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Sonnensystem

Astronomen entdecken „verstoßenen“ Asteroid

Kohlenstoffreicher Steinbrocken wurde aus Jupiternähe bis in den Kuipergürtel geschleudert

So könnte der 300-Kilometer Asteroid aussehen, der einst aus Jupiternähe bis in den fernen Kuipergürtel geschleudert wurde. © ESO/ M. Kornmesser

Dunkler Sonderling unter Eisbrocken: Astronomen haben jenseits des Neptun einen Asteroiden entdeckt, der dort eigentlich nicht hingehört. Denn der 300-Kilometer-Brocken ist nicht eisig, sondern hat eine dunkle, kohlenstoffreiche und steinige Oberfläche, wie Spektralanalysen enthüllen. Es muss sich demnach um einen Asteroiden handeln, der einst im inneren Sonnensystem entstand und dann weit nach außen geschleudert wurde, wie die Forscher berichten. Dies ist der erste Nachweis eines solchen „ausgestoßenen“ Asteroiden im Kuipergürtel.

In seinen Anfängen war unser Sonnensystem ein ziemlich turbulenter Ort: Überall flogen größere und kleinere Gesteinsbrocken umher, die Planeten wuchsen noch und veränderten teilweise sogar ihre Bahnen – darunter auch der Gasriese Jupiter und der Neptun.

Asteroiden-Billard im Sonnensystem

Nach gängiger Theorie führten diese Turbulenzen dazu, dass sich die meisten Asteroiden des inneren Sonnensystems in einem Gürtel zwischen Mars und Jupiter sammelten. Weiter außen, jenseits der großen Gasplaneten, war es dagegen so kalt, das hier vorwiegend eisige Brocken entstanden. Sie bilden heute den jenseits der Neptunbahn liegenden Kuipergürtel.

Allerdings: Das sogenannte Grand-Tack-Modell sagt voraus, dass bei der Wanderung der Planeten auch einige Asteroiden aus dem inneren Sonnensystem in den Kuipergürtel geschleudert wurden. „Eine kleine Anzahl von Objekten jenseits des Neptun müsste daher primitive, dunkle, kohlestoffreiche Oberfläche besitzen“, erklären Tom Seccull von der Queen’s University Belfast und seine Kollegen. „Doch das einzige Material, das man bisher auf den Oberflächen der kleineren Kuipergürtel-Objekte gefunden hat, ist Wassereis.“

Ungewöhnliches Spektrum

Ist das Modell demnach falsch? Oder hat man einfach nur noch keinen dieser „Ausgestoßenen“ gefunden? Um diese Frage zu klären, sind Seccull und seine Kollegen einem vielversprechenden Kandidaten nachgegangen, den das Weltraumteleskop Hubble vor einiger Zeit aufgespürt hatte. „Sein Spektrum war sowohl im sichtbaren Licht als auch im Nahinfrarot untypisch für ein Kuipergürtel-Objekt“, so die Forscher.

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Umlaufbahn von 2004 EW95 (rot) im Vergleich zu anderen Objekten des Sonnensytems und Kuipergürtels © ESO/ L. Calçada

Die Astronomen haben daher das 2004 EW95 getaufte Objekt nun mit zwei hochsensiblen Spektrografen am Very Large Telescope (VLT) der ESO in Chile näher untersucht – keine einfache Aufgabe. Denn der Brocken ist zwar knapp 300 Kilometer groß, aber auch rund vier Milliarden Kilometer von der Erde entfernt und leuchtet nicht von sich aus. „Es ist, als würde man einen Kohleberg gegen die pechschwarze Leinwand des Nachthimmels beobachten“, erläutert Koautor Thomas Puzia von der Katholischen Universität Chile in Santiago.

Steinig statt eisig

Doch die schwierige Spektral-Beobachtung gelang – und ergab Überraschendes: Das Spektrum von 2004 EW95 ist völlig anders als die der normalen Kuipergürtel-Objekte, wie die Astronomen berichten. Besonders auffallend waren dabei zwei Merkmale: „Ein großer Abfall im Reflexionsgrad unterhalb von 550 Nanometern Wellenlänge und ein breites Absorptionssignal im Wellenlängenbereich um 700 Nanometer“, so Seccull und seine Kollegen. „Keines dieser Merkmale ist jemals zuvor im Spektrum eines Kuipergürtel-Objekts detektiert worden.“

Das Spannende daran: Diese beiden spektralen Signale deuten darauf hin, dass auf diesem Brocken Eisenoxide und Schichtsilikate vorhanden sein müssen – und damit Stoffe, die für steine Asteroiden aus dem inneren Sonnensystem typisch sind. Zudem ähnelt das Spektrum im UV bis optischen Bereich erstaunlich denen von ursprünglichen kohlenstoffreichen Asteroiden des C-Typs, wie die Astronomen berichten.

Vom Jupiter in den Kuipergürtel

Die plausibelste Erklärung für diese Merkmale ist nach Ansicht der Forscher diese: Der Asteroid 2004 EW95 entstand einst nicht im Kuipergürtel, sondern in der Nähe des Jupiter. Als dann die großen Gasplaneten ihren Orbits veränderten, schleuderten ihn die damit verbundenen Turbulenzen weit nach außen – bis in den Kuipergürtel hinein. Seither kreist der „Ausgestoßene“ dort in einem relativ exzentrischen Orbit und mit starker Bahnneigung außerhalb der Neptunbahn um die Sonne.

„Es gab zwar bereits Spektren anderer „atypischer“ Kuipergürtel-Objekte, aber keine konnten in dieser Qualität bestätigt werden“, kommentiert Olivier Hainaut, ein nicht an der Studie beteiligter ESO-Astronom. „Die Entdeckung eines kohlenstoffhaltigen Asteroiden im Kuipergürtel ist ein wichtiger Nachweis für eine der grundlegenden Vorhersagen dynamischer Modelle des frühen Sonnensystems.“ (The Astrophysical Journal Letters, 2018; doi: 10.3847/2041-8213/aab3dc)

(ESO, 11.05.2018 – NPO)

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