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Medizin

Coronavirus: Pandemie hatte mehrere Fehlstarts

Gendaten lassen auf "gescheiterte" Epidemien ab Oktober 2019 in Hubei schließen

SARS-CoV-2
Das Coronavirus SARS-CoV-2 könnte ab Oktober 2019 mehrere "Fehlstarts" in Hubei gehabt haben, bis es dann in Wuhan zum großen Ausbruch kam. © NIAID

Holprige Anfänge: Das Coronavirus SARS-CoV-2 brauchte offenbar mehrere Anläufe, bis es im Dezember 2019 zum Ausbruch in Wuhan kam. Aus Genvergleichen und epidemiologischen Modellen schließen Forscher, dass das Virus schon ab Ende Oktober immer wieder vereinzelte Fälle in der Provinz Hubei auslöste, ohne dass sich diese Infektionen ausbreiten konnten. Erst der gemeinsame Vorfahre aller heutigen Varianten von SARS-CoV-2 schaffte dann den Sprung zum Ausbruch.

Klar ist, dass die Corona-Pandemie im chinesischen Wuhan ihren Anfang nahm. Aber woher das Coronavirus SARS-CoV-2 kam, wie es auf den Menschen übersprang und wann, ist bislang ungeklärt. Einige Studien legen nahe, dass das Virus schon Jahrzehnte in Fledermäusen kursierte, andere sehen Zwischenwirte wie die Pangoline als mögliche Überträger. Auch ein Virenlabor in Wuhan stand bereits unter Verdacht. Der Fisch- und Wildtiermarkt in Wuhan scheint dagegen entlastet: Die ersten dokumentierten Fälle hatten keine Verbindung zu ihm.

Gründervariante identifiziert

Neues zum Timing der ersten Fälle und den möglichen Anfangsschritten der Infektion in der Bevölkerung von Hubei haben nun Jonathan Pekar von der University of California in San Diego und seine Kollegen ermittelt. Für ihre Studie nutzten sie zunächst die molekulare Uhr – eine Rückverfolgung der genetischen Stammbäume anhand von Mutationen – um den gemeinsamen Urahn aller heute kursierenden SARS-CoV-2-Varianten räumlich und zeitlich zu verorten.

Die vergleichende Analyse von 583 frühen Coronaviren-Genomen aus China ergab, dass der letzte gemeinsame Vorfahre aller heute noch existierenden SARS-CoV-2-Stämme in einem 34-Tages-Fenster rund um den 9. Dezember 2019 in Wuhan grassierte. Demnach könnte zumindest ein Teil der frühesten dokumentierten Fälle sogar noch vor Auftauchen dieses „Gründervariante“ aufgetreten sein. Denn lokalen Zeitungsberichten nach soll es in Hubei schon Mitte November erste Fälle von Covid-19 gegeben haben.

Frühe Infektionen durch verschwundene Varianten?

Das könnte bedeuten, dass die frühesten Fälle von Covid-19 nicht auf die heute etablierten Linie von SARS-CoV-2 zurückgingen, sondern auf frühere, inzwischen verschwundene Varianten: „Wenn der letzte gemeinsame Vorfahre erst nach den frühesten dokumentierten Fällen auftrat, dann müssen die ersten SARS-CoV-2-Linien direkt wieder ausgestorben sein“, erklären Pekar und sein Team. Das kann beispielsweise dann geschehen, wenn das Virus nur eine Person infiziert, diese aber niemanden ansteckt.

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Ob das in Hubei der Fall gewesen sein könnte, hat das Forschungsteam in einer epidemiologischen Simulation überprüft. Dafür ließen sie 1.000 Infektionsszenarien durchlaufen, in denen sie jeweils die Verdopplungszahl der Fälle, die Kontaktdichte der Menschen und die Inkubationszeit leicht variierten. Insgesamt aber entsprachen die Kennwerte dieser Prä-Pandemie-Varianten denen des heutigen Coronavirus.

Zwei Drittel der ersten Infektionen blieben folgenlos

Das Ergebnis: Tatsächlich kam es mit diesen frühen Virusvarianten mehrfach zu Infektionen, die sich aber in der menschlichen Bevölkerung nicht halten konnten. Im Schnitt infizierten diese SARS-CoV-2-Varianten nur eine Person, breiten sich aber nicht weiter aus. „Zu den überraschenden Ergebnissen unserer Ansätze gehört, dass zwei Drittel der Epidemien, die wir anzustoßen versuchten, wieder ausstarben“, berichtet Pekars Kollege Joel Wertheim.

„Wenn wir in der Zeit zurückgingen und das Jahr 2019 hundert Mal wiederholten, würde Covid-19 in zwei von drei Fällen von alleine verschwinden, ohne dass eine Pandemie ausgelöst würde“, so Wertheim weiter. Diese Phase gescheiterter Epidemien hielt den Analysen zufolge etwa bis Ende November an: Bis 4. November infizierte SARS-CoV-2 nach dem Artsprung im Schnitt nur eine Person, bis 17. November waren es vier Menschen.

Sprung auf den Menschen schon in Oktober 2019

Doch als einer dieser ersten Fälle Wuhan erreichte, änderte sich dies – wahrscheinlich durch eine Kombination der höheren Bevölkerungsdichte mit einer Mutation, die diesem Gründervirus eine höhere Infektiosität als seinen Vorgängern verlieh. Am 1. Dezember 2019 erreichte die Größe der Infektionscluster neun Personen, dann schossen die Zahlen in die Höhe. Mitte Dezember wurden dann die ersten Häufungen von atypischen Lungenentzündungen in den Krankenhäusern registriert.

„Es ist sehr wahrscheinlich, dass SARS-CoV-2 schon Anfang November, möglicherweise schon Ende Oktober 2019 auf niedrigem Niveau in Hubei kursierte“, schreiben die Wissenschaftler. „Aber die Prävalenz dieses Virus war zu niedrig, um entdeckt zu werden.“ SARS-CoV-2 könnte demnach schon rund zwei Monate vor seiner Entdeckung den Sprung zum Menschen vollzogen haben, musste aber zunächst zahlreiche „Fehlstarts“ durchlaufen, bis es einen Ausbruch auslöste.

„Nicht vorbereitet“

„Die pandemische Überwachung war auf ein Virus wie SARS-CoV-2 nicht vorbereitet“, sagt Wertheim. „Wir haben nach dem nächsten SARS oder MERS Ausschau gehalten – etwas, das mit hoher Rate tötet. Aber jetzt sehen wir, dass auch ein hochgradig übertragbares Virus mit geringer Mortalitätsrate die Welt in die Knie zwingen kann.“ (Science, 2021; doi: 10.1126/science.abf8003)

University of California – San Diego

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