich dieses Neandertaler-Genstück so lange und so häufig erhalten hat und warum es bis heute aktiv ist. Denn typischerweise gehen Gene verloren, wenn sie den Trägern mehr Nachteile als Vorteile bringen. „Diese Covid-19-Risikovariante kommt hingegen so häufig vor, dass ich mich gefragt habe, ob sie vielleicht für etwas gut sein könnte“, sagt Studienautor Hugo Zeberg vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Könnte diese Genvariante unsere Vorfahren möglicherweise vor anderen Infektionskrankheiten geschützt haben?

Neandertaler-Variante beeinflusst Immun-Rezeptoren

Den Ansatzpunkt für diese Überlegung liefert die Tatsache, dass die Neandertaler-Sequenz direkt neben einer Gruppe wichtiger Immungene liegt. Diese kontrollieren die Bildung verschiedener Chemokin-Rezeptoren, die für die Reaktion von Zellen auf Botenstoffe wichtig sind. Gleichzeitig dient einer dieser Rezeptoren, CCR5, auch einigen Krankheitserregern wie HIV und dem Pockenvirus als Andockstelle für den Zellbefall.

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Für seine Studie hat Zeberg anhand von Blutproben von rund 30.000 Menschen untersucht, ob und wie sich die Neandertaler-Sequenzen auf die Funktion dieser Chemokin-Rezeptoren auswirken. Das Ergebnis: Träger der Neandertaler-Variante zeigen eine verringerte Zahl dieser Andockstellen auf ihren Zellen. In einer zweiten Analyse untersuchte der Forscher anhand der Gendaten von 591 HIV-Infizierten und gut 660.000 Kontrollpersonen aus drei Gendatenbanken, ob Menschen mit diesem Merkmal häufiger an HIV erkranken als andere.

27 Prozent verringertes HIV-Risiko

Das Ergebnis: „Die Träger des Neandertaler-Allels auf Chromosom 3 haben ein um 27 Prozent verringertes Risiko für eine HIV-Infektion“, berichtet Zeberg. Das bedeutet, dass diese vom Neandertaler geerbte Gensequenz zwar bei Covid-19 negative Folgen hat, indem sie schwere Verläufe begünstigt. Gegenüber anderen Krankheiten wie HIV hingegen bedeutet sie einen Vorteil: Sie verringert das Erkrankungsrisiko.

„Diese Gen-Variante zu besitzen, kann demnach für den Träger sowohl gut als auch schlecht sein: schlecht, wenn er sich mit SARS-CoV-2 infiziert; gut, wenn die Gefahr einer HIV-Infektion besteht und ein gewisser Schutz gegen dieses Virus vorhanden ist“, sagt Zeberg. Allerdings: Das Aids-Virus ist erst im 20. Jahrhundert auf den Menschen übergesprungen. Daher kann die Schutzwirkung davor nicht erklären, warum die Neandertaler-Sequenz schon seit der letzten Eiszeit häufiger geworden ist.

Pocken oder als eiszeitlicher Selektionsfaktor?

Zeberg vermutet deshalb, dass dieses Neandertaler-Gen sich deshalb erhalten und verbreitet hat, weil es vor einer anderen Krankheit schützte. „Ich kann allerdings nur darüber spekulieren, welches Pathogen diesen positiven Selektionsdruck ausübte“, so der Wissenschaftler. Ein möglicher Kandidat sei das Pockenvirus, das vor mehr als 10.000 Jahren auftauchte. Interessant sei auch, dass die Neandertaler-Variante heute dort am häufigsten ist, wo die Cholera grassiert.

In jedem Fall unterstreichen diese Ergebnisse, dass das Neandertaler-Gen ein zweischneidiges Schwert ist: In den letzten zwei Jahren der Corona-Pandemie hat es für viele zusätzliche Todesfälle und schwere Covid-19-Verläufe gesorgt. Gleichzeitig aber könnte es in den letzten 40 Jahren viele Menschen vor einer HIV-Infektion bewahrt haben – und unsere Vorfahren möglicherweise vor den Pocken oder einer anderen schweren Krankheit. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2022; doi: 10.1073/pnas.2116435119)

Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

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