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Astronomie

Rätsel um Oumuamua gelöst

Interstellarer Brocken wurde durch ausgasenden Wasserstoff beschleunigt

1l/'Oumuamua
Astrononen haben eine Erklärung dafür gefunden, warum das interstellare Objekt 1l/'Oumuamua sich schneller bewegte als es eigentlich dürfte. © NASA/ESA, STScI/ Joseph Olmsted, Frank Summers

Mysteriöser Besucher: Seit 2017 rätseln Astronomen, warum sich das interstellare Objekt 1l/’Oumuamua schneller von der Sonne wegbewegte als es dürfte. Jetzt gibt es eine Lösung: Der interstellare Komet entwickelte einen Schweif aus unsichtbarem Wasserstoffgas, der ihm zusätzlichen Schub verlieh. Dieser Wasserstoff entstand durch strahlungsbedingten Zerfall von Wassereis, konnte aber erst entweichen, als die Sonnenwärme Poren in der Eiskruste von Oumuamua aufschmolz, wie das Team in „Nature“ berichtet.

Am 19. Oktober 2017 entdeckten Astronomen erstmals ein interstellares Objekt, das mit hoher Geschwindigkeit durch das Sonnensystem raste: Der zigarrenförmige Brocken 1l/’Oumuamua stammte wahrscheinlich aus dem Außenbereich eines fremden Planetensystems und könnte dort von einem größeren Objekt abgebrochen und ausgeschleudert worden sein.

FLugbahn von Oumuamua
Flugbahn des interstellaren Kometen 1l/’Oumuamua. © ESO/ K. Meech et al.

Unerklärliche Beschleunigung

Rätselhaft war jedoch das Flugverhalten des interstellaren Brockens: Oumuamua sah aus wie ein Asteroidenfragment, verhielt sich aber wie ein Komet: Er entfernte sich schneller von der Sonne als es bei einer rein durch die Gravitation geprägten Flugbahn zu erwarten gewesen wäre. Bei einem Kometen kann eine solche Zusatz-Beschleunigung entstehen, wenn Eis unter dem Einfluss der Sonnenwärme verdampft und die freigesetzten Gase einen Rückstoß erzeugen.

Doch bei 1l/’Oumuamua waren weder Schweif noch Koma zu erkennen. Zudem ergaben Berechnungen, dass der interstellare Brocken nicht nahe genug an die Sonne herankam, um größere Mengen an Eis von seiner Oberfläche sublimieren zu lassen. Die klassische Ausgasung kann ihm daher nicht den zusätzlichen Schub verliehen haben. „Wir haben im Sonnensystem noch nie einen Kometen gesehen, der keine Staub-Koma hatte, daher war die nicht-gravitative Beschleunigung von Oumuamua wirklich merkwürdig“, sagt Darryl Seligman von der Cornell University.

Wasserstoff als Antrieb?

Eine Lösung dieses Rätsels haben Seligmann und seine Kollegin Jennifer Bergner von der University of California in Berkeley nun gefunden. Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen waren Laborversuche aus den 1970er bis 1990er Jahren, die zeigten, dass Wassereis unter dem Einfluss intensiver kosmischer Strahlung zu molekularem Wasserstoff zerfallen kann. „Ein Komet, der durch das interstellare Medium fliegt, wird von dieser kosmischen Strahlung förmlich gekocht und müsste daher ebenfalls Wasserstoff bilden“, erklärt Bergner.

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Um Oumuamuas rätselhaften Zusatzschub zu erklären, dürfte dieser Wasserstoff aber nicht sofort ins All entweichen, sondern müsste zunächst in den Poren des Eises gefangen bleiben. Tatsächlich ergaben Modellberechnungen von Bergner und Seligman, dass dies bei 1l/’Oumuamua durchaus wahrscheinlich wäre: „Das meiste unter interstellaren Bedingungen im Eis erzeugte H2 bleibt in der Wassermatrix gefangen, bis sich das Eis auf Temperaturen von minus 258 bis minus 133 Grad erwärmt“, so die Forschenden. Denn unterhalb dieser Schwelle ist das Wassereis vorwiegend amorph, erst bei Erwärmung kristallisiert es aus.

Unsichtbare Ausgasung

Als Oumuamua durch das Sonnensystem raste, wärmte das Sonnenlicht seine äußere Kruste leicht auf und das Wassereis änderte seine Struktur. Dadurch öffneten sich die Poren im Eis gerade genug, um das leicht flüchtige Wasserstoffgas entweichen zu lassen. „Dieser aus Oumuamua austretende molekulare Wasserstoff wäre durch spektroskopische Beobachtungen im optischen, infraroten und Radiowellenbereich nicht detektierbar“, erklären die Astronomen. Der interstellaren Brocken hätte dadurch scheinbar weder Schweif noch Koma.

Anders als bei den normalen Ausgasungen von Kometen würde das Entweichen des Wasserstoffs auch kaum Staub mitreißen: „Das Eis sublimiert nicht, sondern wird nur umstrukturiert und entlässt so das Wasserstoffgas“, erklärt Seligman. „Selbst wenn es in der Eismatrix Staub gab, würde dieser nicht mit hinausgerissen.“ Wasserstoff entwickelt wegen seines geringen Atomgewichts zudem weniger Sog beim Ausgasen als es schwerere Gase tun würden. Auch deshalb würde er weniger Staub mitreißen.

Genug Schub für Oumuamuas Beschleunigung

Bleibt die Frage, ob das Ausgasen des Wasserstoffs überhaupt genug Schub erzeugen könnte, um Oumuamua auf die beobachtete Weise zu beschleunigen. Wie die Astronomen erklären, wäre dieser Effekt bei einem normalgroßen Kometen tatsächlich zu schwach: Typische Kometen aus dem Kuipergürtel oder der Oortschen Wolke haben Durchmesser von einem bis mehreren hundert Kilometern. Die kosmische Strahlung kann aber nur in der äußersten Schicht eines Objekts Wassereis zu Wasserstoff zerfallen lassen.

„Bei einem Kometen von mehreren Kilometer Größe würde daher nur eine sehr dünne Schicht ausgasen – gemessen an der Masse des Objekts hätte das keine messbaren Effekt“, erklärt Bergner. Anders bei Oumuamua: Der zigarrenförmige Komet war Schätzungen zufolge nur gut 100 Meter lang und breit und knapp 20 Meter dick. „Weil Oumuamua so klein war, könnte die Ausgasung des Wasserstoffs unseren Berechnungen nach genug Schub erzeugt haben, um ihn zu beschleunigen“, so die Forscherin.

Effekt auch bei „dunklen“ Kometen des Sonnensystems

Nach Ansicht der Astronomen löst dies das Rätsel um den interstellaren Brocken und sein merkwürdiges Flugverhalten. Gleichzeitig könnte die Wasserstoffausgasung ähnlich merkwürdige Effekte auch bei kleineren Kometen des Sonnensystems erklären. „Unser Modell sagt voraus, dass auch kleinere langperiodische Kometen eine nicht-gravitative Beschleunigung ähnlich wie Oumuamua zeigen müssten, wenn sie sich der Sonne annähern“, schreiben Bergner und Seligman.

Tatsächlich haben sie seit 2017 bereits sechs kleine Kometen ohne Koma und Schweif, aber mit einem leichtem Zusatzschub ausfindig gemacht. Die Astronomen gehen davon aus, dass es in den äußeren Bereichen des Sonnensystems noch mehr solcher „dunkler“ Kometen gibt. Einer dieser vermeintlich inaktiven Kometen, 1998 KY26, ist das nächste Ziel der japanischen Raumsonde Hayabusa 2, die mehr Informationen über die unsichtbaren Prozesse auf solchen Kometen liefern könnte. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-022-05687-w)

Quelle: University of California Berkeley

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