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Astronomie

Mehr Wasserstoff rund ums Sonnensystem

Lokales interstellares Medium enthält 40 Prozent mehr neutralen Wasserstoff als angenommen

Heliosphäre
Das lokale interstellare Medium umgibt die Magnetblase unseres Sonnensystems. Jetzt haben Forscher ermittelt, wie dicht dieses Medium ist. © NASA/GSFC, Conceptual Image Lab/Walt Feimer

Unsichtbarer Teilchennebel: Unser Sonnensystem ist von einem diffusen Nebel aus Wasserstoff umgeben – doch seine Dichte war strittig. Jetzt liefern Daten der NASA-Raumsonde New Horizons die Antwort. Das lokale interstellare Medium enthält demnach 40 Prozent mehr neutralen Wasserstoff als gedacht. Das könnte einige Diskrepanzen zwischen Beobachtungen und theoretischen Modellen erklären.

Obwohl unser Sonnensystem mit zehntausenden Kilometern pro Stunde durch das interstellare Medium der Milchstraße pflügt, bekommen wir davon kaum etwas mit. Denn das Magnetfeld der Sonne umgibt uns wie eine schützende Blase, die alle energiereichen geladenen Teilchen fernhält. Nur die beiden Voyager-Raumsonden haben bislang den Außenrand dieser Heliosphäre erreicht. Ihre Daten liefern erste Informationen darüber, wie das interstellare Medium in unserer Nachbarschaft beschaffen ist.

Vom neutralen Wasserstoff zu „Pickup-Ionen“

Doch es gibt noch eine weitere Möglichkeit, Aufschluss über die Zusammensetzung unserer interstellaren Nachbarschaft zu bekommen. Denn das solare Magnetfeld lenkt zwar die geladenen Teilchen ab, lässt aber neutrale Wasserstoffatome durch – und diese machen mehr als die Hälfte des interstellaren Mediums aus. Aus der Menge der in die Heliosphäre hineinfliegenden Wasserstoffatome können Astrophysiker daher auf unsere komische „Außenwelt“ schließen.

Allerdings gibt es einen Haken: Die von außen einströmenden Wasserstoffatome bleiben nicht lange elektrisch neutral, sondern werden relativ schnell vom Sonnenwind und dem Licht der Sonne ionisiert. Dennoch bleiben sie nachweisbar: „Sie haben ein Elektron verloren, aber wir wissen, dass sie als neutrale Atome zu uns gekommen sind“, erklärt Pawel Swaczyna von der Princeton University. „Diese ‚Pickup-Ionen‘ können wir gezielt beobachten.“

Erste Messung am Außenrand des Sonnensystems

Das Problem jedoch: Die Voyager-Sonden haben nicht die richtigen Messgeräte an Bord. Deshalb wurden diese Pickup-Ionen bisher nur auf Höhe der Jupiterbahn von der Ulysses-Raumsonde gemessen. So fern von der Außengrenze der Heliosphäre ist jedoch nur noch ein kleiner Teil dieser Wasserstoffteilchen nachweisbar. „Die Pickup-Ionen der inneren Heliosphäre sind schon durch Milliarden Kilometer der Filterung gegangen“, erklärt Koautor Eric Christian vom Goddard Space Flight Center der NASA.

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Doch jetzt liefert die NASA-Raumsonde New Horizons erstmals Messdaten aus dem Außenbereich unseres Sonnensystems – dem Kuipergürtel. Dort, jenseits des Pluto, nutzte die Sonde ihr eigentlich für den Sonnenwind gedachtes SWAP-Instrument, um auch die Dichte der energiereicheren Pickup-Ionen in diesem Gebiet zu messen. Aus diesen Messdaten ermittelten Swaczyna und sein Team nun, wie viel neutraler Wasserstroff im interstellaren Medium „vor unserer Haustür“ vorhanden sein muss.

40 Prozent dichter als gedacht

Das Ergebnis: Die Dichte des neutralen Wasserstoffs an der Außengrenze der Heliosphäre liegt bei 0,127 Atomen pro Kubikzentimeter. „Das ist rund 40 Prozent mehr als bisher angenommen“, berichten die Forscher. Ihre Dichtewerte entsprechen rund 120 Atomen in einem knappen Liter. Auf Basis der Ulysses-Messungen gingen Wissenschaftler jedoch bislang von einer Dichte aus, die nur rund 85 Wasserstoffatomen pro Liter entspricht.

Gestützt werden die neuen Ergebnisse jedoch von Daten der Raumsonde Voyager 2 aus dem Jahr 2001. Damals hatten Forscher versucht, die Menge der in die Heliosphäre eindringenden interstellaren Teilchen über eine andere Methode zu ermitteln. Sie überprüften, wie stark der „Gegenwind“ dieses Wasserstoffeinstroms den Sonnenwind abbremst – und kamen zu ganz ähnlichen Dichtewerten wie jetzt New Horizons mit seiner direkten Messung.

„Diese Bestätigung unseres alten, fast vergessenen Resultats war eine echte Überraschung“, sagt Arik Posner von der NASA.

Rätsel um „IBEX-Ribbon“ gelöst

Die korrigierte Dichte des interstellaren Mediums gibt nicht nur ein besseres Bild davon, wie unsere kosmische Nachbarschaft beschaffen ist, sie beseitigt auch Diskrepanzen zwischen theoretischen Modellen und Beobachtungen. „Die um 40 Prozent höhere Dichte ist absolut entscheidend“, erklärt David McComas von der Princeton University. „Denn sie zeigt nicht nur, dass unsere Sonne in einen dichteren Teil des interstellaren Raums eingebettet ist, sie erklärt auch signifikante Fehler in unseren Simulationen.“

IBEX-Ribbon
Dieser von der IBEX-Sonde entdeckte Streifen energiereicher neutraler Atome gab Rätsel auf – bis jetzt. © NASA/IBEX

Ein Beispiel dafür ist die IBEX-Mission. Dieser NASA-Satellit hatte im Jahr 2009 erstmals die energiereichen Teilchen in der Grenzregion unseres Sonnensystems kartiert – und dabei Überraschendes entdeckt: einen auffallenden Streifen mit besonders hoher Dichte. „Diese Struktur ist Milliarden Kilometer breit und zehn Milliarden Kilometer lang – und keiner wusste, dass sie existierte“, erklärt Christian.

Keines der Modelle konnte damals dieses Phänomen erklären – weil sie auf den alten Dichtewerten basierten. Doch jetzt können die Astrophysiker Modelle und astronomische Beobachtungen erstmals wieder in Einklang bringen. (The Astrophysical Journal, 2020; doi: 10.3847/1538-4357/abb80a)

Quelle: NASA

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