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Astronomie

Supercomputer erklärt Galaxien-Geburt

Größte Simulation des Wachstums kosmischer Strukturen durchgeführt

Die Verteilung der Dunklen Materie im Universum auf unterschiedlichen Skalen. Das Bild im Hintergrund zeigt einen Schnitt durch die Millennium-Simulation auf einer Gesamtbreite von mehr als neun Milliarden Lichtjahren. Auf solch riesigen Skalen erscheint das Universum fast homogen, doch die überlagerte Serie von Vergrößerungen zeigt ein komplexes "kosmisches Netz" aus dunkler Materie auf Skalen bis zu etwa 300 Millionen Lichtjahre. Diese Großraumstruktur besteht aus Filamenten, die große Leerräume umspannen und sich in massereichen Halos aus Materie treffen. Die größten dieser Halos sind mächtige Galaxienhaufen, die über eintausend Galaxien enthalten, welche von der Simulation als Halosubstruktur aufgelöst werden. © Max-Planck-Institut für Astrophysik

Die weltweit größte Simulation des Wachstums kosmischer Strukturen und der Entwicklung von Galaxien, Quasaren und Schwarzen Löchern hat jetzt das Virgo-Konsortium, eine internationales Astrophysikerteam aus Deutschland, England, Kanada, Japan und den USA, durchgeführt. Die „Millennium-Simulation“ benutzte mehr als zehn Milliarden fiktive Teilchen, die jeweils eine Masse von etwa einer Milliarde Sonnen repräsentierten, um mithilfe eines Supercomputers die Entwicklung der Materieverteilung in einer würfelförmigen Region des Universums mit einer Kantenlänge von mehr als zwei Milliarden Lichtjahren zu verfolgen.

Der Rechenvorgang beschäftigte den leistungsfähigsten Rechner der Max-Planck-Gesellschaft in Garching mehr als einen Monat. Mit der neuen Simulation ist es den Astrophysikern möglich, die Entwicklungsgeschichte von etwa 20 Millionen Galaxien zu rekonstruieren sowie die Entstehung der superschweren Schwarzen Löcher, die gelegentlich als Quasare in ihren Herzen aufleuchten.

„Kalte Dunkle Materie“

Neueste Erkenntnisse in der Kosmologie zeigen, dass das Universum zu etwa 70 Prozent aus „Dunkler Energie“ besteht, einem mysteriösen Kraftfeld, das eine immer schnellere Expansion des Raums antreibt. Etwa ein Viertel liegt offenbar als „Kalte Dunkle Materie“ vor, in Form eines neuartigen Elementarteilchens, das man bisher auf der Erde noch nicht direkt nachweisen konnte. Nur etwa fünf Prozent bestehen dagegen aus gewöhnlicher atomarer Materie – im Wesentlichen aus den Elementen Helium und Wasserstoff.

Mit Teleskopen, die Mikrowellenstrahlung messen können, ist es gelungen, das erst 400.000 Jahre alte Universum abzubilden. Die einzigen Strukturen zu dieser Zeit bestanden aus einer sehr schwachen Kräuselung eines ansonsten gleichförmigen Sees aus Materie und Strahlung. Die spätere Entwicklung durch die Schwerkraft hat diese kleinen Schwankungen in die vielfältigen Strukturen, die wir heute beobachten, verwandelt.

Millennium-Simulation klärt Wachstum von kosmischen Strukturen

Für die Berechnung des Wachstums dieser Strukturen wurde die Millennium-Simulation entworfen. Zum einen hatte sie das Ziel, das neue Bild der kosmischen Entwicklung und seine tatsächliche Übereinstimmung mit Beobachtungen zu überprüfen, zum anderen sollen mit ihr die komplexen physikalischen Prozesse, die zur Bildung von Galaxien und Schwarzen Löchern führen, erforscht werden.

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Besonders spannend für die Astrophysiker war die Simulation des frühen Wachstums der Schwarzen Löcher. Dabei hat der Sloan Digital Sky Survey (SDSS), eines der größten systematischen Programme der beobachtetenden Astronomie zum Studium von Galaxien, ein paar sehr weit entfernte und sehr helle Quasare entdeckt, welche anscheinend Schwarze Löcher mit einer Masse von mindestens einer Milliarde Sonnenmassen beherbergen und das zu einer Zeit, als das Universum weniger als ein Zehntel seines heutigen Alters erreicht hatte.

„Viele Astronomen bezweifelten, ob es möglich sei, dies mit dem allmählichen Wachstum der kosmischen Strukturen im Standardmodell zu vereinbaren“, sagt Volker Springel, der Leiter des Millennium-Projekts am Max-Planck-Institut für Astrophysik in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature. „Als wir aber unser Modell für die Entstehung von Galaxien und Quasaren anwandten, fanden wir, dass sich einige wenige schwere Schwarze Löcher tatsächlich früh genug bildeten, um diese seltenen SDSS-Quasare erklären zu können. Ihre Wirtsgalaxien treten in der Millennium-Simulation bereits auf, als das Universum nur ein paar hundert Millionen Jahre alt war. Heute sind sie zu den massereichsten Galaxien im Zentrum von großen Galaxienhaufen geworden.“

Neue Erkenntnisse über die Natur der Dunklen Materie

Nach den Worten von Carlos Frenk vom Institute for Computational Cosmology der Durham University in Großbritannien, der Leiter von Virgo in England, zeigt die Millennium-Simulation zum ersten Mal, dass das charakteristische Schwankungsmuster, das der Materieverteilung im frühen Universum aufgeprägt worden ist und man direkt in den Mikrowellen-Karten sehen kann, heute immer noch vorhanden und darüber hinaus im Prinzip durch die beobachtete Verteilung der Galaxien messbar ist.

„Falls wir die Schwankungen genau genug bestimmen können“, sagt Frenk, „dann werden sie uns einen Längenmaßstab liefern, mit dem wir die Geometrie und die Expansion des Universums vermessen und damit etwas über die Natur der Dunklen Materie lernen können.“

Die interessantesten und weitreichensten Anwendungen der Millennium-Simulation werden allerdings erst noch kommen, erklärt Simon White vom Max-Planck-Institut für Astrophysik. „Neue Beobachtungsprogramme geben uns Informationen von noch nie gekannter Genauigkeit über die Eigenschaften von Galaxien, Schwarzen Löchern und der Großraumstruktur des Universums“, ist sich der Leiter von Virgo in Deutschland sicher.

„Unsere Fähigkeit, die Konsequenzen unserer Theorien vorauszusagen, muss eine vergleichbare Präzision erreichen, wenn wir die Beobachtungen voll ausnutzen wollen, um etwas über den Ursprung und die Natur unserer Welt zu lernen. Die Millennium-Simulation ist hierfür ein einzigartiges Werkzeug. Es ist nun unsere größte Herausforderung, diese Mächtigkeit auch anderen Astronomen zugänglich zu machen, sodass sie ihre eigenen Theorien zur Entstehung von Galaxien und Quasaren darauf anwenden können, um damit ihre Beobachtungen zu interpretieren“, so White weiter.

(MPG, 02.06.2005 – DLO)

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