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Astronomie

Verborgene Brücken aus Dunkler Materie

Kartierung enthüllt Verteilung der Dunklen Materie im Umfeld der Milchstraße

Diese Kartenausschnitte zeigen die Dynamik und Dichteverteilung des lokalen Kosmos und enthüllen dadurch auch unsichtbare Filamente (gelb) aus Dunkler Materie, die die Galaxien verbinden. Das X im Zentrum markiert jeweils die Position der Milchstraße © Hong et. al./ Astrophysical Journal

Unsichtbare Filamente: Eine neue Kartierung zeigt die Verteilung der Dunklen Materie im Umfeld der Milchstraße – und enthüllt einige zuvor unbekannte Strukturen. Dazu gehören mehrere kleinere Filamente, die benachbarte Galaxien verbinden. Dieser genauere Blick auf die verborgenen Materieströme unserer kosmischen Umgebung könnte dazu beitragen, die Natur der Dunklen Materie aufzuklären, so die Astronomen im „Astrophysical Journal“.

Die Dunkle Materie ist im Kosmos ebenso allgegenwärtig wie geheimnisvoll. Denn woraus sie besteht und welche Merkmale sie besitzt, ist völlig unbekannt. Klar scheint nur, dass ihre Schwerkraft das Verhalten der normalen Materie und ihre Verteilung im Kosmos prägt. Wie jedoch die Dunkle Materie selbst verteilt ist, können Astronomen nur indirekt ermitteln, beispielsweise aus der Bewegung von Sternenströmen oder Galaxien.

Nahe Struktur kaum kartiert

„Ironischerweise ist es dabei einfacher, die Verteilung der Dunklen Materie in großer Ferne zu kartieren als in unserer Nachbarschaft“, erklärt Koautor Donghui Jeong von der Pennsylvania State University. „Denn in der fernen Vergangenheit war der Kosmos weniger komplex.“ Die meisten bisherigen Kartierungen der Dunkle-Materie-Verteilung beruhen deshalb auf der Beobachtung oder Simulation von Milliarden Lichtjahre entfernten Strukturen.

Wie aber die Dunkle Materie in der Umgebung unserer Milchstraße und der Lokalen Gruppe verteilt ist, ist bislang weitgehend unbekannt. Der Grund: Zum einen werden Teile der nahen Strukturen von der Milchstraße verdeckt, zum anderen wird die Bewegung von Galaxien auch von anderen Faktoren als der Dunklen Materie beeinflusst, wie Jeong und seine Kollegen erklären. Wenn man aber nur wenige Galaxien im Blick hat wie m nahen Kosmos, lassen sich diese Störfaktoren schwieriger herausrechnen.

Hilfe von der künstlichen Intelligenz

Um dieses Dilemma zu lösen, hat das Team um Jeong und Erstautor Sungwook Hong von der Universität Seoul einen neuen Ansatz genutzt: Sie spannten eine künstliche Intelligenz für die Kartierung ein. Zunächst trainierten sie dieses lernfähige Programm an einem Satz von Simulationen, die Merkmale und Verteilung von Galaxien, interstellarer Materie und auch Dunkler Materie abbilden. Dabei legten die Forscher den Schwerpunkt auf Datensätze, die viele der Milchstraße ähnliche Galaxien und ihr Umfeld enthielten.

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Anhand dieser Trainingsdaten lernte das künstliche neuronale Netzwerk, wie die Entfernung, Leuchtkraft und Eigenbewegung von Galaxien mit der Dichte und Präsenz Dunkler Materie in ihrem Umfeld zusammenhängen. „Das System kann nun auf Basis des Gelernten auch in neuen Daten detaillierte Strukturen erkennen und einige Lücken schließen“, erklärt Jeong.

Für die eigentliche Kartierung erhielt die KI dann Daten des Cosmicflow-3-Galaxienkatalogs zu 17.647 Galaxien im Umkreis von 65 Millionen Lichtjahren um die Milchstraße. Aus diesen Informationen ermittelte das System die Verteilung und Dichte der Dunklen Materie in unserem lokalen Umfeld.

Blick auf „dunkle“ Filamente

Die mittels KI erstellte Karte enthüllt nun erstmals, wie die Dunkle Materie in unserem lokalen Universum verteilt ist. „“Das auffallendste Merkmal, das wir aufgedeckt haben, ist die filamentäre Struktur des lokalen kosmischen Netzwerks“, sagen die Forscher. Die Karte zeigt deutlich, dass die Dunkle Materie in einer netzartigen Struktur um uns herum verteilt ist. Ihre lokale Verteilung ähnelt damit derjenigen, die auch im fernen, frühen Universum beobachtet werden kann.

„Eine solche Karte des lokalen kosmischen Netzwerks zu haben, eröffnet ein ganz neues Kapitel kosmologischer Studien“, sagt Jeong. „Denn wir können nun erforschen, wie die lokale Verteilung der Dunklen Materie mit anderen astronomischen Daten zusammenhängt, wie beispielsweise bestimmten Strahlungsemissionen.“

Das wiederum könnte Aufschluss geben über die noch immer rätselhafte Natur der Dunklen Materie. So können sich die Teilchen der Dunklen Materie einer Hypothese zufolge gegenseitig unter Abgabe von Röntgen- oder Gammastrahlung auslöschen. Sollte das stimmen, müsste diese Strahlung in Gebieten mit hoher Dichte der Dunklen Materie entsprechend höher sein – die neue Kartierung ermöglicht diesen Abgleich nun.

Lokale Strukturen
Die Karte zeigt auch einige schon bekannte Großstrukturen (rot) des lokalen Kosmos. © Hong et. al./ Astrophysical Journal

Subtile Dynamik unserer Umgebung

Die neue Karte gibt zudem Einblick in die Dynamik und die gravitativen Verbindungen vieler sichtbarer Objekte im lokalen Kosmos. Sie zeigt beispielsweise zahlreiche schon bekannte Großstrukturen wie den Lokalen Void, eine relative leere Zone im All, an deren Rand unsere Milchstraße liegt. „Die Geschwindigkeitsdaten zeigen, wie sich Material vom Lokalen Void zu den nahegelegenen Filamentstrukturen und Galaxienhaufen bewegt“, erklären die Forscher.

Auch einige der großen Filamente des lokalen komischen Netzwerks werden in der neuen Karte sichtbar. Zu diesen gehört eine bereits 2015 entdeckte Brücke aus Dunkler Materie zwischen der Lokalen Gruppe und dem Virgo-Superhaufen, aber auch der Fornax Wall, ein mehrere Galaxienhaufen verbindendes Filament. Nach Angaben der Astronomen belegt dies, dass die neue 3D-Karte die Wechselwirkungen und Dynamiken der sichtbaren und unsichtbaren Materie gut erfasst.

Unerkannte Strukturen

Spannend jedoch: Die Kartierung enthüllt auch einige neue, zuvor unerkannte Strukturen. Dazu gehören mehrere kleinere Brücken aus Dunkler Materie, die benachbarte Galaxien miteinander verbinden. „Mithilfe der neuen Karte wissen wir nun, wo diese Filamentstrukturen liegen und können diese verborgenen Brücken zwischen den Galaxien dadurch direkt untersuchen“, sagt Jeong.

Ebenfalls neu ist eine erst jetzt entdeckte Gleichrichtung der Zwerggalaxien, Kugelsternhaufen und Sternenströme im Umfeld der Milchstraße mit der lokalen Ebene. Diese umfasst einen tellerförmigen Bereich von rund 20 Millionen Lichtjahren Durchmesser, in dem die Milchstraße und die Andromedagalaxie von zwölf großen Galaxien umringt wird.

Die Kenntnis dieser Strukturen und Auffälligkeiten kann nun weiteren Aufschluss darüber geben, wie unsere kosmische Umgebung zu dem wurde, was sie heute ist. „Weil die Dunkle Materie die Dynamik des Universums dominiert, bestimmt sie auch unser Schicksal“, sagt Jeong. Wenn wir demnach die Gesetzmäßigkeiten hinter ihrer heutigen Verteilung kennen, können wir die Zeit virtuell zurückdrehen und die Geschichte unserer kosmischen Nachbarschaft ergründen. (Astrophysical Journal, 2021; doi: 10.3847/1538-4357/abf040)

Quelle: Pennsylvania State University

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