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Medizin

Corona: Wie das Virus das Gehirn angreift

SARS-CoV-2 kann sich in menschlichen Gehirnzellen vermehren und tötet sie

Coronavirus Gehirn
Das Coronavirus SARS-CoV-2 kann menschliche Gehirnzellen direkt angreifen und schädigen, wie nun Experimente belegen. © peterschreiber / iStock.com

Direkter Angriff: Bislang war unklar, ob das Coronavirus SARS-CoV-2 menschliche Hirnzellen und Nerven direkt befallen kann. Jetzt liefert eine Studie Belege dafür. Tests mit menschlichen Hirn-Organoiden enthüllen, dass das Virus in Hirnzellen eindringt, sich in ihnen vermehrt und großflächig Neuronen abtötet. Ähnliches legen auch Autopsien von Covid-19-Patienten und Versuche mit Mäusen nahe.

Eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kann neben Lunge, Darm oder Blutgefäßen auch das Nervensystem und Gehirn in Mitleidenschaft ziehen. Davon zeugen nicht nur die weit verbreiteten Riechstörungen, sondern auch teils schwere Spätfolgen wie Hirnentzündungen, entzündliche Nervenschäden und Hirnschläge. Diese Komplikationen können sogar bei ansonsten milden Covid-19-Fällen oder sogar asymptomatischen Infektionen auftreten.

Menschliche Mini-Hirne im Infektionstest

Doch bislang war unklar, ob diese neurologischen Folgen direkt vom Coronavirus verursacht werden oder auf die Immunreaktion des Körpers und andere indirekte Effekte der Infektion zurückgehen. Auch, ob SARS-CoV-2 die Hirnzellen direkt angreifen und entern kann, war nicht geklärt. Deshalb haben Eric Song von der Yale University und seine Kollegen diese Fragen jetzt mithilfe von drei verschiedenen Ansätzen untersucht.

Für ihr erstes Experiment züchteten sie menschliche Mini-Gehirne, sogenannte Organoide, aus neuronalen Stammzellen und setzten sie neun Wochen später SARS-CoV-2 aus. Schon nach 24 Stunden waren die ersten Hirnzellen mit dem Virus infiziert. „Nach 96 Stunden beobachteten wir eine weitverbreitete Infektion, die vor allem auf die Regionen mit einer hohen Dichte an kortikalen Zellen konzentriert war“, berichten die Forscher.

Virenvermehrung in den Neuronen

Dass die Viren tatsächlich in die Hirnzellen eingedrungen waren und sich in ihnen vermehrten, belegten Elektronenmikroskop-Aufnahmen. In ihnen war zu erkennen, wie sich Virenpartikel in den Zellen sammelten und dann aus den Zellen ausknospten. „Das spricht dafür, dass SARS-CoV-2 auch die neuronale Zellmaschinerie nutzen kann, um sich zu replizieren“, so Song und sein Team.

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Für den Befall der Hirnzellen nutzt das Coronavirus auch im Gehirn den ACE2-Rezeptor, wie ergänzende Analysen bei den Organoiden und an Gehirnen toter Covid-19-Patienten ergaben. Demnach tragen viele Neuronen in der grauen Hirnsubstanz dieses Enzym auf ihrer Zelloberfläche, aber auch andere Zellen des Zentralen Nervensystems.

Als die Forscher den ACE2-Rezeptor in ihren Hirn-Organoiden durch einen Antikörper blockierten, blieb auch die Infektion der Neuronen aus. „Das belegt, dass ACE2 nötig ist, damit SARS-CoV-2 das menschliche Gehirn befallen kann“, erklären Song und seine Kollegen.

Tod auch von Nachbarzellen

Die Folgen der neuronalen Infektion waren drastisch: Die menschlichen Neuronen im Hirn-Organoid starben reihenweise ab. Je mehr Zellen eines Areals infiziert waren, desto stärker fiel dieser Zelltod aus, wie die Forscher feststellten. Das Überraschende jedoch: Am stärksten betroffen waren nicht die selbst infizierten Zellen, sondern ihre unmittelbaren Nachbarn.

Der Grund: Die Infektion mit dem Coronavirus verändert die Umgebung der betroffenen Zellen und löst dadurch auch bei den Nachbarzellen Änderungen des Zellstoffwechsels und letztlich den Tod aus. Eine der Ursachen dafür ist ein lokaler Sauerstoffmangel, wie Song und sein Team berichten. „Dies trägt dazu bei, Gewebeschäden bei einem ohnehin schon sauerstoffarmen Zustand zu fördern“, sagen sie. Ein ähnlich ausgedehntes Absterben von Neuronen beobachteten die Forscher auch in den Hirngeweben toter Covid-19-Patienten.

Infektion des Gehirns auch beim lebenden Tier

Welche Folgen die Infektion des Gehirns mit SARS-CoV-2 für einen lebenden Organismus hat, untersuchten Song und sein Team abschließend in einem Experiment mit Mäusen. Weil Mäuse normalerweise nicht anfällig für das Coronavirus sind, verwendeten sie dafür einen genetisch veränderten Mäusestamm, der menschliche ACE2-Rezeptoren auf den Zellen trägt. Diese Tiere infizierten sie mit einem Nasenspray mit SARS-CoV-2.

Das Ergebnis: „Sieben Tage nach der Infektion war das Virus bereits großflächig in den Neuronen des Vorderhirns präsent“, berichten die Wissenschaftler. „Die meisten Hirnregionen enthielten eine hohe Dichte infizierter Zellen – mit der bemerkenswerten Ausnahme des Kleinhirns.“ Zudem zeigten die infizierten Mäuse deutliche Veränderungen der feinen Blutgefäße im Gehirn. Offenbar bewirkt die Infektion eine Umleitung der Blutversorgung zu den metabolisch besonders aktiven – weil virenproduzierenden – Hotspots im Gehirn.

Für die Mäuse endete die Infektion fatal: Während Tiere, die menschliche ACE2-Rezeptoren nur in der Lunge trugen, die Viruserkrankung überlebten, war dies bei den Mäusen mit ACE2-Rezeptoren im Gehirn nicht der Fall: „Die Verabreichung von SARS-CoV-2 direkt in die Hirnventrikel resultierte bei ihnen in signifikantem Gewichtsverlust und Tod – und das selbst mit 100-fach niedrigeren Virendosen als bei der nasalen Infektion“, berichten Song und sein Team.

„Das Gehirn kann Ziel von SARS-CoV-2 werden“

Ihrer Ansicht nach belegen diese Experimente klar, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 das Gehirn und die Gehirnzellen direkt angreifen und schädigen kann. „Unsere Studie ist eine klare Demonstration, dass Neuronen Ziel der SARS-CoV-2-Infektion werden können – mit der verheerenden Konsequenz lokalisierter Ischämien und einem Zellsterben im Gehirn“, konstatieren Song und seine Kollegen.

In welchem Maße die Coronaviren allerdings beim Menschen ins Gehirn eindringen, ist bislang noch ungeklärt. Zwar bietet die Nase mit ihrer direkten Verbindung zum Riechhirn einen potenziellen Zugang, aber längst nicht bei allen Covid-19-Patienten scheint das Virus diesem Weg zu folgen. (BioRxiv Preprint, 2020; doi: 10.1101/2020.06.25.169946)

Quelle: BioRxiV

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