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Corona: Neue Biomarker für schweren Verlauf

Unreife rote Blutkörperchen und Blutplättchen im Blut signalisieren schwere Fälle von Covid-19

Blutzellen
Das Vorhandensein von zwei unreifen Zelltypen im Blut könnte als Warnzeichen für einen besonders schweren Verlauf von Covid-19 dienen. © AlexLMX/ iStock.com

Zelluläre Warnzeichen: Forscher haben zwei neue Biomarker für einen schweren Verlauf von Covid-19 identifiziert. Demnach enthält das Blut schwerkranker Patienten vermehrt unreife Vorläuferzellen von Blutplättchen und roten Blutkörperchen. Offenbar werden diese Zellen als Folge der schweren Infektion vorzeitig aus dem Knochenmark ausgeschwemmt. Dieses Wissen könnte dabei helfen, Corona-Patienten mit dem höchsten Sterberisiko gezielter zu behandeln.

Die Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 hat weitreichende Folgen: Sie verursacht einen drastischen Umbau der betroffenen Zellen zu Virenfabriken, löst Schäden an Geweben der Lunge, des Herzens und anderer Organe aus und provoziert eine massive Reaktion des Immunsystems, die zu einem tödlichen Cytokinsturm führen kann. Warum jedoch einige Patienten einen schweren Covid-19-Verlauf überleben und andere nicht, ist bisher erst in Teilen klar.

„Trotz zahlreicher Studien wissen wir immer noch relativ wenig darüber, was den Krankheitsverlauf und die Schwere der Erkrankung beeinflusst“, erklärt Koautor Philip Rosenstiel von der Universität Kiel. „Welche Zelltypen spielen hier wann eine wichtige Rolle? Und können wir auf diese Weise bestimmte molekulare Fingerabdrücke im Blut identifizieren, die schon früh auf einen schweren Verlauf hinweisen?“

Genomische Fahndung nach auffälligen Zellen

Auf der Suche nach Antworten haben Rosenstiel, Erstautorin Joanna Bernardes und ihre Kollegen bei 14 schwerkranken Covid-19-Patienten eine umfangreiche Bestandsaufnahme aller Zellen durchgeführt, die sich zu verschiedenen Zeitpunkten der Erkrankung im Blut der Betroffenen fanden. Dafür entnahmen die Forscher fünfmal im Verlauf von knapp 14 Tagen Blut und unterzogen es einer Analyse.

„Das Besondere ist, dass wir mithilfe der sogenannten Einzelzellgenomik hunderttausende Zellen durch Sequenzierung parallel analysiert haben und damit auch seltenere Zelltypen identifizieren konnten“, erklärt Bernardes. „Zusammen mit anderen Daten wie klinischen Laborwerten und Messungen von Entzündungsbotenstoffen konnten wir eine Art Fingerabdruck, eine Signatur, der veränderten Funktionsweise dieser Zellen, erstellen und über die Zeit verfolgen.“

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Vorzeitig aus dem Knochenmark geschwemmt

Es zeigte sich: Neben den schon bekannten Veränderungen bei Immunbotenstoffen und Abwehrzellen identifizierten die Wissenschaftler zwei weitere Auffälligkeiten. Im Blut von Patienten mit besonders schweren Verläufen fanden sich zwei Zelltypen, die zuvor noch nicht im Zusammenhang mit Covid-19 aufgefallen waren. Es handelt sich um unreife Vorläuferzellen von roten Blutkörperchen und von Blutplättchen, sogenannte Megakaryozyten.

„Das ist vor allem überraschend, weil diese Vorläuferzellen sich normalerweise nicht im Blut, sondern im Knochenmark befinden“, erklärt Bernardes‘ Kollege Florian Tran. Ihr Vorkommen im Blut deutet darauf hin, dass diese unreifen Zellen bei den schwerkranken Covid-Patienten vorzeitig aus dem Knochenmark ausgeschwemmt werden. „Wir kennen solche Ausschwemmungen von Vorläuferzellen ins Blut von schwerkranken Patienten etwa bei einer bakteriellen Sepsis. Für Covid-19 ist dies bisher so nicht beschrieben worden“, sagt Tran.

Die Präsenz der unreifen Blutzellen im Blut der Patienten deutet auf eine tiefgreifende Reaktion auch der Blutbildung auf schwere Verläufe der SARS-CoV-2-Infektion hin.

Mögliche Ursache der Gerinnungsstörungen

Wie die Forscher erklären, könnten diese unreifen Blutzellen einige typische Befunde bei schweren Covid-Verläufen erklären: „Blutplättchen sind zuständig für die Blutgerinnung und eine der häufigsten direkten Todesursachen bei Covid-19 sind Gerinnungsprobleme“, sagt Rosenstiel. „Die aktivierten Megakaryozyten im Blut bringen möglicherweise Blutplättchen hervor, die leichter aggregieren und damit zu den Gerinnungsproblemen führen.“

Die Zunahme der Vorläuferzellen von roten Blutkörperchen könnte hingegen eine Reaktion auf den Sauerstoffmangel sein, der bei den Patienten mit schweren Verläufen auftritt. Um den Sauerstofftransport im Blut zu erhöhen, kurbelt das Knochenmark seine Produktion roter Blutkörperchen an. Weil aber die Zellreifung nicht hinterherkommt, werden vermehrt noch unreife Blutkörperchen ins Blut abgegeben.

Biomarker für einen schweren Verlauf

Doch die neuen Erkenntnisse haben auch einen ganz praktischen Nutzen. Denn die unreifen Zellen könnten als Biomarker für einen schweren, potenziell tödlichen Verlauf von Covid-19 dienen. Wie eine ergänzende Studie mit 39 auf der Intensivstation behandelten Corona-Patienten ergab, nahm die Menge dieser Zellen bei den Patienten am stärksten zu, die später an Covid-19 starben.

„Durch die vorliegende Arbeit haben wir eine Grundlage für diagnostische Testverfahren geschaffen, die anhand von Blutproben bereits früh einen schweren Krankheitsverlauf erkennen“, sagt Koautor Stefan Schreiber von der Universität Kiel. „Damit könnte die Versorgung besonders schwer betroffener Patientinnen und Patienten gezielt verbessert werden.“ (Immunity, 2020; doi: 10.1016/j.immuni.2020.11.017)

Quelle: Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen

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