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Wissenschaft

Ukrainekrieg: Folgen auch für die Wissenschaft

Viele Forschungs- und Weltraumprojekte mit russischer Beteiligung liegen auf Eis

ISS
Auf der Internationalen Raumstation ISS ist die Zusammenarbeit von russischen und westlichen Astronauten und Technologien überlebenswichtig. © NASA/ Roskosmos

Kooperationen gekappt: Der Krieg in der Ukraine hat auch in der Wissenschaft und Raumfahrt zunehmend Konsequenzen. Kooperationen mit russischen Forschungseinrichtungen liegen auf Eis, Fachjournale debattieren über einen Boykott von Publikationen russischer Forscher und auch in der Raumfahrt gibt es erste Absagen. Einige internationale Großforschungsprojekte versuchen hingegen einen Mittelweg – und auch auf der Internationalen Raumstation ISS geht die Arbeit vorerst weiter wie bisher.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine am 24.Februar 2022 hat nicht nur für die Bevölkerungen der betroffenen Länder schwerwiegende Folgen – die Auswirkungen dieses Krieges und seiner politischen Hintergründe machen sich in der gesamten Welt bemerkbar. Neben den Folgen von Krieg und Sanktionen für die Energieversorgung und die Weltmarktpreise für Öl, Gas und viele Lebensmittel geht der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine auch an der Wissenschaft nicht spurlos vorüber.

Eigentlich sehen die im Internationalen Wissenschaftsrat und anderer Gremien aufgestellten Prinzipien vor, dass kein Wissenschaftler wegen seiner politischen Einstellung oder Nationalität diskriminiert werden darf. Die Freiheit zu forschen, Daten auszutauschen und zu publizieren darf demnach eigentlich auch im Kriegsfall nicht eingeschränkt werden. In der Praxis aber hat Russlands Angriff auf die Ukraine längst auch Auswirkungen auf die Wissenschaft.

Kooperationen auf Eis gelegt

Den Anfang machten bereits am Tag nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erste westlichen Forschungseinrichtungen: Das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA beendete am 25. Februar seine seit elf Jahren bestehende Kooperation mit dem Moskauer Skolkovo Institut für Technik und Wissenschaft. Wenig später schloss die EU-Kommission Russland von ihrem Forschungsprogramm Horizon Europa aus.

ITer-Baustelle
Am Bau des Fusionsreaktor ITER sind auch russische Einrichtungen beteiligt. Bisher wird diese internationale Kollaboration fortgeführt. © ITER Collarboration

Das Forschungszentrum CERN, weltweites Zentrum der Teilchenphysik und Betreiber des Teilchenbeschleunigers LHC, versucht dagegen einen Mittelweg: Die 23 Mitgliedsstaaten der Kollaboration votierten am 8. März dafür, Russland seine Beobachterstatus zu entziehen und seine Repräsentanten von den Sitzungen des CERN-Rats auszuschließen. Die mehr als tausend russischen Physiker, die an CERN-Projekten beteiligt sind oder deren wissenschaftliche Daten nutzen, dürfen dagegen vorerst weitermachen.

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Keine Sanktionen haben bisher die Internationale Astronomische Union (IAU) oder das Fusionsreaktor-Projekt ITER verhängt. Beide berufen sich darauf, dass sie übernationale und bewusst nichtpolitische Organisationen seien. „ITER ist ein Kind des Kalten Krieges und schon deshalb bewusst unparteiisch“, sagt ITER-Sprecher Laban Coblentz.

Deutsch-russische Zusammenarbeit gestoppt

Auch viele deutsche Forschungsorganisationen, darunter die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) oder die Max-Planck-Gesellschaft haben alle Kooperationsprojekte auf Eis gelegt. Anträge von Projekten mit russischer Beteiligung werden nicht mehr bearbeitet, Wissenschaftler laufender Kooperationsprojekte wurden gebeten, vorerst keine Daten, Proben und Geräte mehr auszutauschen.

„Wir sind uns der Folgen dieser Maßnahmen bewusst und bedauern diese außerordentlich“, heißt es in einer Stellungnahme der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen. „Viele Forschungsarbeiten sind auf Jahre ausgelegt und werden durch die aktuelle Kriegssituation massiv beeinträchtigt.“ Trotz dieser Maßnahmen gelte daher die Solidarität auch den russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die über die Invasion Russlands in die Ukraine selbst entsetzt seien.

eROSITA
Das deutsche Röntgenteleskop eROSITA ist zurzeit inaktiv geschaltet, weil es auf einem russischen Satelliten installiert ist. © MPI für extraterrrestrische Physik

Der Boykott geht sogar so weit, dass selbst das deutsche Röntgenteleskop eROSITA vorübergehend abgeschaltet wurde, weil es auf einem russischen Satelliten montiert ist und die Datenübertragung vorwiegend über russische Empfangsstationen stattfindet. Das Teleskop hat vier von acht geplanten Durchgängen zur Himmelsdurchmusterung abgeschlossen.

Konflikt zwischen Roskosmos und ESA

Noch schwerere Folgen könnten Krieg und Sanktionen allerdings für die Raumfahrt haben. Die russische Raumfahrtagentur Roskosmos hat bereits am 26. Februar alle Mitarbeiter vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou abgezogen. Damit sind Starts der dort für mittelgroße Nutzlasten eingesetzten Soyuz-Raketen unmöglich geworden. Die europäische Raumfahrtagentur ESA muss nun für die schon geplanten Starts umdisponieren. „Wir werden für jede europäische Nutzlast prüfen, ob sie mit den verfügbaren Trägerraketen oder kommenden Vega-C und Ariane-6-Raketen starten können“, so die ESA in einem Statement.

Umgekehrt könnte die ESA erwägen, ihre Beteiligung an zwei kommenden russischen Mondmissionen aufzugeben. Für die Luna-25-Mission im Juli 2022 liefern europäische Partner eine Landekamera, für Luna-27 kommen das Navigationssystem, ein Bohrer und ein Minilabor von der ESA. Noch hat sich die ESA allerdings nicht klar dazu geäußert, ob diese Kooperationen bestehen bleiben.

Internationale Raumstation ISS: Noch läuft die Kooperation

Am dramatischsten könnten die Konsequenzen des Ukrainekrieges für die Internationale Raumstation ISS ausfallen. Denn sie besteht zum Teil aus russischen Modulen und wird von Kosmonauten mitbewohnt, zudem sind die lebenserhaltenden Systeme der Station so eng verzahnt, dass es ohne russische Mitwirkung nicht geht. So liefert beispielsweise ein Modul der USA die Stromversorgung für die russische Seite, dafür sorgen die am russischen Teil angedockten Transportraketen für den Schub, durch den die ISS ihre Orbithöhe hält oder Weltraumschrott ausweichen kann.

Unter anderem deshalb hat die internationale Zusammenarbeit auf der ISS bisher alle politischen Konflikte überdauert. Auch jetzt scheint der Arbeitsalltag an Bord weiterzulaufen wie bisher. Zurzeit besteht die Besatzung der Raumstation aus zwei Kosmonauten, vier US-Astronauten und dem deutschen ESA-Astronauten Mathias Maurer. Zwar hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) alle Kooperationen mit Russland abgebrochen, die Mission des deutschen Astronauten scheint davon aber vorerst nicht betroffen.

Laut Angaben der NASA sollen auch die kommenden Flüge zur ISS und geplante Experiment regulär ablaufen. Am 18. März ist ein Start dreier russischer Kosmonauten von Baikonur aus zur ISS geplant, am 30.März sollen dann mit die beiden jetzt im Orbit arbeitenden Kosmonauten und ein NASA-Astronaut mit der Soyuz zur Erde zurückkehren.

ExoMars: Für 2022 geplanter Start fällt aus

Akut gefährdet ist hingegen der für dieses Jahr geplante Flug des europäischen ExoMars-Rovers zum Roten Planeten. Ursprünglich sollte der Rover im September vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur aus auf den Weg zum Mars gebracht werden. Doch daraus wird wohl nichts: „Die Sanktionen und der weite Kontext des Krieges machen einen Start von ExoMars im Jahr 2022 sehr unwahrscheinlich“, heißt es von der ESA.

Das aber bedeutet nicht nur die dritte Verschiebung dieser Marsmission, es könnte sogar ihr Ende bedeuten, wie einige Planetenforscher befürchten. Zum einen öffnet sich das nächste Startfenster für Marsflüge erst im Jahr 2024, zum anderen könnte die Anpassung des Rovers und der restlichen Missionskomponenten an eine andere Trägerrakete so zeitaufwendig und teuer werden, dass das Projekt komplett aufgegeben wird.

Das Problem: Die Zusammenarbeit an diesem und anderen Raumfahrtprojekten ist so eng und verzahnt, dass es nur schwer möglich ist, dies nun ohne Verluste zu trennen. Der an der Mission beteiligte Wissenschaftler Lev Zelenyi vom russischen Weltraumforschungsinstitut in Moskau erklärte vor wenigen Tagen gegenüber „Nature“, er verstehe sehr gut die Motivation der ESA, halte es aber für die falsche Entscheidung. „Enorme Anstrengungen von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern aus vielen europäischen Ländern, nicht einmal von russischen, werden dann völlig umsonst gewesen sein“, so Zelenyi.

Quelle: Nature, Science, DFG, international Science Council, Max-Planck-Gesellschaft

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