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Medizin

Corona: Neurologische Symptome durch „unreife“ Antikörper?

Erste Hinweise auf die Ursache von Nerven- und Hirnschäden durch Covid-19

Antikörper Coronavirus
Die neurologischen Spätfolgen bei Covid-19 könnten auf zu unspezifische, fehlgeleitete Antikörper unserer eigenen Immunabwehr zurückgehen. © wildpixel/ iStock.com

Häufiger als gedacht: Einer neuen Studie zufolge leiden mehr als vier von fünf COVID-19-Patienten unter neurologischen Symptomen – von Kopf- und Muskelschmerzen bis zu Gehirnschädigungen. Womöglich sind dafür Antikörper verantwortlich, die der Körper gegen das Virus bildet. Wie Forscher nun gezeigt haben, binden manche der Antikörper nicht nur an das SARS-CoV-2-Virus, sondern auch an körpereigene Strukturen, unter anderem im Gehirn.

Außer den Atemwegen und der Lunge befällt das Coronavirus SARS-CoV-2 zahlreiche andere Organsysteme, darunter Nerven und Gehirn. Symptome sind unter anderem Riechstörungen, Gehirnentzündungen sowie eine chronische Erschöpfung, die teils noch Monate nach einer überstandenen Infektion anhält. Von den neurologischen Folgen sind oft auch Patienten betroffen, bei denen „klassischen“ Covid-19-Symptome nur leicht ausgeprägt sind.

Neurologische Symptome häufiger als gedacht

Eine neue Untersuchung legt nun nahe, dass die neurologischen Begleiterscheinungen häufiger sind als bislang vermutet. Forscher um Eric Liotta von der University of Chicago haben die Daten von 509 Patienten ausgewertet, die im Frühjahr 2020 wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt wurden. 42,2 Prozent dieser Patienten hatten bereits zu Beginn der Infektion neurologische Symptome, bei der Krankenhauseinweisung waren es sogar 62,7 Prozent.

Insgesamt erlebten 82,3 Prozent der Patienten im Verlauf ihrer Erkrankung neurologische Symptome. Davon waren der Studie zufolge eher jüngere Menschen betroffen. Allerdings schränken die Wissenschaftler ein, dass bei älteren Patienten das ärztliche Augenmerk womöglich auf anderen Problemen lag, so dass leichte neurologische Symptome potenziell übersehen wurden.

Enzephalopathie bei jedem dritten Covid-Patienten

Am häufigsten waren Muskelschmerzen (44,8 Prozent) und Kopfschmerzen (37,7 Prozent). Fast jeder dritte Patient erlitt im Laufe seiner COVID-19-Erkrankung eine Enzephalopathie, also eine Erkrankung oder Schädigung des Gehirns. Diese äußert sich zum Beispiel in Bewusstseinsstörungen. Patienten mit Enzephalopathie waren durchschnittlich dreimal so lange im Krankenhaus wie Patienten ohne diese Komplikation und ihre Prognose war schlechter.

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„Diese hohe Prävalenz zeigt, dass neurologische Expertise gefragt ist und Covid-19-Erkrankte grundsätzlich neurologisch mitbetreut werden müssen, weil gerade bei schwerer Betroffenen das Erkennen neurologischer Manifestationen nicht einfach ist“, kommentiert Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, der nicht an der Studie beteiligt war. „Wir haben in den vergangenen Monaten gelernt, dass Covid-19 nicht nur eine pulmonale Erkrankung ist, sondern das Virus verschiedene Organe angreift, und dabei in einem besonderen Maße das Gehirn und Nervensystem.“

Was sind die Ursachen?

Doch welcher Mechanismus steckt dahinter? Bisher war unklar, ob das Coronavirus die Nervenzellen im Gehirn direkt angreift oder ob die neurologischen Schäden eine Folge der körpereigenen Immunreaktion sind. Darauf liefert nun eine Studie von Forschern um Jakob Kreye vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Hinweise. Sie haben die Antikörper untersucht, die das Immunsystem zur Abwehr des Virus bildet.

Ziel der Studie war es ursprünglich, eine passive Immunisierung zu erforschen, bei der Patienten vorbeugend oder als Therapie schützende Antikörper verabreicht bekommen. Dazu isolierten die Forscher rund 600 verschiedene Antikörper von zehn Covid-19-Patienten und testeten ihren protektiven Effekt an Hamstern. Tatsächlich konnte die passive Immunisierung im Tiermodell die Erkrankung fast vollständig verhindern.

Antikörper gegen körpereigene Strukturen

Das Überraschende jedoch: Wie Kreye und seine Kollegen bei zusätzlichen Tests mit Mäusen feststellten, binden einige Antikörper nicht nur an das Virus, sondern auch an körpereigene Strukturen. Unter anderem reagierten manche der eher unreifen, noch unspezifischen Antikörper auch mit Hirngewebe. Das könnte darauf hindeuten, dass womöglich ein Zusammenhang zwischen diesen Antikörpern und neurologischen Begleiterscheinungen und Nachwirkungen von Covid-19 besteht.

„Als nächstes müssen wir klären, gegen welche körpereigenen Eiweiße sich die SARS-CoV-2-Antikörper genau richten“, erklärt Kreyes Kollege Harald Prüß. „Auch im Hinblick auf vermeidbare Komplikationen zukünftiger Impfungen ist eine mögliche Kreuzreaktivität mit körpereigenen Strukturen von großer Bedeutung und muss nun weiter untersucht werden – experimentell sowie an den Antikörpern aus dem Plasma und Liquor von großen Patientenkohorten.“ (Annals of Clinical and Translational Neurology, 2020; doi: 10.1002/acn3.51210; Cell, 2020; doi: 10.1016/j.cell.2020.09.049)

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

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