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Medizin

Alzheimer: Warum es Männer oft schwerer trifft

Zusätzliches X-Chromosom könnte den Hirnabbau bei Frauen bremsen

XY-Chromosomen
Die Geschlechtschromosomen könnten erklären, warum Alzheimer bei Männern oft stärker voranschreitet. © vchal/ iStock.com

Genetischer Nachteil: Bei Männern schreitet Alzheimer meist schneller voran und sie sterben häufiger daran. Eine mögliche Erklärung dafür liefert nun das zweite X-Chromosom der Frauen. Denn auf diesem liegt ein Gen, das den geistigen Abbau bremsen kann, wie Forscher herausgefunden haben. Weil Frauen davon die doppelte Portion besitzen, ist ihr Gehirn besser geschützt. Männer dagegen haben nur ein X-Chromosom und produzieren weniger von diesem Protein.

Die Alzheimer-Demenz ist die häufigste neurodegenerative Erkrankung im Alter. Trotzdem sind bislang weder ihre Ursachen geklärt, noch gibt es ein Heilmittel. Bekannt ist aber, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt: Frauen erkranken wegen ihrer längeren Lebenserwartung zwar häufiger an Alzheimer, dafür schreitet der geistige Abbau bei ihnen langsamer und weniger aggressiv voran als bei Männern.

„Unsere Metanalyse hat ergeben, dass Männer gegenüber Frauen ein um 62 Prozent höheres Risiko haben, an Alzheimer zu sterben“, berichten Emily Davis von der University of California in San Francisco und ihre Kollegen. Aber warum?

Liegt die Ursache bei den Geschlechtschromosomen?

Auf der Suche nach einer Ursache haben Davis und ihr Team sich den prominentesten genetischen Unterschied zwischen Männern und Frauen angeschaut: die Geschlechtschromosomen. Während Frauen zwei Kopien des X-Chromosoms besitzen, haben Männer statt des zweiten X nur ein stark reduziertes Y-Chromosom. Zwar wird eines der beiden X-Chromosomen in den weiblichen Zellen weitgehend deaktiviert, man weiß jedoch, dass einige Proteincodes dennoch abgelesen werden.

Könnte hier eine Erklärung für die unterschiedliche Anfälligkeit der Geschlechter gegenüber Alzheimer liegen? Um das herauszufinden, führten die Wissenschaftler Versuche mit einem Stamm von Alzheimer-Mäusen durch, bei denen die Geschlechtszuordnung genetisch manipuliert war. „Das ermöglichte es uns, XX und XY-Mäuse zu erzeugen, die unabhängig von ihrer Genausstattung entweder weibliche oder männliche Geschlechtsmerkmale aufwiesen“, erklären sie.

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Ähnlich wie Menschen mit Alzheimer-Demenz entwickeln auch diese Mäuse im Alter eine fortschreitende Demenz, ausgelöst durch mit Abbauprozessen im Gehirn und die Ablagerung zellschädigender Amyloid- und Tau-Proteine.

Das zweite X schützt

Als die Forscher diese Mäuse Gedächtnistests unterzogen, zeigte sich: Unabhängig vom körperlichen Geschlecht entwickelten die Mäuse mit dem XY-Gentyp deutlich schwerwiegendere geistige Defizite als ihre Artgenossen mit zwei X-Chromosomen. Es fiel ihnen schwer, sich die Lage einer unter Wasser versteckten Plattform zu merken und selbst einen Elektroschock als Abschreckung in einem Testraum behielten sie nicht im Gedächtnis. Die Mäuse mit nur einem X-Chromosom starben auch früher an ihrer Demenzerkrankung.

Interessant auch: Obwohl die XX- Mäuse ähnlich viele Amyloid-Proteine in ihren Gehirnen bildeten wie ihre Artgenossen mit nur einem X-Chromosom, schritt ihr geistiger Abbau weniger schnell voran. Das war auch dann der Fall, wenn die Forscher den XY-Mäusen ein weiteres, zusätzliches X-Chromosom verliehen: Die Präsenz eines zweiten X-Chromosoms bewahrte sie vor den negativen Folgen der Alzheimer-Erkrankung. Umgekehrt verschlechterte sich der Zustand bei XX-Mäusen, wenn ihnen ein X-Chromosom genommen wurde.

„Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Geschlechtschromosomen eine Rolle für die Ausprägung von Alzheimer spielen“, so Davis und ihr Team.

Widerstandsfähiger durch mehr KDM6A-Protein

Aber wie? Um das herauszufinden, schauten sich die Forscher ein Gen genauer an, das auf dem X-Chromosom liegt: c. Von diesem Gen ist bereits bekannt, dass es eine wichtige Rolle für die Plastizität des Gehirns und das Lernen spielt. Ist es defekt, entwickeln Menschen und Mäuse Lernstörungen und geistige Defizite. Gleichzeitig aber gehört dieses Gen zu den Erbgutteilen, die beim zweiten X-Chromosom der Frauen nicht vollständig deaktiviert werden.

Der Verdacht der Wissenschaftler: Möglicherweise produzieren Frauen eine höhere Dosis des KDM6A-Proteins in ihren Gehirnzellen und sind deswegen widerstandsfähiger gegenüber Alzheimer. Ein Vergleich der Genaktivität bei gesunden und demenzkranken Menschen bestätigte dies: Frauen haben in ihrem Gehirn einen höheren Gehalt dieses Proteins als Männer. Ähnliches galt für die XX-Mäuse.

Potentere Genvariante bremst Demenz

Und noch etwas ergaben die Vergleiche: Zusätzlich zur doppelten Portion des KDM6A-Gens besitzen Frauen auch häufiger eine besonders aktive Variante davon. Sie kommt bei rund 13 Prozent der Frauen und sieben Prozent der Männer weltweit vor, wie Davis und ihr Team berichten. Und auch die Träger dieser Genvariante scheinen dem geistigen Abbau durch die Alzheimer-Demenz länger widerstehen zu können.

In ihren Versuchen mit Mäusen überprüften die Wissenschaftler die Schutzwirkung dieses Gens, indem sie es bei ihren XX-Mäusen gezielt ausschalteten. Das Ergebnis: Die Tiere mit deaktiviertem KDM6A-Gen zeigten einen ähnlich schnellen geistigen Abbau wie ihre XY-Artgenossen. Umgekehrt milderte eine Überaktivierung dieses Gens bei den XY-Mäusen deren Demenzerscheinungen und machte sogar einen Teil ihrer geistigen Defizite wieder rückgängig.

Chance für neue Behandlungsansätze

„Damit enthüllt unsere Studie eine neue Rolle der Geschlechtschromosomen bei Alzheimer“, konstatieren die Forscher. Demnach könnte das doppelte X-Chromosom erklären, warum die Alzheimer-Demenz bei Frauen langsamer voranschreitet als bei Männern: Sie produzieren mehr schützendes KDM6A.

„Diese Schutzwirkung des X-Chromosoms und des KDM6A eröffnet nun die Chance, die Widerstandsfähigkeit gegen Alzheimer und andere neurodegenerative Erkrankungen zu erhöhen – beispielsweise indem wir die Produktion des KDM6A-Proteins bei Männern wie Frauen gezielt erhöhen“, sagen Davis und ihre Kollegen. Vorher müssen allerdings noch viele ergänzende Fragen geklärt werden. (Science Translational Medicine, 2020; doi: 10.1126/scitranslmed.aaz5677)

Quelle: University of California – San Francisco

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