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Medizin

Chromosomen-„Explosion“ als Krebsauslöser

Katastrophaler Zerfall von Chromosomen ist Ursache von bis zu 50 Prozent der Tumore

CHromothripsis
Bei überraschend vielen Tumoren ist eine explosive Zerstörung der Chromosomen die Ursache. © peterschreibermedia/ iStock.com

Explosiv statt schleichend: In überraschend vielen Fällen entsteht Krebs durch ein einmaliges, dramatisches Ereignis – den explosiven Zerfall eines oder mehrerer Chromosomen. Diese sogenannte Chromothripsis liegt bis zu 50 Prozent der Tumoren zugrunde, wie nun eine Studie enthüllt. Bei einigen Krebsarten wie Brustkrebs, Leberkrebs oder Knochenkrebs können es sogar bis zu 80 Prozent sein. Diese Erkenntnis hat auch Bedeutung für die Prognose und Therapie solcher Tumore.

Gängiger Annahme nach entwickelt sich Krebs eher schrittweise, durch eine Ansammlung von Mutationen und DNA-Schäden, die nach und nach zur Entartung der Zelle führen. Sie teilt sich dadurch immer weiter, statt wie normalerweise üblich vom Immunsystem abgetötet zu werden oder durch das zelluläre Selbstmordprogramm von selbst abzusterben. Die Folge ist eine aggressiv wachsende Wucherung – ein Krebstumor.

Katastrophaler Zerfall

Doch es geht auch anders: Schon länger ist bekannt, dass es manchmal zu einer regelrechten „Explosion“ im Erbgut kommen kann. Bei diesem katastrophalen Ereignis zerfällt eines oder mehrere Chromosomen fast völlig. Hunderte bis tausende von DNA-Strangbrüchen treten auf einmal auf, ganze Arme brechen ab, Genabschnitte werden herausgetrennt. Diesem „Totalschaden“ sind die DNA-Reparaturmechanismen der Zellen nicht gewachsen: Sie bauen das zerstörte Chromosom fehlerhaft und unvollständig wieder zusammen.

Das hat fatale Folgen: Oft werden durch diese Chromosomen-„Explosion“ potente Krebsgene aktiviert und die Zelle entartet. „Die Chromothripsis ist mit einem besonders aggressiven Tumorverhalten verknüpft und mit einer schlechten Prognose für die Krebspatienten“, erklären Natalia Voronina vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg und ihre Kollegen.

„Explosion“ bei knapp 50 Prozent der Tumore

Doch wie häufig diese explosionsartige Zerstörung von Chromosomen auftritt und bei wem, war bislang nur in Teilen bekannt. Bislang nahmen Mediziner aber an, dass dieses Erbgut-Desaster nur bei zwei bis drei Prozent der Krebsfälle auftritt. Ob das stimmt, haben Voronina und ihr Team nun überprüft. Dafür analysierten sie das Erbgut von 634 Tumorproben aus 28 Krebsarten, darunter nahezu alle häufigen Tumortypen.

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Das überraschende Ergebnis: In 49 Prozent aller untersuchten Fälle war es in den Tumorzellen zu einer Chromosomen-„Explosion“ gekommen. „Chromothripsis ist demnach die Ursache für einen substanziellen Anteil der menschlichen Krebserkrankungen“, konstatieren die Forscher. Dabei scheinen bestimmte Chromosomen und Chromosomenteile anfällig für den Zerfall zu sein als andere. Zudem betrifft diese „Erbgut-Katastrophe“ manchmal nur ein Chromosom, in anderen Fällen aber gleich mehrere.

Krebsarten
Häufigkeit der Chromothripsis bei verschiedenen Krebsarten. © Voronina et al./ Nature Communications,CC-by-sa 4.0

Anteil je nach Krebsart verschieden

Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Krebsarten: Einige Tumortypen gehen besonders häufig auf eine Chromothripsis zurück, andere dagegen seltener, wie die Wissenschaftler herausfanden. So lag die Häufigkeit solcher Chromosomenschäden bei Brustkrebs bei knapp 80 Prozent der Fälle, beim Leberkarzinom sogar knapp darüber. Beim Melanom, Knochenkrebs und Keimzellkrebs zeigten mehr als 60 Prozent der Tumore eine Chromothripsis.

Deutlich seltener scheinen dagegen Speicheldrüsen- und Eierstocktumore sowie Magenkrebs auf solche Chromosomenzerfälle zurückzugehen, wie die Analysen ergaben. Bei jeder Krebsart sind dabei unterschiedliche Chromosomen betroffen.

Interessant auch: Bei rund der Hälfte der Tumore gingen die Zellen alle auf ein auslösendes Chromothripsis-Ereignis zurück. Doch es gab auch Fälle, bei denen nur der Primärtumor diese Chromosomenschäden hatte, nicht aber die Metastasen oder die nach einer Therapie wiederkehrenden Tumore. Auch den umgekehrten Fall gab es. „Das hat auch potenzielle Auswirkungen auf die Krebstherapie, weil mit der Chromothripsis verknüpfte Ansatzpunkte dann nicht überall vorhanden sind“, sagen Voronina und ihre Kollegen.

Schlechte Prognose für Patienten

Generell bestätigt auch ihre Studie, dass Tumore, die auf Chromothrispis zurückgehen, aggressiver sind – auch innerhalb der verschiedenen Krebsarten: Sie bilden häufiger Metastasen und die Überlebenschancen für Patienten sind geringer. Ein Grund dafür ist offenbar, dass bei den Erbgut-„Explosionen“ hinterher Genstücke falsch zusammengesetzt werden. Durch diese Fusionen können Krebsgene unter den Einfluss eines aktivierenden Regulators im Erbgut geraten und dadurch wird die Tumorentwicklung vorangetrieben.

Dennoch betonen die Wissenschaftler, dass gerade diese neuen Erkenntnisse auch Chancen für eine bessere und gezieltere Krebstherapie eröffnen. Denn wenn man weiß, welche Genveränderungen einem Tumor zugrundeliegen, kann man leichter abschätzen, wo seine Schwachstelle liegt und welches Mittel gegen ihn hilft. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-16134-7)

Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum

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