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Medizin

Blutbestandteil schützt Coronavirus vor Antikörpern

Abbauprodukt des Hämoglobin hindert Immunabwehr und fördert schwere Verläufe von Covid-19

Ein Abbauprodukt des Blutfarbstoffs Hämoglobin hilft dem Coronavirus offenbar, sich vor einem Teil unserer Antikörper zu tarnen. © NIAID

Überraschender Fund: Ein Abbauprodukt unseres eigenen Blutes kann das Coronavirus gegen Antikörper schützen – und so bei manchen Menschen schwere Verläufe begünstigen. Die Wirkung von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 kann sich dadurch um bis zu 50 Prozent verringern, wie eine Studie enthüllt. Schuld ist das beim Abbau von Hämoglobin entstehende Blutprotein Biliverdin, das sich ans N-Ende des viralen Spike-Proteins anlagert – und so die Antikörperbindung blockiert.

Als Reaktion auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 oder eine Impfung bildet unser Immunsystem Antikörper gegen die stachelartigen Oberflächenproteine des Virus. Deren Struktur ist so angepasst, dass sie an verschiedenen Stellen dieses viralen Spike-Proteins anbinden können – einige an der Rezeptorbindungsstelle, andere an einer benachbarten Stelle des Virusproteins, dem sogenannten N-Terminus.

Doch immer wieder kommt es vor, dass die Antikörper-Reaktion des Immunsystems nicht ausreicht, um das Coronavirus erfolgreich am Befall unserer Zellen und der Vermehrung zu hindern. Das kann daran liegen, dass Covid-19-Patienten nicht genügend effektive Antikörper erzeugen, kommt aber auch vor, wenn die Antikörper nicht passen – oder sich das Virus einer Bindung dieser Immunglobuline entzieht.

Verräterische Grünfärbung

Einen zuvor unerkannten Weg dieser viralen Immunflucht haben nun Forschende um Annachiara Rosa vom Francis Crick Institute in London aufgedeckt. Anstoß gab ihnen dabei die unerwartete Beobachtung, dass sich in Laborversuchen mit Patienten-Blutseren und künstlich nachgebauten Spike-Proteinen die Lösung häufig grünlich verfärbte. „Diese ungewöhnliche Eigenschaft war auf den N-Terminus des Spike-Proteins beschränkt und trat bei der Rezeptorbindungsstelle nicht auf“, berichten sie.

Nähere Analysen enthüllten, dass die Grünfärbung auf Biliverdin zurückging – ein Protein, das im Blut beim Abbau des Blutfarbstoffs Hämoglobin gebildet wird. Biliverdin ist unter anderem dafür verantwortlich, dass sich blaue Flecken nach einiger Zeit grünlich färben, entsteht aber auch bei Mikroverletzungen innenliegender Gefäße oder Gewebeschäden. Von Covid-19-Patienten mit schweren Verläufen ist zudem bekannt, dass sie oft einen erhöhten Biliverdin- und Bilirubin-Spiegel im Blut aufweisen.

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Anlagerungsstelle
Anlagerungsstelle des Biliverdin am Spike-Protein von SARS-CoV-2. © Francis Crick Institute

Biliverdin bindet an das Spike-Protein

Was aber hat das Biliverdin mit dem Coronavirus zu tun? Wie Rosa und ihr Team herausfanden, kann sich das Biliverdin an den N-Terminus des Spike-Proteins anlagern. „Aufnahmen mittels Cryo-Elektronenmikroskopie enthüllten, dass das Biliverdin-Molekül in einer tiefen Tasche auf einer Seite der N-Terminus-Domäne gebunden wurde“, berichten die Forschenden.

Das Problem: An diesen Ende des Spike-Proteins liegen Strukturen, die dem Immunsystem dabei helfen, den Erreger zu erkennen. Auch Antikörper binden an den N-Terminus des viralen Proteins. „Wir hatten deshalb den Verdacht, dass die Anlagerung von Biliverdin diese Antigen-Merkmale des Virus maskieren oder verändern könnten“, so die Wissenschaftler. Das würde bedeuten, dass ein körpereigener Blutbestandteil dem Virus bei der Tarnung vor der Immunabwehr hilft.

Antikörper blockiert

Um das zu überprüfen, testeten die Forschenden die Wirksamkeit und Bindefähigkeit von Blutseren genesener Covid-19-Patienten und von 53 verschiedenen monoklonalen Antikörpern gegen normale Spike-Proteine des Coronavirus sowie künstlich mutierte, bei denen Biliverdin nicht mehr andocken konnte. Um die Situation in Patienten nachzuvollziehen, gaben sie jeweils zehn Mikroliter Biliverdin zu den Testlösungen hinzu – dies entspricht etwa der Konzentration, wie sie auch bei Patienten mit Covid-19 auftritt.

Das Ergebnis: In Gegenwart von Biliverdin sank die Neutralisationsrate der Antikörperlösungen um 30 bis 50 Prozent. Neun der 53 monoklonalen Antikörper verloren komplett ihre Bindungsfähigkeit an das virale Spike-Protein. Fehlte das Biliverdin oder wurde seine Bindung durch eine Mutation verhindert, geschah dies nicht. Das bestätigte den Verdacht des Teams: Die Präsenz des Blutproteins Biliverdin hilft dem Coronavirus dabei, sich zumindest vor einem Teil der Antikörper und damit vor der Immunabwehr des Körpers zu schützen.

„Wir waren bass erstaunt über diesen neuen Trick des Virus, der Antikörper-Erkennung zu entgehen“, sagt Rosas Kollege Peter Cherepanov.

Erklärung für schwere Verläufe trotz guter Immunantwort?

Nach Ansicht der Forschenden könnte dies erklären, warum manche Patienten es nicht schaffen, die Coronavirus-Infektion in den Griff zu bekommen und schwere Verläufe entwickeln. „Wenn SARS-CoV-2 die Lungen eines Patienten befällt, dann beschädigt es auch Blutgefäße und bewirkt einen Anstieg der Abwehrzellen. Beides trägt dazu bei, dass sich die Konzentration von Biliverdin und Bilirubin in den umgebenden Geweben erhöht“, erklärt Rosa.

Dier erhöhten Biliverdin-Werte wiederum helfen dem Coronavirus, sich vor dem Immunsystem zu tarnen: Wenn sich das Blutprotein an seinen N-Terminus anlagert, kaschiert es wichtige Antikörper-Bindestellen. „Das ist ein wirklich eindrucksvoller Prozess, weil das Virus dabei von einem Nebeneffekt der Schäden profitiert, die es selbst angerichtet hat“, sagt Rosa.

Das Wissen um diesen Prozess könnte nun dabei helfen, besonders gefährdete Patienten rechtzeitig zu erkennen. Gleichzeitig eröffnet es neue Ansätze, um möglicherweise dieser Tarnfunktion des Biliverdin entgegenzuwirken. (Science Advances, 2021; doi: 10.1126/sciadv.abg7607)

Quelle: The Francis Crick Institute, Science Advances

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