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Astronomie

Dunkle Materie: Haben wir was übersehen?

Nichtminimale Kopplung mit der Gravitation könnte Diskrepanzen erklären

Dunkle Materie
Das gängige Modell der Dunklen Materie kann die Masseverteilung und Bewegung von Galaxien und Galaxienhaufen nicht vollständig erklären. © NASA/ESA, M.J. Jee und H. Ford/ Johns Hopkins University

Unerkannte Wechselwirkung: Die Dunkle Materie interagiert möglicherweise anders mit der Raumzeit als bislang gedacht. Demnach könnte die Dunkle Materie über eine sogenannte nichtminimale Kopplung mit der Gravitation verknüpft sein, wie Physiker postulieren. Diese zusätzliche Wechselwirkung würde erklären, warum das beobachtete Galaxienverhalten nicht richtig zum gängigen Modell der kalten Dunklen Materie passt.

Die Dunkle Materie hat im Universum einen größeren Anteil als die sichtbare Materie, trotzdem ist sie noch immer eines der größten Rätsel der Kosmologie. Denn weder ihr Verhalten noch ihre Teilchen sind bisher eindeutig definiert. Klar scheint nur, dass die Schwerkraftwirkung der Dunklen Materie das Verhalten von Galaxien maßgeblich bestimmt.

Diskrepanzen bei Galaxien

Das Merkwürdige nur: Gerade bei der Materieverteilung und Bewegung von Galaxien zeigen Beobachtungen erhebliche Abweichungen zum gängigen Modell der kalten Dunklen Materie (ΛCDM). „Zwar ist das Paradigma der kalten Dunklen Materie im kosmologischen Maßstab relativ erfolgreich, aber es hat Mühe, die beobachteten Eigenschaften auf galaktischer Ebene zu beschreiben“, sagen Giovanni Gandolfi vom Institut für kosmische Grundlagenphysik in Triest und seine Kollegen.

Auf der Suche nach einer Erklärung für diese Diskrepanzen haben sich die Forscher die möglichen Wechselwirkungen der Dunklen Materie mit der Raumzeit noch einmal näher angeschaut. „Wir haben uns gefragt: Liegen wir bei der Gravitation falsch oder haben wir vielleicht etwas Entscheidendes beim Verhalten der Dunklen Materie übersehen“, so Gandolfi. „Was wäre, wenn Dunkle Materie und normale, baryonische Materie nicht auf die Weise kommunizieren, wie wir es uns vorgestellt haben?“

Neue Form der Kopplung?

Für ihre Studie haben die Astrophysiker einen zusätzlichen Parameter in die Wechselwirkung von Dunkler Materie und Gravitation eingefügt: die sogenannte nichtminimale Kopplung. Diese besagt, dass die Dunkle Materie nicht nur direkt über Gravitonen mit der Gravitation interagiert, sondern noch über weitere Vektoren. Dies könnte beispielsweise dann zum Tragen kommen, wenn die Dunkle Materie auskondensiert und sich ihre Teilchen wie in einem Bose-Einstein-Kondensat kollektiv bewegen.

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„Dies würde die Art verändern, wie Gravitation und Materie miteinander kommunizieren“, erklärt Gandolfi. „Wenn eine nichtminimale Kopplung vorhanden ist, dann nimmt normale Materie die Raumzeit auf andere Weise wahr als Dunkle Materie.“ Wie die Forscher betonen, lässt sich die nichtminimale Kopplung aus Einsteins Feldgleichungen ableiten, ohne dass dafür die klassischen Gravitationsmodelle verändert oder neue Parameter eingeführt werden müssen.

Ob eine solche nichtminimale Kopplung die beobachteten Diskrepanzen bei der Materieverteilung in Galaxien und der Bewegung von Zwerggalaxien beseitigen kann, haben Gandolfi und sein Team nun in Modellsimulationen überprüft. Dabei verglichen sie ihr neues Modell mit zwei gängigen Galaxienmodellen der kalten Dunklen Materie.

Gute Übereinstimmung mit Beobachtungen

Das Ergebnis: Bezogen die Forscher eine nichtminimale Kopplung in die Galaxienmodelle mit ein, dann passten ihre Simulationen deutlich besser zu den Beobachtungsdaten als nach dem gängigen Modell der kalten Dunklen Materie. Die an der Rotationsgeschwindigkeit ablesbaren Abweichungen bei der Materieverteilung innerhalb der Galaxien verringerten sich und auch die Bewegung von Spiral- und Zwerggalaxien ließ sich so wirklichkeitsgetreuer nachbilden.

„Es ist bemerkenswert, dass die nichtminimale Kopplung das einzige Modell ist, das gleichzeitig das radiäre Beschleunigungsverhältnis und die Rotationskurven von Spiralgalaxien, Zwerggalaxien und lichtschwachen Galaxien reproduzieren kann“, konstatieren Gandolfi und seine Kollegen.

Antwort auch auf andere kosmologische Fragen?

Nach Ansicht der Physiker stützen diese Resultate die Annahme, dass die von ihnen und anderen Forscher postulierte nichtminimale Kopplung der Dunklen Materie existieren könnte. „Wenn man eine solche Kopplung einführt, kann man die gute Bilanz der kalten Dunklen Materie auf kosmologischen Skalen erhalten, aber gleichzeitig die Übereinstimmung in galaktischen Systemen verbessern“, argumentieren sie.

Auch andere Aspekte der Kosmologie könnte das neue Modell erklären helfen: „Weitere Studien könnten nun die interessanten Implikationen dieser potenziellen Eigenschaft der Dunklen Materie weiter erforschen“, so Gandolfi. „Wir wären aber nicht überrascht, wenn diese nichtminimale Kopplung auch andere offene Fragen der Kosmologie beantworten würde.“ (The Astrophysical Journal, 2022; doi: 10.3847/1538-4357/ac5970)

Quelle: SISSA

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