Anzeige
Astronomie

Rätsel um Kollision der Giganten

Verschmelzung "übergewichtiger" Schwarzer Löcher widerspricht gängigen Modellen

GW190521
Todestanz der Giganten: Die mittels Gravitationswellen detektierte Verschmelzung zweier ungewöhnlich schwerer Schwarzer Löcher stellt Astrophysiker vor ein Rätsel. © LIGO-/ Virgo-Collaboration

Rekord und Rätsel zugleich: Astronomen haben ein ungewöhnliches und bislang einzigartiges Gravitationswellen-Ereignis detektiert. Denn sowohl die Ausgangsobjekte dieser Verschmelzung als auch das resultierende Schwarze Loch sind schwerer als alles zuvor beobachtete – und schwerer als gängige Modelle erlauben. Mit 142 Sonnenmassen könnte das bei der Kollision erzeugte Objekt zudem das erste eindeutig nachgewiesene intermediäre Schwarze Loch sein.

Astronomen haben inzwischen schon Dutzende Verschmelzungen von Schwarzen Löchern über Gravitationswellen aufgespürt, darunter auch Kollisionen sehr ungleicher Partner wie verschieden schweren Schwarzen Löchern oder auch eines Schwarzen Lochs mit einem Neutronenstern. In den meisten Fällen aber lag die Masse der beteiligten Objekte in dem für stellare Schwarze Löcher üblichen. Diese durch Supernovae entstehenden Singularitäten können gängiger Lehrmeinung nach maximal 65 Sonnenmassen in sich vereinen.

GW190521: Bang statt Tschirp

Doch nun haben die Detektoren der LIGO- und Virgo-Observatorien ein Gravitationswellen-Signal eingefangen, das alle Regeln zu sprengen scheint. Das am 21. Mai 2019 detektierte Signal GW190521 war nur rund eine Zehntelsekunde lang und umfasste vier Schwingungszyklen – dies entspricht den letzten beiden Umläufen zweier Schwarzer Löcher vor ihrer Verschmelzung.

Ungewöhnlich waren jedoch die hohe Intensität und die niedrige Frequenz der Schwingungen, die auf die Verschmelzung zweier besonders massereicher Objekte hindeuteten. „Das Signal war weniger ein Tschirpen, wie wir es typischerweise detektieren, als vielmehr ein richtiger ‚Bang‘ – es ist das massereichste Signal das LIGO und Virgo jemals beobachtet haben“, sagt Nelson Christensen von französischen Nationalen Forschungszentrum CNRS.

GW190521
Schon die Ausgangsobjekte sind eigentlich zu schwer für „normale“ stellare Schwarze Löcher – wie könnten sie entstanden sein? © LIGO-/ Virgo-Collaboration

Massereicher als alles Bisherige

Aus den Merkmalen von GW190521 schließen die Forscher, dass diese Gravitationswellen von der Verschmelzung zweier besonders massereicher Schwarzen Löchern stammen müssen. „Das größere war rund 85 Sonnenmassen schwer, das kleinere lag näher bei 66 Sonnenmassen“, berichtet die LIGO-Kollaboration. „Beide Schwarzen Löcher sind damit weit massereicher als alle bisher von Virgo und LIGO detektieren.“ Das Produkt dieser Verschmelzung ist ebenfalls ein Massegigant: Das resultierende Schwarze Loch umfasst rund 142 Sonnenmassen.

Anzeige

Damit ist GW190521 die Verschmelzung mit der höchsten je beobachteten Gesamtmasse. Entsprechend groß war Energie, die bei dieser Kollision freiwurde: Die Gravitationswellen hatten das Energieäquivalent von sieben Sonnenmassen. Das machte sie „laut“ genug, um selbst aus einer enormen Entfernung bei uns anzukommen. Die Verschmelzung der beiden Schwarzen Löcher fand schon vor etwa sieben Milliarden Jahren statt – damals war das Universum halb so alt wie heute.

Erster Beweis für ein intermediäres Schwarzes Loch?

Das Ereignis GW190521 bringt die Physiker in mehrfacher Hinsicht in Erklärungsnöte. Denn die Masse seiner Akteure ist rekordträchtig, bislang einzigartig und widerspricht gängigen Theorien. „Dieses Ereignis wirft mehr Fragen auf als es beantwortet“, sagt LIGO-Mitglied Alan Weinstein vom California Institute of Technology. „Aus der Sicht der Physik ist das eine sehr spannende Sache.“

Das erste Rätsel ist das bei der Verschmelzung entstandene Schwarze Loch: Mit 142 Sonnenmassen liegt es im Zwischenbereich zwischen den stellaren Schwarzen Löchern und den supermassereichen Schwarzen Löchern der Galaxienkerne. Astronomen vermuten schon länger, dass es intermediäre Schwarze Löcher geben muss, die diese Lücke von 100 bis 100.000 Sonnenmassen füllen. Doch bislang gibt es zwar einige Kandidaten für diese Klasse – ein eindeutiger Beweis fehlte aber noch.

„Jetzt haben wir den Beleg dafür, dass diese intermediären Schwarzen Löcher existieren“, sagt Christopher Berry von der Northwestern University in Evanston.

Schwerer als die Theorie erlaubt

Das zweite Rätsel gibt einer der beiden Vorläufer dieses intermediären Schwarzen Lochs auf: Mit 85 Sonnenmassen liegt er in einem Massenbereich, in dem es eigentlich keine stellaren Schwarzen Löcher geben kann. Denn Supernovae erzeugen gängigen Modellen zufolge Schwarze Löcher von maximal 65 Sonnenmassen. Ist ein Ausgangsstern dagegen schwerer als 200 Sonnenmassen, explodiert er nicht, sondern kollabiert direkt zum Schwarzen Loch – dieses hat mindestens 120 Sonnenmassen.

Das bedeutet: Im Bereich von 65 bis 120 Sonnenmassen gibt es eine Lücke, in der es keine Schwarzen Löcher geben dürfte – Astrophysiker bezeichnen diese als Paarinstabilitätslücke. Doch genau in dieser Lücke liegt nun das schwerere der beiden Vorläuferobjekte von GW190521. „Die Tatsache, dass wir hier ein Schwarzes Loch mitten in dieser Massenlücke sehen, wird eine Menge Astrophysiker vor die Frage stellen, wie ein solches Schwarzes Loch entstanden sein kann“, sagt Christensen.

Hinweis auf hierarchische Verschmelzung?

Und die Antwort? „GW190521 spricht dafür, dass Sterne entweder doch so schwere Schwarze Löcher erzeugen können oder dass einige der von LIGO und Virgo beobachteten Schwarzen Löcher auf andere Weise entstanden sind – vielleicht als Produkt einer vorhergehenden Verschmelzung“, erklärt die LIGO-Collaboration. Dann wäre GW190521 ein Beispiel für die bisher nur theoretisch postulierten hierarchischen Verschmelzungen – Kollisionen von Schwarzen Löchern, die ihrerseits ebenfalls aus Verschmelzungen hervorgegangen sind.

Solche Serien von zunehmend massereicheren Verschmelzungen könnten dort auftreten, wo viele Sterne nahe beieinander das Ende ihres Lebenszyklus erreichen und über Supernovae zu Schwarzen Löchern werden – beispielsweise in Sternhaufen oder im dichten Zentrum von Galaxien. Dort könnte die Schwerkraft des supermassereichen Schwarzen Lochs diese Objekte quasi gefangenhalten und so die Serien-Verschmelzungen provozieren.

Numerische Simulation der Verschmelzung zweier schwerer Schwarzer Löcher wie bei GW190521.© Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik

Noch ist nicht klar, wie das Gravitationswellen-Ereignis GW19052 zustande kam und wie seine Akteure entstanden sind. Auch die Frage, ob Schwarze Löcher dieser Masse kosmische Ausreißer sind oder nur das schwere Ende des bisher bekannten Massenspektrums darstellen, ist bislang ungeklärt. „Bald, wenn wir alle Verschmelzungen Schwarzer Löcher analysiert haben, die LIGO und Virgo in ihrem dritten Beobachtungslauf beobachtet haben, wissen wir hoffentlich mehr“, sagt Karsten Danzmann vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. (Physical Review Letters, Astrophysical Journal Letters )

Quelle: LIGO Collaboration und Virgo Collaboration, Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Gezüchtete Diamanten

Erste Diamanten unter Normaldruck erzeugt

Neuer Stammbaum für die Blütenpflanzen

Könnte dieses Riesenvirus zum Heilmittel werden?

Wie lebten die Awaren?

Diaschauen zum Thema

keine Diaschauen verknüpft

Dossiers zum Thema

keine Dossiers verknüpft

Bücher zum Thema

keine Buchtipps verknüpft

Top-Clicks der Woche