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Astronomie

Neue Strukturen im Milchstraßenzentrum

Hunderte kurze, junge Radio-Filamente zeigen auf das zentrale Schwarze Loch unserer Galaxie

Radiofilamente
Was hier aussieht wie ein Feuerwerk sind hunderte Radio-Filamente im Herzen unserer Milchstraße. Während die langen senkrechten Fäden schon länger bekannt sind, wurden die kurzen, hellen Fadenstrukturen gerade erst entdeckt. © Farhad Yusef-Zadeh/ Northwestern University

Überraschender Fund: Im Zentrum der Milchstraße haben Astronomen eine ganze Population von neuartigen Radio-Filamenten entdeckt. Diese fädigen Strukturen sind fünf bis zehn Lichtjahre lang und verteilen sich zu Hunderten um die Galaxienebene. Ihre Ausrichtung lässt sich zum zentralen Schwarzen Loch unserer Galaxie zurückverfolgen. Die erst rund sechs Millionen Jahre alten Filamente könnten demnach von einem intensiven Ausstrom aus den supermassereichen Schwarzen Loch verursacht worden sein, wie das Team berichtet.

Obwohl die Milchstraße unsere Heimatgalaxie ist, finden Astronomen immer wieder überraschende neue Strukturen und Phänomene in ihr – dies gilt vor allem für das galaktische Zentrum. Denn dort, im Umfeld des supermassereichen Schwarzen Lochs Sagittarius A*, zeigt unsere Galaxie riesige Blasen, Ringe und Schornsteine, die erst im Gamma-, Röntgen- und Radiobereich zutage treten. Auch dünne, senkrecht auf der Milchstraßeneben stehende Radiofilamente wurden dort schon vor gut 40 Jahren entdeckt.

Galaktische Radiofilamente
Die neuentdeckten kurzen Radio-Filamente (weißlich) unterscheiden sich in Länge, Ausrichtung und Strahlungsspektrum deutlich von den vertikalen Filamenten (farbig). © Farhad Yusef-Zadeh/ Northwestern University

„Wie Punkte und Striche eines Morsecodes“

Jetzt haben Astronomen eine weitere zuvor unbekannte Struktur im Milchstraßenherz entdeckt – durch Zufall. Denn eigentlich wollten Farhad Yusef-Zadeh von der Northwestern University in Illinois und sein Team nur die senkrechten Radiofilamente noch einmal genauer charakterisieren. Dafür beobachteten sie den inneren Bereich unserer Galaxie mithilfe des MeerKAT-Radioobservatoriums in Südafrika. Die Aufnahmen deckten den Frequenzbereich von 856 Megahertz bis 1,7 Gigahertz ab und waren auf 1,28 Gigahertz fokussiert.

Zur Überraschung der Astronomen zeigten die MeerKAT-Aufnahmen nicht nur die schon bekannten, rund 150 Lichtjahre langen, senkrechten Radiofilamente, sondern zusätzlich eine ganze Population aus hunderten zuvor unerkannten fädigen Strukturen. Diese liegen weitgehend parallel zur galaktischen Ebene und sind deutlich kürzer als die schon bekannten Filamente: Mit einer Länge von fünf bis zehn Lichtjahren ähneln diese Radiofäden eher den Punkten und Strichen eines Morsecodes, wie die Forschenden erklären.

Kurz, heiß und in der galaktischen Ebene

„Ich war völlig verblüfft, als ich diese Strukturen sah“, sagt Yusef-Zadeh. „Wir haben immer über die vertikalen Filamente und ihren Ursprung nachgedacht, aber ich bin nie auf die Idee gekommen, dass es noch andere entlang der galaktischen Ebene geben könnte.“ Um sicherzugehen, dass sie sich nicht täuschten, unterzogen die Astronomen ihre Beobachtungen zahlreichen Tests. Doch die neuentdeckten Filamente hielten allen Überprüfungen stand.

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Nähere Analysen ergaben, dass sich die kurzen Radiofilamente sich in einigen Merkmalen von ihren vertikalen Gegenstücken unterscheiden: Während die langen, senkrechten Fäden nichtthermische Radiostrahlung abgeben und von magnetisierten, stark beschleunigten Teilchen auszugehen scheinen, senden die neuentdeckten kurzen Fäden thermische Strahlung aus. Sie deutet darauf hin, dass diese Filamente eher aufgeheizte „Hindernisse“ in einem unsichtbaren Ausstrom darstellen.

Fluchtpunkt im Schwarzen Loch

Doch woher kommen diese kurzen Filamente? Und was ist ihre Ursache? Einen ersten Hinweis darauf entdeckten die Astronomen, als sie die Ausrichtung der neuentdeckten Strukturen genauer analysierten: Die meisten dieser Fäden zeigen wie die Speichen eines Rades auf einen gemeinsamen Ursprung. Auch darin unterscheiden sie sich deutlich von den vertikalen Filamenten, die weitgehend parallel zueinander und über den gesamten inneren Bereich des Milchstraßenzentrum verteilt stehen.

Das Entscheidende jedoch: Der gemeinsame Fluchtpunkt der kurzen Fäden ist das zentrale Schwarze Loch der Milchstraße, Sagittarius A*. „Es war eine große Überraschung, plötzlich eine neue Population von Strukturen zu entdeckten, die in Richtung des Schwarzen Lochs zeigen“, sagt Yusef-Zadeh. Auffällig ist zudem, dass sich die kurzen Filamente vor allem auf einer Seite von Sagittarius A* konzentrieren und dort eine Art Kegel bilden. Das Team schätzt ihr Alter zudem auf nicht mehr als sechs Millionen Jahre.

Ausstrom aus Sagittarius A*
Die Anordnung der kurzen Radio-Filamente deutet auf einen asymmetrischen Ausstrom aus dem zentralen Schwarzen Loch der Milchstraße hin. © Farhad Yusef-Zadeh/ Northwestern University

Indiz für Ausstrom vor sechs Millionen Jahren

Aus diesen Beobachtungen schließen die Astronomen, dass die neuentdeckten Filamente durch einen noch nicht lange zurückliegenden Ausstrom aus dem zentralen Schwarzen Loch der Milchstraße entstanden sein müssen – einer Art Jet aus Strahlung und schnellen Teilchen. „Dieser Ausstrom wurde von einer Aktivität des Schwarzen Lochs verursacht, die erst einige Millionen Jahre zurückliegt“, erklärt Yusef-Zadeh. Sie erzeugte einen Jet, der parallel zur Milchstraßenebene verlief.

Nach den Berechnungen der Wissenschaftler muss dieser Jet eine Materialmenge von rund einem Zehntausendstel Sonnenmassen pro Jahr umfasst haben. „Die Filamente entstanden dann als Resultat einer Wechselwirkung des ausströmenden Materials mit den in seinem Weg liegenden Objekten“, so Yusef-Zadeh weiter. Demnach könnten die kurzen, heißen Radio-Fäden entstanden sein, als das Jetmaterial auf dichtere Zonen molekularer Wolken traf und diese stromlinienförmig komprimierte und aufheizte.

Nach Ansicht der Astronomen bietet die Entdeckung der kurzen Filamente im Milchstraßenzentrum nicht nur einen weiteren Einblick in das komplexe und hochdynamische Herz unserer Galaxie. Sie eröffnet auch die Chance, mehr über Sagittarius A* und seine Aktivität herauszufinden. „Indem wir die Filamente genauer erforschen, könnten wir mehr über die Rotation unseres Schwarzen Lochs und die Ausrichtung seiner Akkretionsscheibe herausfinden“, sagt Yusef-Zadeh. (The Astrophysical Journal Letters, 2023; doi: 10.3847/2041-8213/acd54b)

Quelle: Northwestern University

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