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Astronomie

Erster Echtzeit-Blick ins Sonneninnere

Forscher weisen erstmals solare Neutrinos nach

Links das Innere des Borexino-Detektors, rechts ein Bild der Sonne © Borexino Collaboration

Blick in die „Seele“ der Sonne: Zum ersten Mal haben Forscher solare Neutrinos nachgewiesen – Teilchen, die bei der Fusion von Wasserstoff im Sonneninneren entstehen. Die in „Nature“ vorgestellten Daten belegen, dass unsere Vorstellungen über die solaren Fusionsvorgänge stimmen und bieten erstmals einen Echtzeit-Einblick darin, wie hoch die momentane Fusionsrate der Sonne wirklich ist – denn das Sonnenlicht ist bereits 100.000 Jahre alt, wenn es die Sonnenoberfläche verlässt.

Woher nimmt die Sonne ihre Energie? Diese Frage ist heute fast trivial, lernt man doch schon in der Schule, dass die Kernfusion unserem Stern ihre Leuchtkraft verleiht. Doch den endgültigen Beweis, dass im Inneren der Sonne tatsächlich Wasserstoffkerne miteinander verschmelzen, blieben Astronomen bisher schuldig. Belegen ließe sich dies durch Neutrinos, denn diese Elementarteilchen entstehen bei der Fusion zweier Protonen. Modelle besagen, dass die Sonne durch die Kernfusion in ihrem Inneren pro Sekunde rund 60 Milliarden Neutrinos pro Quadratzentimeter produzieren müsste.

Wenig Wechselwirkung, wenig Energie

Trotz ihrer großen Zahl sind diese solaren Neutrinos besonders schwer „einzufangen“. Zum einen durchdringen sie Materie nahezu ungehindert – und damit auch die meisten Messinstrumente. Nachweisen lassen sie sich nur, wenn ein Neutrino zufällig mit einem Atomkern kollidiert, denn dabei wird Energie in Form eines winzigen Lichtblitzes frei. Die meisten Neutrinodetektoren bestehen daher aus großen Tanks mit Flüssigkeit, die von Photodetektoren gesäumt sind.

Doch es gibt noch einen Grund, warum man bisher solare Neutrinos nicht direkt nachgewiesen hat: „Sie besitzen eine niedrige Energie, die genau in dem Bereich natürlicher Radioaktivität fällt“, erklärt Andrea Pocar von der University of Massachusetts in Amherst, einer der an dem Projekt beteiligten Physiker. Daher wird das Signal der Sonnenneutrinos normalerweise überdeckt.

Bei der Fusion zweier Protonen in der Sonne wird ein Neutrino frei. © HG: NASA/SDO

Zu wandelbar für die meisten Detektoren

Hinzu kommt, dass die Neutrinos in drei Sorten vorkommen, die sich auf ihrem Flug durch das All jeweils ineinander umwandeln können. In der Sonne entstehen zwar nur sogenannte Elektron-Neutrinos, doch bis sie die Erde erreichen, haben sich viele von ihnen in Myon- oder Tau-Neutrinos umgewandelt. Die meisten Detektoren können jedoch nur einen Typ von Neutrinos nachweisen. Einzige Ausnahme: der Borexino-Detektor unter dem Gran Sasso-Massiv tief unter dem italienischen Apennin.

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Mit ihm ist es den Forschern der Borexino-Kollaboration nun auch gelungen, erstmals die solaren Neutrinos direkt nachzuweisen. Zu Hilfe kam ihnen dabei zum einen die hohe Sensibilität des Borexino-Detektors. Er besteht aus einem kugelförmigen Tank mit 300 Tonnen einer speziellen Detektorflüssigkeit, die durch tausend Tonnen hochreines Wasser und mehrere weitere Hüllschichten gegenüber Störsignalen abgeschirmt ist.

Lichtblitze im Detektortank

Mehr als 2.000 Photosensoren registrieren die winzigen Lichtblitze, die bei Neutrino-Kollisionen in der Detektorflüssigkeit auftreten. Dennoch treten auch in diesem Detektor maskierende Signale auf, unter anderem durch den Zerfall radioaktiven C-14-Kohlenstoffs in der Detektorflüssigkeit. Durch eine spezielle Auswertesoftware ist es den Forschern jedoch gelungen, diese Störsignale herauszurechnen – und so die solaren Neutrinos erstmals direkt einzufangen.

Im Borexino-Detektor: Ein kugelförmiger innerer Tank mit einer Spezialflüssigkeit ist von einem zweiten Tank mit ultrareinem Wasser und Photodetektoren umgeben. © Borexino Collaboration

Wie die Forscher berichten, entspricht die von ihnen gemessene Neutrinodichte rund 66 Milliarden Teilchen pro Quadratzentimeter und Sekunde. Dies stimme sehr gut mit den Werten der theoretischen Modelle überein. „Mit diesen Neutrinodaten blicken wir direkt in den Ursprung des Prozesses, der den größten Anteil der Sonnenenergie erzeugt“, so Pocar.

Sonne ist heute so aktiv wie vor 100.000 Jahren

Und fast noch wichtiger: Zum ersten Mal lässt sich damit auch die aktuelle Fusionsaktivität der Sonne ermitteln. Denn die bei der Fusion im Sonneninneren abgegebene Strahlung benötigt nahezu hunderttausend Jahre, bis sie die turbulenten Schichten der Sonne passiert und ins All hinaus scheint. Das auf die Erde treffende Sonnenlicht zeigt daher nur, wie hoch die Energieproduktion der Sonne in der Vergangenheit war. Die Neutrinos aber passieren das Sonneninnere ungehindert und innerhalb von Sekunden.

Sie liefern daher erstmals ein aktuelles Bild der Vorgänge, die heute im Inneren unseres Sterns ablaufen. „So wie die Augen ein Spiegel der Seele sind, eröffnen uns diese Neutrinos einen Blick in das Innenleben der Sonne – in ihre Seele“, sagt Pocar. (Nature, 2014; doi: 10.1038/nature13702)

(Nature, 28.08.2014 – NPO)

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