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Astronomie

Skurril: Schleimpilz hilft bei Kosmos-Simulation

Modell nach Pilzvorbild zeigt Lage und Verteilung kosmischer Gasfilamente

Gasfilament-Simulation
Diese Simulation zeigt die Verteilung kosmischer Gasfilamente auf Basis der Verteilung von 37.000 Galaxien – und einem Schleimpilz-Modell. © NASA, ESA, and J. Burchett and O. Elek (UC Santa Cruz)

Überraschende Parallelen: Astronomen haben das Netzwerk eines Schleimpilzes zu Hilfe genommen, um die großräumige Struktur kosmischer Gase zu enträtseln. Das Pilznetz diente dabei als Ausgangspunkt für ein Modell, das die mögliche Verteilung der Gasfilamente simulierte. Der Clou dabei: Dieses Pilzmodell erwies sich als überraschend treffgenau. Dort, wo es primordiale Gase vorhersagte, wurden die Astronomen tatsächlich fündig.

Sterne, Galaxien und Galaxienhaufen sind im Kosmos nicht zufällig verteilt: Sie liegen vorwiegend an den Knotenpunkten eines gewaltigen Netzwerks aus Dunkler Materie und primordialen Gasen. Diese primordialen Gasfilamente sind der Rohstoff für neue Sternbildung und prägen gleichzeitig die großräumige Verteilung der Materie im Universum. In ihnen könnte sich zudem das „fehlende Drittel“ an normaler Materie verstecken, das Astrophysiker seit langem suchen.

Fahndung nach primordialen Gasen

Das Problem jedoch: Die kosmischen Gasfilamente sind so dünn und weitverstreut, dass sie kaum eindeutig nachweisbar sind. Das gelingt meist nur, wenn man ihre Lage und Struktur schon kennt und daher weiß, wo man die Gassignaturen suchen soll. Bisher nutzen Astrophysiker dafür meist Simulationen, die aus der Verteilung der Galaxien und der Dunklen Materie auf den Verlauf der kosmischen Gasfilamente schließen.

Einen ungewöhnlichen Weg, um diese Modelle zu verbessern, haben nun Joseph Burchett von der University of California in Santa Cruz und seine Kollegen gefunden – sie nutzten die Hilfe des Schleimpilzes Physarum polycephalum. Diese amöbenähnlichen Einzeller können durch koordiniertes Verhalten ausgedehnte Netzwerke bilden und dabei sogar Labyrinthe überwinden. Die effektive Raum- und Ressourcennutzung der Schleimpilz-Netzwerke brachte die Forscher auf die Idee, sie als Vorbild für ihr neues Modell zu nutzen.

Schleimpilz
Teil eines Netzwerks des Schleimpilzes Physarum polycephalum. © Helen Ginger /CC-by-sa 3.0

Was Schleimpilze und kosmische Strukturen gemeinsam haben

„Das erscheint zunächst weit hergeholt, ist es aber nicht unbedingt“, erklärt Burchett. „Ein Schleimpilz produziert ein optimiertes Transport-Netzwerk, um Nahrungsquellen zu verbinden. Im kosmischen Netz sind die Wachstumsstrukturen ebenfalls in gewissem Sinne optimiert. Die zugrundeliegenden Prozesse sind zwar andere, aber die mathematischen Prinzipien sind analog.“
Die Forscher passten die Formeln und Parameter des Schleimpilz-Netzwerks auf die kosmischen Gegebenheiten an und erzeugten so einen neuen Algorithmus zur Vorhersage der großräumigen Verteilung der Gasfilamente – die „Monte Carlo Physarum Machine“.

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Doch wie realitätsnah ist dieses pilzbasierte Kosmosmodell? Um das zu testen, fütterten Burchett und sein Team ihr Modell mit den Rohdaten einer bereits existierenden kosmologischen Simulation und ließen sie auf dieser Basis das kosmische Gasnetz simulieren. Das Ergebnis: „Wir bekommen eine fast perfekte Übereinstimmung zu den Dichtefeldern der kosmologischen Simulation“, berichtet Burchetts Kollege Oskar Elek.

Treffsicher zum Filament

Als nächstes testeten die Forscher ihr Modell an realen Beobachtungsdaten. Dafür gaben sie ihrer Physarum Machine Positionsdaten von 37.000 Galaxien und ließen sie daraus die wahrscheinliche Filamentverteilung für diesen Himmelsausschnitt ermitteln. „Dank des Schleimpilz-Modells wussten wir nun, wo die Filamente des kosmischen Netzwerks sein müssten“, erklärt Burchett. „Dadurch konnten wir nun archivierte Spektren des Hubble-Weltraumteleskops nach Quasaren durchsuchen, die genau diese Stellen durchstrahlen.“

Das Licht ferner Quasare durchdringt auf seinem Weg zur Erde die Gase der kosmischen Filamente. Ist das Gas demnach dort, wo es das Modell vorhersagt, müssten sich dessen spektrale „Fingerabdrücke“ im Quasarlicht nachweisen lassen. Und tatsächlich: „Immer, wenn wir ein Filament in unserem Modell sahen, zeigten auch die Hubble-Spektren ein Gassignal“, berichtet Burchett. Das Schleimpilz-Modell hatte sich damit als treffsicher erwiesen.

Hilfe für Astronomen

„Es ist wirklich faszinierend, dass eine der simpelsten Lebensformen unseres Planeten uns neue Einblicke in die größten Strukturen unseres Universums geben kann“, sagt Burchett. Ihre Physarum Machine könnte nun Astronomen künftig dabei helfen, gezielter nach den Signaturen der kosmischen Gasfilamente zu suchen. Gleichzeitig könnten die Simulationsdaten auch dazu beitragen, bestehende Spektraldaten in die großräumigen Strukturen einzuordnen und besser zu interpretieren. (Astrophysical Journal Letters, 2020; doi: 10.3847/2041-8213/ab700c)

Quelle: NASA, University of California – Santa Cruz

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