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Geowissen

Zeitlupen-Ruckeln als Vorbote von Starkbeben?

Vorübergehende Bewegungsumkehr der Erdplatte vor zwei großen Beben nachgewiesen

Tohoku-Erdbeben
Vor dem schweren Erdbeben in Japan im März 2011 kehrte die Erdplatte ihre Bewegung um – ein nie zuvor beobachtetes Verhalten. © Ohio State University

Neu entdecktes Phänomen: Gleich zwei schwere Starkbeben wurden von einer ungewöhnlichen Bewegungsumkehr des Untergrunds eingeleitet, wie Forscher entdeckt haben. Demnach ruckelte der Untergrund vor dem Chile-Beben 2010 und dem Japan-Beben 2011 in Zeitlupe erst ein Stück nach Westen, dann wieder zurück nach Osten. Dieses nie zuvor beobachtete „Zeitlupen-Ruckeln“ könnte vielleicht ein Vorbote solcher Starkbeben an Megathrust-Verwerfungen sein, so die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“.

Ob der Tsunami im Jahr 2004, das Japan-Beben im März 2011 oder das Starkbeben in Chile im Jahr 2010: Viele der schwersten Erdbeben weltweit ereignen sich an sogenannten Megathrust-Verwerfungen von Subduktionszonen. Dort kann die im Untergrund schräg verlaufende Plattengrenze bei einem plötzlichen Bruch besonders stark nach oben und zur Seite rutschen. Zudem scheint das Gestein an diesen Verwerfungen besonders spröde zu sein, wie Forscher vor einigen Jahren herausfanden.

Auffällige Bewegung vor dem Beben

Eine weitere Eigenheit zumindest einiger Megathrust-Verwerfungen haben nun Jonathan Bedford vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam und seine Kollegen entdeckt. Für ihre Studie hatten sie die Daten von mehr als 1.000 GPs-Messstationen ausgewertet, die entlang der Subduktionszonen vor Japan platziert sind. Über deren Daten lassen sich selbst kleine Bewegungen des Untergrunds in hoher Auflösung erfassen.

Als die Forscher die Messdaten für die Monate vor dem Tohoku-Beben vom März 2011 analysierten, stießen sie auf eine Besonderheit: Japan – und damit die aufliegende Erdplatte an dieser Subduktionszone – kehrte für kurze Zeit seine Bewegungsrichtung um. Der Untergrund wanderte erst rund vier bis acht Millimeter nach Osten, dann driftete er nach Westen und bewegte sich anschließend wieder zurück.

Ost-West-„Ruckeln“ in Zeitlupe

„Was da in Japan passierte, war wie ein enormes, aber extrem langsames Ruckeln – das wurde zuvor noch nie beobachtet“, sagt Koautor Michael Bevis von der Ohio State University. „Dass sich der Untergrund bewegt ist normal. Aber die Art der Bewegung macht dies sehr ungewöhnlich.“ Ohne hochpräzise Messgeräte ist dieses „Zeitlupen-Ruckeln“ nicht nachweisbar, weil es im Laufe von mehreren Monaten abläuft und nur wenige Millimeter umfasst.

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Das Phänomen scheint kein Einzelfall zu sein: Auch vor dem schweren Erdbeben von Chile im Jahr 2010 gab es ein solches Ruckeln. „Weil es in Südamerika weniger Messstationen gibt, ist es schwerer diesen Effekt zu verfolgen“, berichten die Forscher. „Aber wir konnten auch in den Monaten vor dem Maule-Erdbeben ein solches Ost-West-Ruckeln vor Chile sehen.“

Wie sich der Untergrund vor den Tohoku-Beben bewegte.© Ohio State University

Veränderungen in der Tiefe

Die Forscher vermuten, dass diese Richtungsumkehr auf Prozesse in der Tiefe der Subduktionszone zurückzuführen ist. Ihren Modellen zufolge wird das Ende der abtauchenden Platte offenbar stärker verdichtet und damit schwerer. Das erzeugt eine verstärkte Zugbelastung an dieser Erdplatte, die die Spannungen im Gestein erhöht. „Die Beschleunigung der Abwärtsbewegung verursacht eine Dehnung des Plattenstücks und ein quasidynamisches Ruckeln der Subduktionszone, weil die Platte viskoelastisch zurückfedert“, erklären Bedford und seine Kollegen.

Demnach könnte die Bewegung des untergetauchten Plattenendes an Subduktionszonen weniger konstant sein als bislang angenommen. „Unsere Studie zeigt, dass diese Annahme zu einfach ist“, sagt Bedford. „Tatsächlich könnte ihre Variabilität ein Schlüsselfaktor für das Verständnis der Auslöser von schwersten Erdbeben sein.“

Vorbote eines Starkbebens?

Das Ruckeln könnte demnach eine Phase erhöhter Spannungen entlang der Plattengrenze und damit eine erhöhte Erdbebengefahr anzeigen. Ob das aber für alle Megathrust-Verwerfungen und ihre Erdbeben gilt, ist noch unklar. „Gehen solche Ruckler womöglich allen großen Erdbeben voraus? Wir wissen es nicht, weil wir nicht genügend Daten haben“, sagt Bevis. „Aber das wäre ein mögliches Vorzeichen mehr, auf das wir achten können, wenn wir das Bebenrisiko für Subduktionszonen wie vor Japan, Sumatra den Anden oder Alaska ermitteln.“

Allerdings setzt dies voraus, dass es an diesen Plattengrenzen ein GPS-Messnetz gibt, das genügend Stationen aufweist, um die schleichende Bewegungsumkehr zu registrieren – und das ist bisher nur an wenigen Orten der Fall. „Wir müssen so bald wie möglich damit beginnen, alle großen Subduktionszonen mit dichten GPS-Messnetzen zu überwachen“, sagt Bedford. Diese Daten könnten dann auch klären, ob dieses Zeitlupen-Ruckeln tatsächlich ein verlässliches Vorzeichen eines kommenden Starkbebens ist. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2212-1)

Quelle: Ohio State University, Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

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