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Physik

Zweiter Fusionsweg in der Sonne nachgewiesen

Neutrinos bestätigen den vor 82 Jahren postulierten CNO-Fusionszyklus

Sonne
Der Borexino-Detektor hat den direkten Beweis für einen zweiten Fusionsweg in der Sonne erbracht – mithilfe solarer Neutrinos. © Maxim Gromov and Borexino Collaboration

Meilenstein der Astrophysik: Forscher haben erstmals Neutrinos aus dem sogenannten CNO- Zyklus der Sonne nachgewiesen – einer vor 82 Jahren vorhergesagten Fusionsreaktion. Dabei verschmelzen Protonen nicht direkt, sondern werden durch die Katalyse schwerer Elemente wie Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff zu Helium fusioniert. Durch die Neutrinos ist nun der erste direkte Nachweis dieses CNO-Zyklus gelungen – ein wichtiger Durchbruch für die Sternenforschung.

Unsere Sonne bezieht ihre Energie aus der Kernfusion – Wasserstoff wird dabei zu Helium. Knapp 99 Prozent dieser Fusionsreaktionen erfolgen in unserem Stern durch die direkte Verschmelzung von Protonen. Doch schon 1938 postulierten die Physiker Hans Bethe und Carl Friedrich von Weizäcker, dass es noch einen zweiten Fusionsweg geben muss. Bei diesem sogenannten CNO-Zyklus katalysieren die Elemente Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff die Fusionsreaktion.

CNO-Zyklus
Schema des CNO-Fusionszyklus. © CWitte/ CC-by-sa 3.0

Neutrinos als Fusions-Boten

In der Sonne macht diese CNO-Fusion zwar nur rund ein Prozent aller Fusionsprozesse aus. Aber in massereicheren Sternen ist sie Modellen zufolge die dominante Fusionsreaktion. „Der CNO-Zyklus gilt daher als der primäre Mechanismus für die stellare Umwandlung von Wasserstoff zu Helium im Universum“, erklären Gioacchino Ranucci und seine Kollegen von der Borexino-Kollaboration. Doch trotz seiner Bedeutung ist es bisher nicht gelungen, diesen Fusionsweg in einem Stern direkt nachzuweisen.

Das hat sich nun geändert: 82 Jahre nach der theoretischen Vorhersage des CNO-Zyklus haben ihn Forscher der Borexino-Kollaboration nun auch experimentell bewiesen. Dies gelang ihnen mithilfe solarer Neutrinos – nahezu masselosen Teilchen, die als Beiprodukt der Fusionsreaktionen freiwerden. Pro Sekunde strömen hunderte Milliarden solcher Neutrinos unbemerkt durch unseren Körper. Aus welcher Fusionsreaktion ein solches Teilchen kommt, lässt sich unter anderem an seiner Energie ablesen.

Lichtblitze im Untergrundlabor

Das Problem jedoch: Neutrinos aus der CNO-Fusion sind vergleichsweise selten und haben eine eher geringe Energie von maximal rund 1,700 Kiloelektronenvolt. Dadurch sind sie leicht mit den bei radioaktiven Zerfallsreaktionen freigesetzten Neutrinos zu verwechseln. Um die CNO-Neutrinos nachweisen zu können, muss man daher Detektoren haben, die maximal gegen solche Zerfälle abgeschirmt sind.

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Ein solcher Detektor ist der Borexino im Gran-Sasso-Laboratorium. Der unterirdische Neutrino-Detektor ist durch eine dicke Felsschicht, eine Stahlhülle und mehrere Flüssigkeitstanks gegen die Außenwelt abgeschirmt. Im Zentrum dieses Aufbaus liegt der mit 278 Tonen einer organischen Flüssigkeit gefüllte Detektortank. Kollidiert in ihm ein Neutrino mit einem der Flüssigkeitsatome, entsteht winziger Lichtblitz, der von Photosensoren registriert wird.

Für ihre Fahndung nach den solaren CNO-Neutrinos haben die Forscher Detektordaten von Juli 2016 bis Februar 2020 ausgewertet und aufwändig statistisch gefiltert.

720 Millionen CNO-Neutrino pro Sekunde und Quadratzentimeter

Tatsächlich wurden sie fündig: Unter den vielen Neutrinos aus anderen Quellen identifizierten sie erstmals auch Teilchen aus der CNO-Fusion. Im Schnitt registrierte ihr Detektor 7,2 solcher CNO-Neutrinos pro Tag und 100 Tonnen Flüssigkeit. Geht man davon aus, dass die meisten dieser CNO-Neutrinos unbemerkt bleibe, ist ihre wahre Menge enorm: „Das lässt sich umrechnen in 720 Millionen CNO-Neutrinos, die pro Sekunde und Quadratzentimeter auf die Erde einströmen“, erklären die Borexino-Wissenschaftler.

Damit ist es erstmals gelungen, den CNO-Zyklus in der Sonne direkt nachzuweisen – über die bei diesem Fusionsweg gebildeten Neutrinos. Sie bestätigen, dass eine solche CNO-Fusion in der Sonne stattfindet – und damit auch die 82 Jahre alte Theorie von Bethe und von Weizäcker. Gleichzeitig passen die gemessenen Werte zu den Modellen, nach denen dieser Fusionsweg rund ein Prozent der gesamten solaren Fusionsreaktionen ausmacht.

„Meilenstein der Neutrino-Physik“

„Damit haben wir endlich den ersten, bahnbrechenden experimentellen Beleg dafür, wie Sterne schwerer als die Sonne ihr Leuchten erzeugen“, sagt Co-Autor Gianpaolo Bellini von der Universität Mailand. Gleichzeitig eröffnen diese Messungen auch einen Weg, den Gehalt schwerer Elemente in der Sonne und anderen Sternen naher zu bestimmen. Denn ihr Anteil beeinflusst das Ausmaß der CNO-Fusion.

„Die Borexino-Kollaboration präsentiert Ergebnisse, die einen Meilenstein der Neutrino-Physik darstellen. Dieses gewaltige Errungenschaft bringt uns näher an ein vollständiges Verständnis unserer Sonne und der Bildung massereicher Sterne“, schreibt der nicht an der Studie beteiligte Physiker Gabriel Orebi Gann von der University of California in Berkeley in seinem begleitenden „Nature“-Kommentar. (Nature, 2020; doi: doi: 10.1038/s41586-020-2934-0)

Quelle: The Borexino Collaboration

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