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Astronomie

Gibt es doch Sterne aus Antimaterie?

Jeweils einer unter 400.000 Sternen der Milchstraße könnte ein Antistern sein

Antisterne
Diese 14 Gammastrahlenquellen in der Milchstraße könnte Antimaterie-Sterne sein. © S. Dupourqué/ IRAP

Stellare Spiegelwelt: Unter den Milliarden Sternen der Milchstraße könnten sich zahlreiche unerkannte Antisterne verbergen – Sterne aus Antimaterie. Ein mögliches Indiz dafür sehen Astronomen in 14 Gammastrahlenquellen unserer kosmischen Umgebung, deren Spektrum dem einer Materie-Antimaterie-Annihilation entspricht. Sollte sich das bestätigen, dann könnten in der Galaxie rund 2,5 Antisterne auf eine Million normaler Sterne kommen.

Die Dominanz der Materie über die Antimaterie gilt als eines der größten ungelösten Rätsel unseres Kosmos. Denn eigentlich müssten beim Urknall gleiche Anteile beider Materieformen entstanden sein. Heute jedoch ist Antimaterie rar. Antiteilchen werden zwar bei physikalischen Prozessen wie dem radioaktiven Zerfall oder bei Blitzen gebildet, löschen sich aber durch Kontakt mit normalen Teilchen fast sofort wieder aus. Dabei entsteht Gammastrahlung mit einem charakteristischen Spektrum.

Woher kommen die Antihelium-Kerne?

Dennoch gehen einige Physiker davon aus, dass es im Kosmos größere und länger haltbare Ansammlungen aus Antimaterie geben könnte – beispielsweise in Form von Antisternen. Ihre Existenz könnte unter anderem erklären, woher die Antihelium-Kerne stammen, die im Jahr 2018 vom AMS-Detektor an der Internationalen Raumstation ISS eingefangen wurden. Diesen Daten zufolge besteht einer von 100 Millionen Heliumkernen in unserer galaktischen Umgebung aus Antimaterie.

Doch woher stammen diese Anti-Heliumkerne? Ihre Existenz ist bislang nur schwer durch gängige Zerfallsprozesse erklärbar. „Sie könnten daher die Hypothese stützen, dass es in unserer Nähe Wolken oder Sterne aus Antimaterie gibt“, erklären Simon Dupourqué und seine Kollegen von der Universität Toulouse. Sollte das der Fall sein, müssten sich diese Antisterne aber durch ihre Gammastrahlung verraten. Denn wenn ihre Oberfläche von den normalen Teilchen des interstellaren Medium getroffen wird, kommt es zu einer Materie-Antimaterie-Auslöschung, bei der Gammastrahlung frei wird.

14 Kandidaten für Antisterne im lokalen Kosmos

Nach Quellen solcher Gammastrahlung haben Dupourqué und sein Team nun gezielt gesucht. Dafür werteten sie den vierten Katalog des NASA-Gammastrahlenteleskops Fermi aus, der 5.787 Quellen umfasst. Unter diesen suchte die Astronomen nach Quellen, die punktförmig sind und deren Position zu keinem der bisher bekannten Urheber für Gammastrahlen passen – beispielsweise Pulsare oder aktive Galaxienkerne. Unter diesen fahndete das Team dann nach Signalen, die das für die Proton-Antiproton-Annihilation typische Spektrum aufweisen.

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Tatsächlich identifizierten die Forscher 14 punktförmige Gammastrahlenquellen, die typische Merkmale der Antimaterie-Auslöschung zeigen und zu keinem bekannten Objekt passen. „Diese Kandidaten sind ohne nachvollziehbares Muster über den Himmel verteilt und strahlen nur sehr schwach“, berichten die Astronomen. Sie stufen sie daher als mögliche Kandidaten für Antisterne ein. Um allerdings herauszufinden, ob es sich wirklich um Antimaterie-Sterne handelt, wären weitere, multispektrale Beobachtungen nötig, wie Dupourqué und sein Team betonen.

2,5 Antisterne pro einer Million normaler Sterne

Dennoch nehmen die Astronomen diese 14 Kandidaten zum Anlass, die mögliche Anzahl von Antimaterie-Sternen in unserer galaktischen Umgebung zu ermitteln. Dafür konstruierten sie ein Computermodell, in dem sie eine Population von Antisternen mit 0,3 bis zehn Sternenmassen im Umkreis von mehreren hundert Millionen Lichtjahren um unsere Sonne erzeugten. Dann ermittelten sie auf Basis der Annihilationsrate, wie viele von ihnen wo verteilt sein müssten, um die 14 von Fermi detektierten Gammastrahlen-Quellen nachzubilden.

Das Ergebnis: „Für Antisterne mit Eigenschaften ähnlich der normaler, junger Sterne liegt der Anteil in der lokalen Umgebung bei 2,5 Millionsteln“, berichten Dupourqué und sein Team. Das heißt: Auf rund eine Million normale Sterne kommen 2,5 Antimaterie-Sterne oder anders ausgedrückt: Jeder 400.000. Stern könnte ein Antistern sein.

Eher im Halo als in unserer Nähe

Allerdings: Die Wahrscheinlichkeit, dass einer dieser Antimaterie-Sterne in unmittelbarer Nähe unseres Sonnensystems liegt, ist extrem gering. „Unsere Ergebnisse stützen eher frühere Überlegungen, nach denen es rund um das Sonnensystem eine Antistern-freie Zone gibt“, so die Astronomen. Die uns nächsten Antimaterie-Sterne könnten demnach einige Dutzend bis tausend Lichtjahre von uns entfernt liegen – und von ihnen könnten dann auch die Antihelium-Kerne stammen.

Für noch wahrscheinlicher aber halten es die Astronomen, dass sich die wenigen Antisterne der Milchstraße in deren dünner besiedeltem Halo verbergen. Noch allerdings ist ihre Existenz nicht bewiesen – die exotischen Gebilde aus Antimaterie bleiben vorerst weiter eine Hypothese. (Physical Review Letters, 2021; doi: 10.1103/PhysRevD.103.083016)

Quelle: American Physical Society APS

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